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Nach zwei Auftaktniederlagen

Sieben Erkenntnisse aus dem Saisonstart von Hertha BSC

Hertha BSC hat mit zwei Niederlagen einen Fehlstart in der Zweitligasaison hingelegt. In den bisherigen Auftritten der Berliner vermischten sich Probleme mit positiven Erkenntnissen. Ein Saisonbeginn zwischen Hoffnung und Zweifel. Von Marc Schwitzky

Die schwere Kaderplanung von Hertha BSC

Blau-weißes Wimmelbild

Das frisch geschossene Mannschaftsfoto von Hertha BSC sorgt für Aufsehen. Gespickt mit Spielern, die in wenigen Wochen, Tagen oder sogar nur Stunden womöglich gar nicht mehr in Berlin sind, zeigt es: Die Kaderplanung des Zweitligisten ist komplex. Von Marc Schwitzky

Erkenntnis 1: Es herrscht zu viel Unruhe im Kader

Ob Trainer Pal Dardai, Sportdirektor Benjamin Weber oder Präsident Kay Bernstein: bislang will kein Verantwortlicher von Hertha BSC die Frage nach dem Saisonziel konkret beantworten. Sie alle verweisen auf den Umstand, dass der Spielerkader des Bundesliga-Absteigers bei Weitem noch nicht fertiggestellt ist und sich so das volle Leistungsvermögen nicht genau bemessen lässt. Zehn externe Neuzugänge, mehrere hochgezogene Eigengewächse und 17 Abgänge – der Kader von Hertha ist eine gewaltige Baustelle, die nach wie vor nicht abgeschlossen ist. Nahezu jeden Tag ergibt sich derzeit personell etwas Neues bei den Blau-Weißen – und das zeigt sich auf dem Platz. Die Unruhe im Kader fordert ihren Tribut.

Zwar wissen Herthas Spieler aufgrund der Arbeit von Pal Dardai grundsätzlich, was sie auf dem Feld zu tun haben, die neu zusammengestellte Mannschaft weist jedoch deutliche Defizite in der Feinabstimmung auf. Nahezu unzählige Szenen werden nicht sauber ausgespielt, weil noch keine Automatismen entwickelt wurden. Das reicht nicht, um gut eingespielte Defensivreihen wie die von Düsseldorf und Wiesbaden vor Probleme zu stellen. Hier wird es Geduld brauchen, bevor Herthas Zahnräder wirklich ineinandergreifen.

Erkenntnis 2: Vermeintliche Achsenspieler sind noch keine

Nun sollte es nicht verwundern, dass Neuzugänge Zeit zur Eingewöhnung brauchen. Das Problem ist allerdings, dass sich die Neuankömmlinge bislang nicht an den Spielern orientieren können, die vor Saisonbeginn als Achsenspieler und Leistungsträger der Berliner galten.

Marc Oliver Kempf und Marco Richter sollten beide zu wichtigen Korsettstangen der neuen Saison werden. Richter wurde sogar zum neuen Mannschaftskapitän ernannt. Doch beide werden seit Herthas Abstieg mit einem Wechsel in Verbindung gebracht. So scheint es kein Zufall zu sein, dass jene beiden Spieler bislang am weitesten hinter ihrem eigentlichen Potenzial bleiben und auf dem Platz wenig fokussiert wirken.

Marc Oliver Kempf zeigt derzeit nicht die Leistungen, die man sich von ihm bei Hertha BSC erhofft. (Foto: picture alliance/dpa | Soeren Stache) | Quelle: picture alliance/dpa | Soeren Stache

Ein weiterer Achsenspieler sollte Florian Niederlechner sein. Der 32-jährige Mittelstürmer hat sich im Gegensatz zu Kempf und Richter der Aufgabe in Liga zwei klar verschrieben, trotz dessen ging er bislang nicht mit Leistungen voran. Bis zu seiner Verletzung im Spiel gegen Wiesbaden wirkte Niederlechner eher wie ein Fremdkörper im Spiel seiner eigenen Mannschaft und strahlte wenig Torgefahr aus.

So ergeben sich bislang wenig Konstanten in Herthas Spiel. Wie sollen Richter, Kempf und Niederlechner anderen Halt geben, wenn sie sich selbst noch gar nicht gefunden haben? Derzeit ist nicht abzusehen, wie Herthas Achse für die noch junge Saison aussehen wird. Erst mit dem 1. September, wenn das Transferfenster geschlossen hat, wird Klarheit herrschen – mit Kempf, Richter und Niederlechner oder ohne sie.

Erkenntnis 3: Zentrum ist der Grund für das Offensivproblem

Richters Formschwäche kommt ohnehin zu einem ungünstigen Zeitpunkt, denn auch eine Reihe hinter ihm hat Hertha große Probleme im Zentrum. Sowohl durch die Vorbereitung als auch die ersten beiden Ligaspiele haben aufgezeigt, wie schlecht es um die innere Mitte der "alten Dame" steht. Richter hält seine Position im Zentrum zu selten und versucht stets das Spektakuläre anstatt wirklich mannschaftsdienlich zu spielen. Dazu agiert die Doppelsechs aus Marton Dardai und Pascal Klemens zu defensiv und statisch.

So fehlt es an Offensivläufen, dem nötigen Aktionsradius und durch fehlendes Nachschieben vor allem dem Gewinnen von den so wichtigen zweiten Bällen. Hertha vermisst das verbindende Element. Das Ergebnis: Herthas Angriffsspiel ist zu sehr von den Flügeln abhängig – das weiß auch der Gegner, der die Außenbahnen zustellen und sich auf Flanken einstellen kann. Die gut organisierten Abwehrreihen Düsseldorfs und Wiesbadens hatten wenig Probleme mit Herthas Offensivbemühungen, denen das Überraschungselement fehlt.

Analyse | Herthas Niederlage gegen Wiesbaden

Wie ein schlechter Film

Hertha BSC verliert auch das zweite Saisonspiel und legt einen Fehlstart hin. Die Heimniederlage gegen Aufsteiger Wehen Wiesbaden hat erneut klar aufgezeigt, woran es den Berlinern mangelt. Es sind Probleme, die nicht nur mit Geduld zu lösen sind. Von Marc Schwitzky

Erkenntnis 4: Hertha sucht seinen Knipser

Hertha BSC ist das einzige Team der 2. Bundesliga, das noch kein Tor erzielen konnte. Das liegt an den benannten Problemen im Angriffsspiel, aber auch am Fehlen eines echten Knipsers im Sturmzentrum. Wie bereits beschrieben, konnte Niederlechner bislang nicht zur erhofften Lebensversicherung werden. So legte Hertha mit Smail Prevljak und Haris Tabakovic personell gleich doppelt nach. Die drei Angreifer hatten in den ersten beiden Spielen jeweils durchaus Chancen auf einen Treffer, nutzen diese aber noch nicht.

Im Laufe der Saison wird es definitiv einen zuverlässigen Torlieferanten brauchen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt: die Spiele der 2. Liga sind meist so eng, dass nur ein echter Knipser für den entscheidenden Unterschied sorgen kann: Robert Glatzel beim Hamburger SV, Simon Terodde bei Schalke 04, Tim Kleindienst beim FC Heidenheim, Marvin Ducksch und Niclas Füllkrug bei Werder Bremen. Ohne einen Stürmer, der 15 bis 20 Tore beiträgt, wird es für Hertha sehr schwer, Spiele für sich zu entscheiden und in einen in dieser Liga so wichtigen Lauf zu kommen.

Erkenntnis 5: Hertha ist zumindest stabil

Doch bei allem, was Hertha aktuell noch Probleme bereitet und in der Mannschaft hakt, lässt sich positiv festhalten, dass es Trainer Dardai gelungen ist, in der Vorbereitung den Grundstein für ein stabiles Gefüge zu legen. Anders als in den Vorjahren wirken die Blau-Weißen in ihrem Auftreten sehr geschlossen und stabil. Gegen den Ball ist durch das sehr wache und disziplinierte Verteidigen Dardais Handschrift klar zu erkennen.

Es ist bei solch einem immensen Umbruch alles andere als selbstverständlich, derart stabil zu agieren. Hertha lässt wenig Torchancen zu, nimmt die Körperlichkeit der Liga vollends an, strahlt einen echten Teamgeist aus und hat die Anzahl individueller Fehler deutlich reduziert. Es ist das Fundament für alle weiteren Aspekte eines Fußballspiels. Kurzum: es wäre deutlich gravierender, müsste bei Hertha erneut am Grundsätzlichen dieses Sports gezweifelt werden als beispielsweise der offensiven Feinjustierung.

Kommentar | Wettanbieter als neuer Sponsor

Hertha BSC verrät seine eigenen Werte

Hertha BSC hat am Freitag das Unternehmen Crazybuzzer – ein Online-Casino und Wettanbieter – als neuen Hauptsponsor vorgestellt. Damit bricht der Hauptstadtverein und vor allem Präsident Kay Bernstein mit den eigenen Werten. Ein Kommentar von Marc Schwitzky

Erkenntnis 6: Ein Durchmarsch Herthas durch die 2. Liga ist unwahrscheinlich

Etwas, das Teile der Mannschaft und Fans von Hertha derzeit lernen dürften, ist, die Qualität der 2. Bundesliga schätzen zu lernen. Wer von einem Durchmarsch des Hauptstadtvereins ausgegangen ist, hat auch die Rechnung mit den anderen Mannschaften nicht gemacht. Die Spiele gegen Düsseldorf und Wiesbaden haben gezeigt, dass diese Liga beileibe kein einfaches Pflaster ist.

Zweitligateams haben in der Regel eine sehr gute Struktur, arbeiten überaus diszipliniert und intensiv gegen den Ball. Die Qualität ist in den letzten Jahren immer höher geworden. So sind Zweitligisten bemerkenswert kompliziert zu bespielen, ein leichtfüßiges über sie Hinüberfahren wird es selten geben. Es ist alles andere als selbstverständlich, in der 2. Liga mitzuhalten, geschweige denn sie zu dominieren. Hertha lernt diese Lektion gerade.

Dabei ist positiv festzuhalten, dass die Berliner Verantwortlichen davon nicht schockiert sind. Es wurden vor Saisonbeginn keine Luftschlösser erbaut und falsche Erwartungen geweckt, sodass man trotz schwachen Starts bei sich bleibt und kein Chaos zulässt. Demut wird helfen, jedes Spiel in dieser Liga mit dem nötigen Respekt anzugehen.

Erkenntnis 7: Die Aufbruchsstimmung ist da, aber fragil

Vier Jahres des absoluten Chaos. Eine Enttäuschung nach der anderen. Ein wirtschaftlicher Totalschaden. Der Abstieg. Hertha-Fans hätten allen Grund gehabt, spätestens in diesem Sommer mit ihrem Verein zu brechen. Doch im Gegenteil: in der vergangenen Saison wurde trotz schwacher Ergebnisse ein neuer Zuschauerrekord im Olympiastadion aufgestellt, es gab nach dem feststehenden Abstieg viele neue Vereinsmitglieder und der Dauerkartenverkauf für die neue Saison lief herausragend an. Eine "Jetzt erst recht"-Attitüde der Fans ist zu spüren.

Doch bereits die ersten Wochen der neuen Saison zeigten, dass auch jene Aufbruchsstimmung nicht bedingungslos ist. Dafür spielten zum einen die enttäuschenden Ergebnisse, aber vor allem Ereignisse außerhalb des Platzes eine Rolle. Der Wechsel von Lucas Tousart zu Stadtrivale Union Berlin, die Verpflichtung von Ex-Unioner Toni Leistner, der Vorfall mit Marius Gersbeck im Trainingslager und dass Online-Casino wie Sportwettenanbieter Crazybuzzer als neuer Hauptsponsor vorgestellt wurde, haben erkennbare Dellen in der Aufbruchsstimmung der Fans hinterlassen.

Hertha-Fans kritisieren Herthas neuen Hauptsponsor. (Foto: picture alliance/dpa | Soeren Stache) | Quelle: picture alliance/dpa | Soeren Stache

Derzeit kann Hertha noch voll auf die Unterstützung seiner Anhängerschaft zählen, doch sollten sich demnächst keine sportlichen Erfolgserlebnisse einstellen und die Identifikation mit den Verantwortlichen, die aufgrund ihrer Verbundenheit mit dem Verein einen Vertrauensvorschuss erhalten haben, weiter bröckeln, könnte die fragile Stimmung im und um den Verein schnell wieder einbrechen.

Sendung: rbb24 inforadio, 10.8.23, 22.00 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

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