Jubiläum für den Trainer
Seit fünf Jahren ist Urs Fischer Trainer des 1. FC Union. Ohne seine fachlichen und menschlichen Stärken würden die Eisernen wohl nicht so gut dastehen. Till Oppermann hat fünf besonders wichtige Eigenschaften des Erfolgstrainers zusammengetragen.
Grund 1: Bodenständigkeit
Für die Journalisten, die vor allem auf Schlagzeilen aus sind, ist eine Pressekonferenz mit Urs Fischer selbst nach Siegen seiner Unioner die völlig falsche Veranstaltung. Denn der Erfolgstrainer sagt im Prinzip seit Jahren immer das Gleiche: Das Saisonziel sei der Klassenerhalt, selbst wenn die Mannschaft schon im März die 40 Punkte vollmacht. Sein Respekt gelte in erster Linie der Leistung des Gegners, der es Union ziemlich schwer gemacht habe. Und er selbst denke jetzt nur an das nächste Spiel, in dem wieder eine komplizierte Aufgabe warte.
Eine Platte mit Sprung. So klagen manche und finden Fischers Zurückhaltung lächerlich. Immerhin spielt Union in der kommenden Saison das dritte Mal in Serie international und hat seit fast 15 Monaten kein Heimspiel in der Bundesliga verloren. Aber Urs Fischer formuliert keineswegs so defensiv, um die Gegner zu provozieren. Er meint das ernst, und diese Einstellung ist auf seine Bodenständigkeit zurückzuführen. Vor seine Karriere als Profi hat Fischer zunächst eine Banklehre beendet, im Urlaub wandert er gerne durch die Schweizer Alpen oder angelt mit seinem Co-Trainer Markus Hoffmann, während im Job immer nur der nächste Schritt zählt. Gut für Union: Solange Urs Fischer Trainer ist, wird die rasante Entwicklung niemandem zu Kopf steigen.
Grund 2: Offensivtaktische Innovation
Union Berlin - das ist doch die Mannschaft, die einfach nur defensiv steht, hart in die Zweikämpfe geht und die Bälle nach vorne kloppt. Oder nicht? Als die Eisernen in der vergangenen Saison an der Tabellenspitze standen, bekamen sie nicht nur Lob. Taktik-Experte Tobias Escher merkte zum Beispiel regelmäßig an, dass Union in der Tabelle deutlich besser dastehe als es der Expected-Goals-Wert, also die aus der Qualität der Chancen zu erwartenden Tore, nahelege. Oder weniger kompliziert ausgedrückt: Union habe ziemlich viel Glück. Die breite Fußballöffentlichkeit hat Union wohl auch deshalb nicht als besonders aufregende Offensivmannschaft auf dem Schirm, zumal manches im Spiel der Unioner, wie die guten Laufwerte und das körperliche Spiel die Mannschaft, schon seit der ersten Bundesligasaison auszeichnet.
Dabei wird verkannt, dass Fischer seine Mannschaft auch offensiv immer weiterentwickelt hat. Auf lange Bälle auf den Kopf von Sebastian Andersson folgte in der zweiten Saison ein Fußball, der darauf ausgelegt war, Max Kruse im linken Halbraum zu finden. Nach seinem Abgang setzte Fischer auf das Tempo von Sheraldo Becker und auf Außenverteidiger, die stets den langen Pfosten besetzen. In der letzten Saison ließ sich Fischer dann etwas ganz Besonderes einfallen. Sehr oft besetzten alle Offensivspieler nur eine Seite des Feldes. Weil die gegnerischen Verteidiger auf der anderen Seite zu große Räume preisgeben würde, wenn sie komplett mitgehen würden, sind die Köpenicker oft in Überzahl. Bisher spielt das in Europa so konsequent nur Urs Fischers 1. FC Union Berlin.
Grund 3: Pragmatismus
Als Fischer vor fünf Jahren nach Köpenick kam, gab er an, dass er am liebsten mit einer Viererkette spielt. Nachdem diese Formation in der 2. Liga für den Aufstieg gereicht hatte, aber in der Bundesliga weniger gut funktionierte, setzte der Coach auf eine Fünferkette. Bis heute ist er dabei geblieben, das System führte Union in die Champions League.
Diese Episode ist nur ein Beispiel für Urs Fischers Pragmatismus, ohne den Union wohl kaum seit Jahren eine der Mannschaften wäre, die pro Punkt am wenigsten Geld ausgibt. Der Schweizer versteht es wie kaum ein anderer Trainer, Spieler perfekt nach ihren Stärken einzusetzen. Niko Gießelmann kam von einem Absteiger und war unter Fischer plötzlich einer der torgefährlichsten Außenverteidiger der Liga. Noch besser entwickelte sich Kevin Behrens: Obwohl Fischer ihm erst mit über 30 zum Bundesligadebüt verhalf, war der Modellathlet in der Rückrunde einer der besten Stürmer in der Bundesliga.
Grund 4: Defensivgenie
Vor Kurzem wurde Urs Fischer bei einer Umfrage unter 252 Bundesligaprofis zum besten Trainer der Saison gewählt. Fragt man Unioner, war diese Auszeichnung schon lange überfällig. In der Liga hat er sich in dieser Saison nicht nur mit der Champions League-Qualifikation endlich den gebührenden Respekt verdient: Union stellte gemeinsam mit den Bayern die beste Abwehr der Liga. Fischer war schon in der Schweiz für seine defensivstarken Teams bekannt. Beim FC Basel musste er sogar nach zwei Meisterschaften gehen, weil seine Mannschaft nicht schön genug spielte.
Bei Union sieht es anders aus. Hier war den meisten Fans eine schöne Grätsche schon immer mehr wert als ein Hackenpass und hier ist eine herausragende Defensive das einzig mögliche Mittel, um sportlich richtig erfolgreich zu sein. Denn in den ersten Jahren in der ersten Liga war Union finanziell eines der schwächsten Teams. Gute Verteidiger sind auf dem Markt günstiger als starke Angreifer und so ist es mit Blick aufs Budget leichter, durch Defensive erfolgreich zu sein. Gleichzeitig erlebt der deutsche Fußball nicht nur in der Nationalmannschaft eine Krise der Defensive: Auch in der Liga sind viele Mannschaften nicht mehr in der Lage, konsequent sicher zu stehen. Union kann das, weil mit Urs Fischer jemand an der Seite steht, der das Verteidigen im Blut hat – immerhin bestritt er mehr als 500 Profispieler als Innenverteidiger.
Grund 5: Autorität
Kurz vor Ende der Saison kam bei Union etwas Unruhe auf. Kapitän Christopher Trimmel beklagte sich öffentlich über seine geringen Einsatzzeiten. Hinten rechts hatte ihm Josip Juranovic den Rang abgelaufen. Urs Fischer reagierte: "Ich muss ehrlich sagen, dass ich überrascht war, und ich fand es auch ein bisschen unglücklich." Das sei kein Thema, das er in der Öffentlichkeit besprechen werde, so der Trainer. Vielleicht war er etwas gekränkt, dass Trimmel trotz der langjährigen Zusammenarbeit den Weg über die Medien gesucht hatte.
Denn der Chef ist Fischer, darauf legt er Wert. Wer das in Frage stellt, hat einen schweren Stand. Max Kruses überraschender Winterabgang von anderthalb Jahren hatte viel damit zu tun, dass er und Fischer immer wieder über Kruses Auswechslungen diskutieren mussten. Bei Union weiß jeder, dass Urs Fischer am Ende am längsten Hebel sitzt. Auch deshalb sind Äußerungen wie die von Trimmel die absolute Ausnahme, obwohl der Kader in den letzten Saisons traditionell groß war.
Sendung: Inforadio, 01.07.2023, 17.03 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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