Saisoneröffnung bei Hertha BSC
Eine Woche vor dem Start der 2. Bundesliga präsentieren sich Herthas Profis den Fans. Gefeiert wurden aber ebenso die Spielerinnen, die ab kommender Saison mit der neu gegründeten Frauen-Abteilung in blau und weiß auflaufen. Von Shea Westhoff
Am Rande eines Kunstrasenplatzes auf dem Olympiagelände stand Benjamin Behrend und ärgerte sich über eine unnötige Verletzung. Beim Fußballfan-Turnier "Hertha Cup" im Rahmen der Saisoneröffnungs-Feier ist er umgeknickt, musste seiner Mannschaft, dem Fanklub "Kreuzberger Kindel", nun vom Spielfeldrand zusehen. Das gab ihm allerdings Gelegenheit, über den aktuellen Zustand seiner Hertha zu sprechen.
"Für wenig Geld wurden Spieler abgeschossen zu Vereinen, die man nicht so leiden kann", sagte der großgewachsene Mann, der auf seiner Wade einen Berliner Bären mit Hertha-Flagge hat tätowieren lassen. "Klar, es geht für den Klub darum, aus den Schulden herauszukommen", räumte er ein. "Aber es tut weh, wenn die Spieler nach Köpenick gehen. Oder wenn andere Spieler, die ihre halbe Jugend hier verbracht haben, nach Frankfurt abziehen - sich aber vorher noch auf das Vereinslogo über dem Herzen klopfen. Es schmerzt, für so wenig Geld."
Gemeint war der jüngste Abschied des teuersten Neuzugangs der Klubgeschichte, Lucas Tousart, der in der kommenden Saison in der Champions League spielen wird – beim Lokalrivalen Union Berlin. Außerdem geht es um Stürmerhoffnung und Eigengewächs Jessic Ngankam, der sich in der kommenden Saison Eintracht Frankfurt anschließt. Die von Behrend angesprochenen Transfers bewegten auf dem Fest zur Saisoneröffnung mehrere Fans.
Darüber hinaus der Transfer Toni Leistners, hochumstrittener Neuzugang für die Abwehr, der seinem Ex-Klub Union zuvor mehr als nur einmal eine Liebeserklärung machte.
Andreas Lorenz, gelernter Konditor aus Kreuzberg, sagte halb ernüchtert, halb verständnisvoll: "Das sind Arbeiter, die dahin gehen, wo sie das meiste Geld bekommen." Doch so ein Fan-Fest, wie an diesem warmen Samstag vor dem Start in die 2. Bundesliga, das zeige trotzdem eines: "Dass wir eine Familie sind", so Lorenz.
Eine Familie. Nach allem, was zuletzt passiert ist. Vielleicht kam das Fan-Fest von Hertha BSC tatsächlich genau zur richtigen Zeit. Im Profifußball hat diese sogenannte "Saisoneröffnung" ja mittlerweile Tradition.
Mit reichlich ausgeschenktem Bier, Bratwurst, einer Autogrammstunde und Hüpfburgen für die Kinder geht es vor allem darum, Geschlossenheit zwischen der Profiabteilung des Klubs und seinen Fans zu demonstrieren. Und Signale der Geschlossenheit kann der Verein gerade gut gebrauchen.
Denn in der Sommerpause machte es Hertha seinen Anhängern nicht gerade einfach. Außer den vieldiskutierten Transfers entfachte die designierte Nummer eins im Gehäuse der Hauptstädter einigen Ärger: Marius Gersbeck soll im Rahmen des Trainingslagers in Zell am See einen 22-Jährigen ins Krankenhaus geprügelt haben, aktuell ermittelt die Polizei.
Doch während die Sonne immer wieder durch die Wolkendecke brach und der süßliche Dunst von Currywurst über das Gelände waberte, da konnte man tatsächlich den Eindruck gewinnen: Die Stimmung beim Großteil der Gäste ist ziemlich optimistisch.
So sagte Micha Müller vom Fanverband "Förderkreis Ostkurve": "Dieses Fest hier, das ist das, was Hertha als Verein ausmacht. Das sind die Fans, die hier zusammenkommen und sozusagen die Farben und die Fahne leben." Das andere sei "das Sportliche und Finanzielle, was in der Porfiabteilung abläuft. Die Leute hier können das schon ganz gut unterscheiden. Das sind eben Hertha-Fans. Die sind hart im Nehmen, hartgesotten. Die kommen trotzdem her, um schön die Gemeinschaft zu feiern, dafür ist das Fest gut."
Rund 10.000 Hertha-Untertützerinnen und -Unterstützer tummelten sich Vereinsangaben zufolge am Samstag auf dem Gelände.
Auf dem Plan stand am Vormittag auch gleich ein entscheidender Termin, der nichts mit dem Tagesgeschäft der Männerfußballer zu tun hatte: die erste Partie der neugegründeten Frauenabteilung von Hertha BSC. Der Klub hatte im Frühjahr neun Frauenteams von Hertha 03 Zehlendorf übernommen und will sich nun endlich im Fußball der Frauen etablieren.
Zum Einstand ging es gegen den befreundeten Karlsruher SC. "Ich hoffe, dass die Mädels was reißen", sagte Claudia, eine mit blau-weißer Schiebermütze bedeckte Frau, die gerade auf der Tribüne des Amateurstadions Platz nahm. "Die Gründung der Abteilung war längst überfällig."
Was Claudia geboten bekam, waren allerdings drei Gegentore in den ersten 20 Minuten. "Der erste Trainingstag für Hertha war gestern, der KSC ist schon seit drei Wochen im Training", sagte der Stadionsprecher zur Pause fast entschuldigend. Diese Rechtfertigung wäre allerdings gar nicht nötig gewesen: Die rund 3.000 im Amateurstadion anwesenden Zuschauer waren ohnehin gnädig und bejubelten die Kickerinnen bei jeder gelungenen Aktion. Mit 1:4 mussten sich die Herthanerinnen am Ende geschlagen geben.
"Es wird anfangs möglicherweise auch etwas ruckelig, weil wir den Spagat zwischen Leistungs- und Breitensport machen", sagt der neue Leiter der Frauenabteilung, Sofian Chahed, der die Partie im Stehen auf der Tribüne verfolgte. "Deswegen müssen wir die Erwartungen immer wieder anpassen. Nur weil wir der Profiklub Hertha BSC sind, heißt das nicht, dass von Anfang an alles perfekt läuft."
Herthas Frauen haben den Startplatz der Zehlendorferinnen in der Regionalliga übernommen, treffen dort unter anderem auf Union Berlin. "Im ersten Jahr wollen wir erstmal ankommen, uns aber Schritt für Schritt entwickeln", sagte Chahed zu rbb|24 und stellte klar. "Die Frauen haben eine harte Aufgabe, ihren Job oder ihre Ausbildung mit dem Fußball zu vereinbaren. Wir wollen allen hier eine Perspektive aufzeigen und sie auf diesem Weg unterstützen."
Dann war die Bühne auch schon bereitet für die Vorstellung des Profi-Männerkaders, der zuvor so viel diskutiert wurde. Zum Showtraining betraten die aktuell unter Vertrag stehenden Spieler einzeln den Rasen des Amateurstadions - obwohl der Kader noch längst nicht komplett ist und ebenso unklar ist, wer vor dem ersten Spieltag am kommenden Samstag bei Fortuna Düsseldorf (20:30 Uhr) noch gehen wird. Dodi Lukebakio allerdings, wertvollster Angreifer der Mannschaft von Trainer Pal Dardai, war bei der Kadervorstellung nicht dabei.
Nach der Ankündigung der einzelnen Profis durch den Stadionsprecher, kamen sie aus dem Kabinentrakt aufs offene Feld. Besonders lautstark bejubelt wurde dabei Neuzugang Fabian Reese, dessen großer Einsatz auf dem Platz und reflektierte Aussagen abseits des Rasens bei den Fans offenbar bereits Gefallen gefunden haben.
Dann der mit Spannung erwartete Auftritt Toni Leistners, des Ex-Unioners, dessen Verpflichtung Teile der Fanszene auf die Palme gebracht hatte. Leistner wartete noch im Kabinenbereich, kratzte sich am Kinn, wartete auf die Anmoderation des Stadionsprechers. Dieser mahnte die Fans: "Zeigt mir, dass wir eine Familie sind." Dann kam Leistner aus dem schattigen Kabinentrakt auf den Rasen – und die Fans im Stadion spendeten warmen Applaus. Leistner winkte den Fans.
Vor dem Start in die ungeliebte Zweitliga-Saison, nach dem holprigen Sommer, da scheint die Stimmung in der Hertha-Familie tatsächlich eigentümlich intakt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 22. Juli 2023, 17:40 Uhr
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