Dardaische Puzzle-Arbeit
Fußball-Zweitligist Hertha BSC startet am Samstag gegen Fortuna Düsseldorf in die neue Saison. Zuletzt waren die Berliner damit beschäftigt, eine konkurrenzfähige Mannschaft zu formen. Ist das rechtzeitig gelungen? Von Marc Schwitzky
"Wunder gibt es im Fußball selten", dämpfte Pal Dardai die Erwartungen, Hertha BSC könne als Bundesliga-Absteiger ohne Weiteres um den direkten Wiederaufstieg mitspielen. Der Ungar war auf der ersten Spieltags-Pressekonferenz der neuen Spielzeit um Realismus bemüht. "Mein Ziel ist: Lasst uns Weihnachten hier sitzen und noch eine Chance auf den Aufstieg haben – ob auf Platz fünf oder sechs, aber bitte nicht hinter Platz zehn", so Dardai.
"Es ist schwer, Leute. Umbruch nach um Umbruch nach Umbruch. Und jetzt gibt es wieder einen Umbruch. Wir müssen erst einmal eine Achse aufbauen'", stellt Herthas Übungsleiter klar. "Wir sind erstmal damit zufrieden, was hier wächst – sogar schneller, als ich gedacht hätte. Aber jetzt brauchst du auch Ergebnisse, um durch den Glauben noch weiter zusammenzuwachsen und so eine Chance zu haben."
Das erste gute Ergebnis der neuen Saison würden die Berliner gerne direkt am 1. Spieltag gegen Fortuna Düsseldorf einfahren. Die Anfangsformation für den Saison-Auftakt hat Dardai zwar nicht verraten, doch gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass folgende elf Spieler am Samstagabend beginnen werden.
Alles zurück auf Anfang. Hertha BSC wollte seine Torhüter-Position eigentlich neu gestalten, mit Marius Gersbeck kam ein Berliner Eigengewächs mit viel Zweitliga-Erfahrung aus seiner Zeit beim Karlsruher SC zurück nach Berlin. Der 28-Jährige wurde jedoch aufgrund eines Vorfalls im Trainings-Lager und laufender Polizeiermittlungen vorerst suspendiert.
Dadurch rückt Oliver Christensen wieder in den Fokus. Der Däne war vergangene Saison Herthas Stamm-Torhüter, konnte jedoch nur vereinzelt überzeugen. Im Sommer schien er zunächst ein Verkaufskandidat zu sein, doch Christensen beteuerte zuletzt, sich auch einen Verbleib gut vorstellen zu können. Da der 24-Jährige die gesamte Saison-Vorbereitung absolviert hat und unter Trainer Dardai überzeugte, wird er gegen Düsseldorf zwischen den Pfosten stehen. Tjark Ernst wird als Ersatz bereitstehen.
Herthas Viererkette hat sich im Vergleich zur Vorsaison deutlich verändert. Gegen die Fortuna wird Neuzugang Jeremy Dudziak auf der Linksverteidiger-Position starten. Der 27-Jährige kam ablösefrei von Ligakonkurrent Fürth und war die gesamte Vorbereitung Herthas einziger Profi-Linksverteidiger.
Dudziak ist anzumerken, dass er in den vergangenen Monaten nur sehr wenig Fußball gespielt hat. Während er im Spiel mit dem Ball andeutete, eine Bereicherung sein zu können, hatte er im direkten Zweikampf und Stellungsspiel stellenweise Probleme. Zukünftig wird er mit Anderson Lucoqui, den Hertha am Dienstag präsentierte, einen ernstzunehmenden Konkurrenten auf seiner Position bekommen.
Nahezu konkurrenzlos ist Marc Oliver Kempf auf der linken Innenverteidiger-Position – der 28-Jährige ist klar gesetzt. Er kennt den Verein nun seit schon eineinhalb Jahren und hat sich in dieser Zeit als Achsenspieler etabliert. Kempf soll nach Herthas Abstieg Wechselgedanken gehabt haben, doch zuletzt schien er sich voll auf die neue Aufgabe einzulassen. "Kempfi ist ein anderer Spieler als der, den ich kennengelernt habe", lobte Trainer Dardai den Abwehrspieler vor wenigen Tagen. In den Testspielen machte Kempf einen guten Eindruck.
Auch Nebenmann Toni Leistner überzeugt bereits, obwohl er erst wenige Wochen unter Vertrag steht. "Toni ist gerade gekommen und dirigiert schon", sagte Dardai. Der 32-Jährige, dessen Wechsel aufgrund der Union-Vergangenheit Aufsehen erregte, hat bei Hertha sofort eine Führungsrolle angenommen und bildet zusammen mit Kempf eine überaus erfahrene und souveräne Innenverteidigung.
Mit Filip Uremovic und Linus Gechter verfügen die Blau-Weißen zudem über zufriedenstellende Wechseloptionen.
Auch Herthas Rechtsverteidigung ist gleich mehrfach besetzt, wenn auch anders als zu Vorbereitungsstart erwartet. Deyovaisio Zeefuik hat sich unerwartet zum Startelf-Kandidaten aufgeschwungen. Der Niederländer, der 2020 vom FC Groningen kam, galt bereits als Fehleinkauf, auch seine beiden Leihen konnte er nicht für sich nutzen – dafür aber die Vorbereitung bei Hertha.
"Zeefuik macht momentan einen sehr guten Eindruck", lobte Dardai den Rechtsverteidiger, der sich in den vergangenen Wochen an Jonjoe Kenny vorbeigekämpft hat. Dynamik, Robustheit und Arbeitswille zeichnen Zeefuik aus, doch seine taktische Disziplin und Entscheidungsfindung sind ausbaufähig. Kenny soll den Verein verlassen, während Eigengewächs Julian Eitschberger und Routinier Peter Pekarik die zweite Reihe bilden.
Eine zweite Reihe wünscht sich Hertha auch im defensiven Mittelfeld, das sich momentan von selbst aufstellt. Marton Dardai hat bereits in den letzten Partien der Vor-Saison auf der Sechs gespielt, dort soll seine große Stärke – das Aufbauspiel – besser zur Geltung kommen. Der deutsche U21-Nationalspieler ist klar gesetzt, soll sich als Stammspieler etablieren. Dafür muss er daran arbeiten, ballsicherer zu werden und auch auf engem Raum Lösungen zu finden.
Nebenmann Pascal Klemens ist ebenfalls gesetzt, allerdings notgedrungen, da der Kader sonst über keinen annehmbaren Zentrumspieler verfügt. Das 18-jährige Eigengewächs ist eigentlich Innenverteidiger und interpretiert seine Rolle daher durchaus defensiv – keine ideale Kombination mit Partner Dardai, doch gegen Düsseldorf wird es nicht anders gehen. Zukünftig wird es mit etwaigen Neuzugängen eine andere Doppelsechs geben.
Jetzt und auch zukünftig gesetzt ist Marco Richter als zentraler Spieler vor dem Mittelsturm. Der 25-Jährige ist womöglich Herthas bester Einzelspieler, weshalb er auch noch mit einem Abgang in Verbindung gebracht wird. Gegen Düsseldorf wird er definitiv spielen und versuchen, mit Pässen, Dribblings und Schüssen zum Offensivspiel beizutragen.
Mit Palko Dardai ist unter der Woche ein passender Ersatzspieler für mehr Positionsbreite verpflichtet worden. Er könnte auch auf den offensiven Flügelpositionen spielen, wo aktuell Fabian Reese und Marten Winkler gesetzt sind. Beide überzeugen mit starkem Tempo, intelligenten Läufen in die Tiefe und Torgefahr.
Reese ist allerdings deutlich weiter als Winkler. Der 25-jährige Neuzugang weist 160 Zweitliga-Spiele auf, vergangene Saison sind ihm über 20 direkte Torbeteiligungen gelungen. Hertha-Eigengewächs Winkler hingegen ist erst 20 Jahre alt, in der zurückliegenden Spielzeit hat er bei seiner Leihe zu Drittligist Waldhof Mannheim erst Profi-Erfahrung gesammelt und mit 14 Torbeteiligungen überzeugt.
Neben Palko Dardai erhöht auch Derry Scherhant den Konkurrenzkampf auf den Außenbahnen.
Derzeit verfügt Hertha über acht Mittelstürmer im Profi-Kader – und doch kommt für das Spiel in Düsseldorf nur einer davon für die Startelf infrage: Florian Niederlechner. Der 32-Jährige, der im vergangenen Winter vom FC Augsburg kam, gilt als Führungsspieler und Lautsprecher auf dem Platz, auch sein Arbeitseifer wird gelobt.
Das Problem: In 16 Partien für Hertha ist ihm nur ein Tor gelungen und auch in der Vorbereitung knipste er nur ein Mal. Die derzeitige Konkurrenz aus wechselwilligen Spielern und jungen Eigengewächsen gefährdet Niederlechners Status jedoch zu wenig.
Neuzugang Smail Prevljak, der vor wenigen Tagen kam, hat aktuell noch Trainings-Rückstand und ist somit vermutlich kein Faktor für den anstehenden Saison-Auftakt. Medienberichten zufolge sucht Hertha noch nach einem Mittelstürmer, zunächst hat aber Niederlechner es in der Hand, sich festzuspielen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 27.07.2023, 18 Uhr
Beitrag von Marc Schwitzky
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