Interview | Hockey-EM
Martin Zwicker vom Berliner HC steht mit der deutschen Hockey-Nationalmannschaft im Halbfinale der Heim-Europameisterschaft. Ein Gespräch über die Besonderheit des Heim-Turniers, seine Führungsrolle und das Karriereende.
rbb|24: Herr Zwicker, zum Turnierauftakt gegen Wales gab es für die deutsche Mannschaft nur ein 3:3-Unentschieden, doch mit den Siegen gegen die Niederlande und Frankreich sind Sie im Turnier angekommen. Wie würden Sie die bisherige Leistung und den Turnierverlauf der Mannschaft bewerten?
Martin Zwicker: Wir hatten auf dem Papier einen etwas schwierigeren Start, da wir uns gegen die Waliser so schwergetan hatten. Wir hatten zwar schon gute Ansätze, aber waren nicht so zwingend wie in anderen Spielen – zum Beispiel in der Anfangsphase gegen die Niederlande. Man kann sagen, dass wir einen typischen Turnierverlauf hingelegt und uns von Spiel zu Spiel gesteigert haben – und darum geht es in einem Turnier ja auch, im nächsten Spiel wieder die beste Leistung abzurufen. Da sind wir auf einem sehr guten Weg, das haben wir auch gegen Frankreich gezeigt. Wir sind gut drauf und fühlen uns super.
Es ist eine Europameisterschaft im eigenen Land: Liegt dadurch besonderer Druck auf einem oder beflügelt dieser Umstand sogar?
Es beflügelt einen eher, man freut sich unheimlich. Keiner von uns hat bislang so ein großes Turnier in Deutschland gespielt. Man konnte es im Spiel gegen die Niederländer sehen: Ausverkauftes Haus, super Stimmung – auch gegen Frankreich war das Stadion fast voll und die Stimmung herausragend. Dementsprechend beflügelt das nur, da gibt es keinen, der besonderen Druck verspürt, sondern nur Freude.
Glauben Sie, diese Heim-EM kann Feldhockey in Deutschland einen Schub geben? Wie nehmen Sie die Stimmung wahr?
Einen gewissen Schub hat es bereits durch die WM in diesem Jahr gegeben, die der EM in Mönchengladbach bezüglich der Zuschauerzahlen und Vorfreude unglaublich geholfen hat. Das merkt man auch: Die Stimmung im Stadion ist grandios, außerdem bekommt man viele Nachrichten. Die Aufmerksamkeit ist generell größer geworden, das merkt man auch anhand der Medienanfragen – da muss mittlerweile viel mehr koordiniert werden. Da ist einiges los.
Sie sind mittlerweile 36 Jahre alt, haben etliche Turniere und fast 300 Länderspiele bestritten. Wie ordnet sich dieses Turnier in ihre bisherige Vita ein und wie interpretieren Sie Ihre Rolle im Team?
Dieses Turnier siedle ich schon sehr weit oben an, da es eine Heim-EM ist. Die Voraussetzungen sind top, es läuft gerade auch super – wie gesagt, niemand von uns hat bislang ein Heimturnier gespielt und dementsprechend ist es etwas Besonderes. Vor dem heimischen Publikum zu spielen, die Leute richtig mitnehmen zu können, ist eine coole Sache.
Meine Rolle im Team hat sich in den letzten Jahren nicht sonderlich verändert - unabhängig davon, dass ich der älteste Spieler im Team bin. Die Aufgaben sind über Jahre gleich oder zumindest ähnlich geblieben: Man soll sein Spiel machen, die eigene Erfahrung einbringen, in gewissen Phasen mal einen O-Ton bringen oder die Jungs für ein Vier-Augen-Gespräch zur Seite nehmen. Man kann auch vorweggehen, ohne ein Lautsprecher zu sein.
Sie haben die historische Chance, innerhalb eines Kalenderjahres sowohl Welt- als auch Europameister zu werden - ausgerechnet beim ersten großen Feldhockey-Turnier in Deutschland seit 2011. Und dann winkt den neuen Europameistern auch noch ein Ticket für die Olympischen Spiele 2024 in Paris. Würde der EM-Sieg eher das perfekte Ende für Sie bedeuten oder aber den Hunger wecken, nun auch eine olympische Medaille zu ergattern?
Sie spielen wahrscheinlich auf ein mögliches Karriereende an – das wird auf keinen Fall passieren. Ich habe vornherein gesagt, dass ich mit bis 2024 verpflichte und voll dabei bin – unabhängig davon, wie die Turniere verlaufen werden. Die Fragen wurden natürlich schon während der WM im Januar gestellt und schon da habe ich dieselbe Antwort gegeben.
Es macht mir immer noch unheimlichen Spaß, ich habe noch Bock drauf. Ich mache auf jeden Fall bis nächstes Jahr weiter.
Sie treffen am Freitag (21.00 Uhr) im Halbfinale auf England. Auf was für ein Spiel stellen Sie sich ein und welche Chancen rechnen Sie sich auf das Erreichen des EM-Finals aus?
Es wird ein unheimlich schwieriges Spiel. England hat sich ebenfalls im Turnierverlauf gut gesteigert, man konnte bei ihrem Sieg über Spanien sehen, zu was sie imstande sind. Sie sind eine sehr unangenehme Mannschaft, die sehr körperlich spielt, sehr viel läuft – daher wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein athletisches Spiel. Wir haben in den letzten Jahren oft gegeneinander gespielt und wissen, was auf uns zukommt. Es wird ein körperliches Spiel auf hohem Niveau gegen einen Gegner, der über die letzten Spiele deutlich stärker geworden ist.
Wir müssen uns optimal vorbereiten und müssen uns darauf einstellen, dass gewisse Dinge, die wir uns vornehmen werden, nicht funktionieren werden. Das ist ein Topgegner, die wollen auch ins Finale. Da erwarte ich eine krasse Gegenwehr. Wir müssen eine Topleistung abrufen.
Wie bewerten Sie die bisherige Turnierleistungen der deutschen Frauen, die ebenfalls ins Halbfinale eingezogen sind?
Wir schauen die Spiele hier immer in einer großen Gruppe, das ist auch für uns eine angenehme Abwechslung und wir feuern sie an. Sie haben sich auch von Spiel zu Spiel gesteigert und ihre Spiele souverän gestaltet. Ich wünsche mir, dass sie genau so weitermachen und drücke ihnen die Daumen, weil es eine coole Sache wäre, wenn beide deutschen Teams das Finale erreichen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Marc Schwitzky, rbb Sport.
Sendung: rbb24, 24.08.2023, 18.15 Uhr
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