Umbruch bei Volleyball-Vizemeister
Nach dem erfolgreichsten Jahr in der Klubgeschichte durchlebt der SC Potsdam einen tiefgreifenden Umbruch. Zahlreiche neue Spielerinnen und ein Trainer-Debütant sind nun an Bord. Können sie die Konkurrenz erneut verblüffen? Von Shea Westhoff
"Ehrlich: Für mich ist es nichts Neues", relativiert Riccardo Boieri im Gespräch mit rbb|24 gleich zu Beginn. Bei den Volleyballerinnen des SC Potsdam ist der Italiener seit dem Sommer neuer Cheftrainer. Und gleichzeitig ein alter Bekannter. Der 35-Jährige war bereits neun Jahre in unterschiedlichen Funktionen im Klub tätig, zuletzt fünf Jahre lang als Assistent des zu Galatasaray Istanbul gewechselten Erfolgstrainers Guillermo Naranjo Hernandez.
"Die letzten vier oder fünf Saisons habe ich bereits die Vorbereitungen mit der Mannschaft gemacht, weil Guillermo im Sommer oft unterwegs war mit der Nationalmannschaft", erzählt Boieri nun. Hernandez war neben seinem Engagement bei Potsdam auch Coach der griechischen Volleyball-Auswahl. "Neu ist allerdings, dass ich die Vorbereitung nun selbst strukturieren muss. Aber ich freue mich darauf."
Der Cheftrainer-Novize Boieri übernimmt das Ruder in einer Situation, die manch Beobachter sicherlich als völlig unkalkulierbar einschätzen würde. Denn das Überfliegerteam der Vorsaison verzeichnet neben dem Abschied des charismatischen Übungsleiters Hernandez gleich elf Abgänge von teils maßgeblichen Spielerinnen.
Mit Selma Hetmann und Pia Leweling beendeten zwei Säulen der Mannschaft ihre Karriere. Zudem wechselte unter anderem Unterschiedsspielerin Anett Nemeth, die zur wertvollsten Spielerin in der Liga gekürt wurde, nach Italien zu Union Volley Pinerolo.
Ein Schritt, für den Manager Eugen Benzel Verständnis zeigt. "Sie war in den letzten beiden Jahren sehr erfolgreich. Es war abzusehen, dass eine Veränderung stattfindet", sagt er.
Als noch schmerzhafter erachtet Benzel die Wechsel innerhalb der Bundesliga, zur direkten Konkurrenz. So schlossen sich Annahme- und Außenspielerin Hester Jasper sowie Libera Aleksandra Jegdic dem sechsfachen deutschen Meister Dresdner SC an. Wobei der Manager in Bezug auf Jegdic einräumt: "Sie hat vier Jahre für uns gespielt. Es ist verständlich, dass sie eine Veränderung wollte."
Das Wort "Veränderung" fällt immer wieder. Und bedeutet in Bezug auf die gewechselten Volleyballerinnen auch eine finanzielle Angleichung an ihr sportliches Niveau. Was die Finanzkraft angeht, zieht der SC Potsdam gegen die Volleyball-Elite nach wie vor den Kürzeren.
"Was die Infrastruktur angeht, haben wir in den letzten Jahren schon viel getan", sagt Benzel. Beispielsweise habe man personell mit einem Athletiktrainer aufgestockt. "Wir sind eine gute Adresse in Europa geworden." Aber: "Am Ende geht es sicherlich darum, noch mehr Sponsoren und noch mehr Gelder zu akquirieren, um die Spielerinnen zu halten."
"Der Erfolg erregt natürlich Aufmerksamkeit, deswegen haben wir die personellen Verluste gehabt. Das ist ganz normal", sagt Laura Emonts, Team-Kapitänin und eine der wenigen Leistungsträgerinnen, die dem Klub auch in der kommenden Saison die Treue halten werden.
Emonts zählt die Erfolge auf: "Wir waren Zweiter in der Liga, waren im Pokal vorne mit dabei, haben den Supercup gewonnen." Und natürlich dieses eine denkwürdige Spiel: "Wir haben gegen Istanbul gewonnen."
Vakifbank Istanbul, der Champions-League-Sieger des Vorjahres. In ihrer ersten Königsklassen-Saison der Vereinsgeschichte schlugen die Potsdamerinnen den haushohen Favoriten völlig überraschend in fünf Sätzen.
Trainer Riccardo Boieri hält derlei auch in der kommenden Spielzeit für möglich. Ab dem 1. August startet der 35-Jährige in die Vorbereitung mit einem neuen Team, das er für vielversprechend hält. Denn seiner Einschätzung nach bringen die Neuen allesamt reichlich Erfahrung und Wettkampfhärte mit.
Boieri nennt Außenangreiferin Antonia Stautz, die von Schwarz-Weiß Erfurt zurück nach Potsdam gewechselt ist und auf mehr als 200 Bundesliga-Spiele zurückblickt; Außenangreiferin Rodica Buterez, die für die rumänische Auswahl spielt und die Boieri als "abgezockt" bezeichnet; die US-amerikanische Diagonalangreiferin Danielle Harbin, die vom Konkurrenten VfB Suhl zum Vizemeister aus Brandenburg wechselte.
Und natürlich Justine Wong-Orantes, Olympiasiegerin 2021 in Tokio mit dem US-Nationalteam. "Sie ist eine der besten Libera der Welt", schwärmt Boieri. Und auch Emonts zeigt sich vorfreudig. Persönlich habe sie die 27-Jährige noch nicht kennen gelernt. "Aber wenn ich sie beobachte, ist sie immer super gelassen. Ich glaube, sie kann mir dabei helfen, das Team zu führen", sagt die dienstälteste Spielerin des SC Potsdam.
Mit dem runderneuerten Team will der Klub wieder für Furore sorgen – in der Liga, im Pokal, und vielleicht ja wieder in der Champions League. "Trotz des Umbruchs soll der Druck nicht geringer werden. Unser Anspruch ist, dass wir in der kommenden Saison trotzdem erfolgreich sind", betont Manager Eugen Benzel.
Trainer Boieri wiederum mahnt zur Zurückhaltung: "Wenn du elf Spielerinnen ersetzen musst, dann musst du damit rechnen, dass der Anfang der Saison schwierig wird", sagt er. Die Spielerinnen müssten sich an "das System, die Ideen und die Sprache des Trainers" gewöhnen.
Wird die Handschrift des neuen Trainers dabei derjenigen des schillernden Vorgängers, Guillermo Naranjo Hernandez, ähneln? "Wenn du ein System hast, das funktioniert, dann wäre es wirklich dumm, es zu wechseln", antwortet Boieri abgeklärt. Und es stimmt ja auch: Wechsel gab es in der Mannschaft in diesem Sommer schon genug.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.07.2023, 21:14 Uhr
Beitrag von Shea Westhoff
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