Kommentar | Wettanbieter als neuer Sponsor
Hertha BSC hat am Freitag das Unternehmen Crazybuzzer – ein Online-Casino und Wettanbieter – als neuen Hauptsponsor vorgestellt. Damit bricht der Hauptstadtverein und vor allem Präsident Kay Bernstein mit den eigenen Werten. Ein Kommentar von Marc Schwitzky
"Stell dir vor, Hertha BSC verzichtet auf die schmutzige Sportwetten-Kohle", beginnt Kay Bernstein seinen "Sponsoring-Kodex", den er als künftiger Präsident im Verein einführen will. "Grundsätzlich müssen alle Sponsorings auf Ethik und Zukunftsfähigkeit geprüft werden." Die Ausrede "Wir brauchen aber das Geld" wäre eines Vereins wie Hertha BSC nicht würdig. Man würde als Herthaner nicht "jeden Scheiß" mitmachen, "schmutzige Sportwetten-Kohle" ablehnen und "doppelt so hart" an Alternativen arbeiten.
Diese Worte stammen aus Bernsteins Wahlprogramm aus dem Frühling 2022. Damals stellte der 42-Jährige eine opulente Sammlung an Ideen, Idealen und konkreten Umsetzungen vor, die ihn als Herthas Präsident auszeichnen sollten. Nach seiner Wahl zum Präsidenten im Juni vergangenen Jahres musste Bernstein schon mehrmals mit seinen Prinzipien brechen, doch nun ist wohl zum ersten Mal von einem Werteverrat zu sprechen.
Hertha BSC hat Crazybuzzer am Freitag als neuen Hauptsponsor vorgestellt. Das Unternehmen ist Teil von Merkur-Gauselmann und erst vor wenigen Tagen als Online-Plattform für Sportwetten und Automatenspiele an den Start gegangen. Damit ist Crazybuzzer exakt das, was Bernstein verachtet und verhindern wollte. Zukünftig wird ein zugegebenermaßen überaus hässliches "B" mit rotem Rund die Brust des Hertha-Trikots zieren.
Bernstein musste in seinem ersten Jahr als Hertha-Präsident schon viele Kröten schlucken und zugestehen, Fehler gemacht zu haben – ob in der Einschätzung von Situationen oder konkreten Handlungen. Es gibt keine Dauerkarte für 189,20 Euro, es wird keine Summe X pro Trikot an Bolzplätze gespendet, es gibt immer noch kaum Ruhe im Verein und den Gremien, die Abschiedskultur Herthas hat immer noch gewaltige Defizite.
Nun mögen einige dieser Dinge klar als Utopie gekennzeichnet gewesen und andere ein langwieriger Prozess sein, den es noch nicht endgültig zu bewerten gilt. Doch Sponsorings von Wettanbietern? Hier schien Bernsteins Haltung nicht verhandelbar zu sein, doch nun macht er sich öffentlich unglaubwürdig.
"Ich habe in meinem Umfeld gesehen, wie schnell junge Menschen in diese Falle tappen können. (…) Das Wetten gab es zwar schon immer, aber in den letzten drei Jahren hat sich das nochmal geändert", erzählte Bernstein im Juni 2022 in einem Interview mit "t-online". "Wir machen Sky, DAZN oder Amazon an und kommen an diesem Thema nicht vorbei. Mir geht es darum zu sagen: Brauchen wir dieses Geld? Wir sollten nicht die Fans in die Hände der Wettmafia jagen."
Nahezu perfide wirkt in diesem Licht die Aussage von Crazybuzzer, man hoffe, "dass die Anhängerinnen und Anhänger mit dem Buzzer noch viel Spaß haben werden – auf dem Trikot sowie online auf unserer Plattform." Die Website des Online-Casinos und Wettanbieters ist in Herthas Pressemitteilung dank Link bequem mit nur einem Mausklick zu erreichen – viel direkter kann man seine Fans nicht in die Hände jener "Wettmafia" jagen. So viel dazu.
Dass es kaum einen größeren Verrat an den eigenen Werten gibt und das neue Sponsoring eine herbe Niederlage ist, werden auch die Verantwortlichen bei Hertha selbst wissen. Allein der späte Zeitpunkt – die Pflichtspielsaison hat immerhin bereits begonnen – zeigt bereits, dass sich der Klub mit jener Entscheidung schwergetan haben muss.
Hertha gehörte zu den wenigen deutschen Profivereinen, die vor wenigen Tagen noch keinen Hauptsponsor auf der Trikotbrust trugen. Der FC Schalke 04 hat erst vor einer Woche Veltins als neuen Hauptsponsor präsentiert – und ob ein Alkoholhersteller, wenn jeglicher Kult beiseitegelegt wird, moralisch vertretbarer als ein Wettanbieter ist, lässt sich diskutieren. Der VfB Stuttgart musste mit Winamax vor wenigen Tagen ebenfalls auf einen Online-Wettanbieter zurückgreifen, Drittligist SV Waldhof Mannheim präsentierte erst am Donnerstag ebenso Crazybuzzer als neuen Hauptsponsor.
Corona, Krieg, Inflation – der Sponsoringmarkt im Fußball ist nahezu ausgetrocknet. Das spürt Hertha bereits seit Jahren, in denen der Verein ein Sponsoring-Deal nach dem anderen überaus spät und wenig enthusiastisch präsentiert. Dass die "alte Dame" aufgrund der vergangenen Jahre darüber hinaus keinesfalls als attraktiver Sponsoring-Partner gilt, kommt noch erschwerend hinzu. Solch eine undankbare Marktsituation schreckt seriöse Unternehmen ab und lockt umso mehr die fragwürdigen, die um jene Notlage wissen, an. Der Crazybuzzer-Deal zeigt die gesamte wirtschaftliche Verzweiflung von Hertha BSC auf.
Und doch ist das Ergebnis dasselbe: mit einem Online-Casino- und Wettanbieter auf der Brust und den eigenen medialen Plattformen zu werben, ist moralisch nicht vertretbar und schadet der Glaubwürdigkeit Bernsteins massiv. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sind in Deutschland rund 430.000 Menschen von einem problematischen Glücksspielverhalten oder einer Glücksspielsucht betroffen. Die BZgA-Studiendaten zeigen auf, dass nahezu jeder fünfte Spielende von Online-Casinospielen ein problematisches oder abhängiges Spielverhalten zeigt. Hertha BSC könnte zukünftig zu diesen Zahlen beitragen – Zahlen, die in kaputten Familien und Leben enden können.
Nun könnte vom ernüchterten Fußball-Fan das Argument hervorgebracht werden, dass es nun niemanden mehr verwundern sollte, dass Profiklubs für Geld ihre Werte verkaufen. Tausend Mal gesehen und erlebt. Zum einen zeigt das aber nur den ethisch erbärmlichen Zustand dieses Sports auf. Zum anderen ignoriert jenes Argument, dass Präsident Bernstein sich bewusst als "anderer" Präsident und Hertha als "anderen" Verein aufbauen und inszenieren will. Die Berliner lehnen sich seit einiger Zeit sehr gezielt in die Richtung der Fußballromantik – Sponsorings wie diese höhlen all das jedoch aus.
Bernstein muss derzeit schmerzlich lernen, wie unromantisch das Fußballgeschäft und Herthas finanzielle Realität ist. Eine Utopie bleibt eine Utopie. Nach und nach muss er mit seinen Prinzipien brechen oder sie zumindest aufschieben. Die Frage ist, ob es Bernstein bei diesem moralischen Spagat irgendwann zerreißt. Ob die Hertha-Fans irgendwann kein Verständnis mehr für die verzwickte Situation der Verantwortlichen und die "Alternativlosigkeit" der eingeschlagenen Wege aufbringen können.
Am Ende wird die Erklärung für das Crazybuzzer-Sponsoring "Wir brauchen aber das Geld" heißen. Nur ist diese Ausrede eines Vereins wie Hertha BSC vermeintlich nicht würdig.
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.08.2023, 15:15 Uhr
Beitrag von Marc Schwitzky
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