Interview | Union-Trainerin Ailien Poese
Die Fußballerinnen des 1. FC Union Berlin befinden sich mitten in der Vorbereitung auf die neue Saison. Trainerin Ailien Poese spricht im Interview über die Entwicklung des Frauenfußballs in der Region, Perspektiven für junge Spielerinnen und ihre WM-Tipps.
rbb|24: Frau Poese, am Donnerstag stehen gleich zwei wichtige Spiele an. Morgens startet die Fußball-Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland und später haben die Union-Frauen das erste Testspiel in der Vorbereitung auf die Saison in der Regionalliga-Nordost. Worauf freuen Sie sich mehr?
Ailien Poese: (lacht kurz) Ich freue mich natürlich unfassbar auf das eigene Spiel. Wir haben ein paar Kaderveränderungen vorgenommen und das ist jetzt das erste Mal, dass wir die Mannschaft wirklich im Testwettkampf sehen. Dementsprechend haben wir uns darauf auch mehr vorbereitet. Aber wenn es die Verbindung im Bus zulassen sollte, gucken wir, ob wir auch in die WM reinschauen können.
Das Testspiel ist das erste von mehreren bis zum Start der neuen Spielzeit. Wie läuft die Saisonvorbereitung?
Bisher läuft alles wirklich ganz hervorragend. Wir haben auf Profifußball umgestellt. Das ist auch eine Veränderung für viele Spielerinnen. Wir hatten in der letzten Woche ein Trainingspensum, wie wir es früher in zwei Wochen hatten. Das erfordert auch viel Fingerspitzengefühl in der Belastungssteuerung, weil wir viele Spielerinnen ein bisschen heranführen müssen. Nichtsdestotrotz sind wir total zufrieden mit der Vorbereitung und fiebern deswegen auch so darauf hin, am Donnerstag das erste Testspiel zu spielen.
Der Fußball der Frauen in Berlin spielt sich in der Regionalliga Nordost ab. Gerade in der vergangenen Saison war zu beobachten, dass mehr Fans kamen. Beim Rückspiel Ihres Konkurrenten Viktoria um den Zweitliga-Aufstieg waren es gut 4.000. Im Bundesvergleich ist die Region – auch durch den Abstieg von Turbine – aber nicht wirklich auf der Fußball-Landkarte vertreten. Sie kennen den Erwachsenenbereich, aus Ihrer Zeit beim Berliner Fußball-Verband aber auch den Nachwuchs. Wie sehen Sie die Entwicklung des Frauen-Fußballs in der Stadt?
Ich glaube, jeder, der Berlin im letzten Jahr beobachtet hat, muss diese Entwicklung sehen und sieht sie auch. Beispielsweise, was Viktoria bei der Zuschauergenerierung geschafft hat; was wir auch am 1. Mai beim Freundschaftsspiel an Zuschauern hatten [gegen das Zweitligateam des 1. FC Köln, Anmerk. der Red.]. Die Präsenz, auch wenn es in Anführungsstrichen "nur" Regionalliga ist, ist durch das Engagement von Viktoria und uns gehoben worden. Jetzt ist Hertha noch eingestiegen. Turbine Potsdam ist trotzdem noch Zweitligist. Es ist schon sehr, sehr viel auf einmal gekommen.
Als ich noch für den Verband gearbeitet habe, gab es Viktoria und Union, die ein bisschen oben mitgespielt haben. Wo aber nicht viel Unterstützung war. Das hat sich komplett geändert. Und deswegen wird sich perspektivisch, glaube ich, diese Stellung von Berlin auch komplett ändern.
Die Talente waren in Berlin in den letzten Jahren auch da. Sie sind nach dem Jugendbereich nur woanders hin gegangen. Einige davon sind jetzt zurück bei Union. Ich denke, wenn die Vereine und der Verband Hand in Hand gut arbeiten, werden Talente perspektivisch auch in der Stadt bleiben. Und damit haben sie dann auch eine Perspektive.
Ein wichtiger Faktor für diese Perspektive ist auch die finanzielle Situation. Beim 1. FC Union Berlin werden die Spielerinnen von diesem Sommer an zu hundert Prozent als Profis antreten. Wie ungewöhnlich ist das für einen Fußball-Drittligisten bei den Frauen – und wie verändert das Ihre Möglichkeiten?
Ich glaube, diese Umstellung auf Profifußball gibt es in Deutschland in der Regionalliga nur sehr, sehr selten. Mir ist kein anderes Beispiel bekannt. Dass Spielerinnen versichert sind, dass Spielerinnen Beträge kriegen, dass Spielerinnen wenigstens eine Berufsgenossenschaftsabsicherung haben, gibt es, denke ich, schon in einigen Vereinen. Aber von reinem Profifußball, so wie wir ihn geschaffen haben, um daran zu wachsen, habe ich keine Kenntnis.
Das soll aber andere Vereine überhaupt nicht bremsen, sondern die Konkurrenz eher anheizen. Ich glaube, wir sind da auf einem guten Weg. Wir merken, dass es auch für die Spielerinnen eine Umstellung ist, dass sie ihr ganzes Leben auf Fußball abstellen. Wir kriegen, mich eingeschlossen, seit Jahren trotzdem immer die Frage: "Ist ja schön, dass du bei Union bist, aber was machst du sonst noch?" Ich glaube, es ist für einige noch nicht so fassbar, dass es jetzt eine Profimannschaft ist.
Aber ich denke, der Verein hat mit der Umstellung der Bezeichnung in den öffentlichen Medien und auf der eigenen Homepage ganz klar gemacht, dass es jetzt so ist. Die Spielerinnen können davon leben, sollen keine Geldsorgen haben und sich ganz auf Fußball konzentrieren können.
Lassen Sie uns in die Zukunft blicken: Wie lange wird es dauern, bis eine Spielerin von einem Berliner Verein für die deutsche Nationalmannschaft nominiert wird und zu einem großen Turnier fährt?
Das hängt natürlich auch stark vom täglichen Wettkampf und den Strukturen ab. So lange wir uns da erst in der 2. Liga bewegen, ist es relativ unrealistisch, weil das Niveau dann für die Nationalmannschaft noch nicht gegeben ist. Ich denke, es wird eventuell so weit sein, wenn eine Mannschaft in der 1. Liga vertreten ist.
Die Aufmerksamkeit für die Frauen hat im Vergleich zur Europameisterschaft nochmal zugenommen. Die Spiele finden allerdings tagsüber statt. Deutschland spielt am Montag um 10:30 Uhr gegen Marokko. Spüren Sie eine WM-Begeisterung?
Ich spüre sie total. Jetzt sind wir mal in der Situation, dass ein großes Turnier nicht in Europa stattfindet. Das ist aber überhaupt nicht schlimm und ich kann mir auch gut vorstellen, zum Frühstück Fußball zu gucken. Wir werden das nächste Woche im Trainingslager genauso machen. Wenn Deutschland im ersten Gruppenspiel spielt, gehen wir natürlich nicht gemeinsam um 10:30 Uhr auf den Trainingsplatz, sondern werden gemeinsam dieses Spiel gucken. Wir machen daraus ein Mannschaftsevent. Das finde ich absolut attraktiv.
Ich selbst merke auch überall in den Medien – zum Glück auch durch die Vergabe der Fernsehrechte –, dass es super präsent ist. Es gibt tatsächlich in den Zeitungen auch Spielpläne, die man hinhängen und ausfüllen kann. Meiner Familie habe ich das immer irgendwie ausgedruckt, damit sie da was reinschreiben können, weil sie fußballbegeistert sind. Jetzt brauchen sie sich nur eine Zeitung kaufen und haben den Plan. Das scheint vielleicht nur wie eine Kleinigkeit, ist aber ein Riesenschritt.
Wie schätzen Sie die Chancen der deutschen Mannschaft bei der WM ein?
Ich bin mir sehr sicher, dass diese Mannschaft mit dieser Qualität total Spaß macht und sehr, sehr weit kommen kann. Es ist auch absolut richtig, da ganz klar zu sagen: "Wir wollen um den Titel mitspielen." So selbstbewusst kann diese Mannschaft sein.
Ich traue ihnen auch zu, dass sie als Team mit einem Gegentor oder einem Rückschlag umgehen können. Das hat man in dem Spiel gegen Sambia ganz gut gesehen [2:3-Niederlage im Freundschaftsspiel vom 7. Juli, Anmerk. d. Red.].
Klar, es war eine Niederlage, aber ich glaube, es war eine wertvolle Niederlage, weil es für den Turnierverlauf sehr, sehr wertvoll sein kann. Diese Mentalität ist gerade für so Turnierspiele enorm wichtig.
Dass wir bei unseren Spielerinnen viel Qualität haben, haben wir letztes Jahr bei der EM in England bewiesen. Sie haben sich weiterentwickelt. Jetzt gab es natürlich auch Verletzungen, die sehr, sehr traurig sind. Aber nichtsdestotrotz ist die Bundestrainerin auch in der Lage, immer wieder durch Einwechselungen neue Impulse zu setzen. Das ist das, was ein Riesenteam auch ausmacht. Ich kann mir schon vorstellen, dass sie das Finale erreichen können. Am liebsten habe ich am Ende auch einen dritten Stern auf dem Deutschlandtrikot.
Sind die Deutschen für Sie Favoritinnen oder eine andere Mannschaft?
Ich glaube, weil das Feld im Frauenfußball auf der Welt enger geworden ist, gibt es mehrere Favoritinnen. Ich sehe die Deutschen als Favoritinnen, aber trotzdem darf man nicht vergessen, dass wir auch europäische Teams mit Frankreich, Spanien, England haben; dass die USA immer schwer zu spielen sind; Brasilien spielt auch immer mit. Ich denke, auch wenn sie ein bisschen als Underdog gehandelt werden, sollte man Australien als Gastgeberland nicht unterschätzen. Mit Japan und Südkorea muss man auch gucken. Durch das enge Feld gibt es nicht mehr die paar Titelfavoriten, sondern schon mehr. Und da zähle ich unser Team dazu.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lynn Kraemer, rbb Sport.
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.07.2023, 9:15 Uhr
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