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Fashion-Trend "Blokecore"

Weshalb der Fußball die Mode erobert

Auf Tiktok haben Videos unter dem Schlagwort "Blokecore" mehrere hundert Millionen Aufrufe. Auch auf Berlins Straßen ist der Trend, Trikots zu tragen, längst angekommen. Damit könnte er dem Fußball aus einer Sackgasse helfen. Von Ilja Behnisch

Wir wollen mal nicht übertreiben, schließlich sind wir hier bei den Öffentlich-Rechtlichen. Sonst müsste man jetzt schreiben: Der Fußball, er stirbt ja bekanntlich. Aber das ist zum Glück Quatsch, denn dafür ist das Spiel viel zu genial und groß und überhaupt. Das kriegt auch der sogenannte moderne Fußball nicht unter die Erde. Auch wenn er sich wirklich Mühe gibt mit Sportswashing, Korruption und Geldmacherei.

An Bedeutung aber verliert er auf Sicht wohl schon. Zumindest in Deutschland. Zwar sind die Fußball-Stadien noch voll, doch der Nachwuchs hat offenkundig zunehmend weniger Interesse am einst liebsten Kind der Republik. "Die jüngeren Zielgruppen haben einfach nicht mehr die Aufmerksamkeitsspanne, sich 90 Minuten lang ausschließlich ein Spiel anzusehen", sagte im Sommer 2022 Donata Hopfen, zu diesem Zeitpunkt mittendrin in ihrer einjährigen Amtszeit als Geschäftsführerin der Deutschen Fußball Liga (DFL).

Trikots ohne Lokal-Bezug

Viel lieber schauten sich die, Achtung, Boomer-Alarm, "Kids" auf Tiktok ein paar Highlight-Videos globaler Super-Teams und -Stars an. Und tatsächlich, wer einmal an einem Schulhof vorbei schlenderte dieser Jahre, sah mehr Mini-Messis beim Nachstellen einzelner Kunststückchen als traditionelle Partien Fünf gegen Fünf. Und auch die Trikots, die die, sorry, "Kids" dabei trugen, ließen nicht unmittelbar darauf schließen, sich gerade durch, zum Beispiel, Berlin zu bewegen.

Barcelona-, Paris- und Manchester-Trikots sind auf den Sportplätzen längst klar in der Überzahl. Auch wenn der Raketenflug von Union Berlin eindeutig verhaftet und in Form von getragenen Trikots sichtbar wird in der Stadt. Und horchen Sie doch mal in sich hinein und beantworten folgende Frage: Wann haben Sie zuletzt jemanden in einem Hertha-Trikot gesehen? Also jenseits der selbstkasteienden Spieltags-Pilgerfahrer der Hertha-Fans zum und vom Olympiastadion.

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Wie "Sergeant Pepper" von den Beatles

Sollte Ihnen beim mutigen Sortieren der Erinnerungen der Gedanke gekommen sein, Sie hätten zuletzt zwar kein Hertha-Trikot, aber doch erstaunlich viele andere, oft internationale Fußball-Shirts gesehen, dann täuscht Ihr Eindruck nicht. "Blokecore" (von englisch "bloke", "Kerl") nennt sich die modische Erscheinung, die bezeichnet, dass junge Männer und Frauen, mindestens aber modische Männer und Frauen sich das Trikot zur Alltags-Klamotte gemacht haben. Angefangen hat der Trend, Fußball-Trikots auch außerhalb des Stadions oder Spielfelds zu tragen, auf der Kurzvideo-Plattform Tiktok. Doch längst ist er auch auf die Straßen geschwappt.

Eine wirkliche Zuneigung zum Verein, den das Trikot eigentlich repräsentiert, ist dabei meistens nicht gegeben. Vielmehr geht es schlicht um rein optische Gesichtspunkte. Es gibt Fußball-Fans, die dafür viel Verständnis aufbringen werden. Schließlich können manche auch viele Jahre nach ihrem erstmaligen Auftreten noch von Geniestreichen des Trikots-Designs schwärmen, ganz unabhängig von der eigenen Vereinsliebe.

Es ist, als würde man von Jahrhundert-Platten sprechen und natürlich "Sergeant Pepper" von den Beatles aufzählen, auch wenn man selbst gar kein so großer Fan der Fab Four ist. Auch unter Trikot-Aficionados gibt es eine Art Nomenklatur und Bestandswissen. Es gibt die seltenen Perlen (das rosa Trikot des Hamburger SV zum Ende der 70er-Jahre), den allseits anerkannten Indie-Klassiker (Bochums vielfarbiges Faber-Lotto-Trikot 1997/98) oder Stil-Ikonen, die bis heute in Designs zitiert werden (Deutschlands WM-Trikot 1990). Warum aber schafft es das Trikot ausgerechnet jetzt in den Mode-Mainstream?

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Ursprung im Hip-Hop?

Vielleicht ist wie so häufig die Popkultur schuld. Seit Jahren werden vor allem im Hip-Hop viele Parallelen zum Fußball gesucht und gefunden. Besonders französische Superstars wie Kylian Mbappé oder Paul Pogba werden als Gleichgesinnte der Rapper angesehen. Underdogs, die es aus Frankreichs Problem-Vororten heraus und in den Reichtum geschafft haben. Mit dem Mikro in der Hand. Oder dem Ball am Fuß. Es ist die Erzählung vom Außenseiter, für den in der Mehrheits-Gesellschaft eigentlich kein Platz vorgesehen war. Eine Erzählung, die längst zur internationalen Chiffre geworden ist. Beim Berliner Rapper Capital Bra heißt es dann etwa, er "bunkere lila Scheine in der Jacke von Paris". In seinen Videos trägt "Capi", wie er von seinen Fans liebevoll genannt wird, dann auch gern mal die entsprechenden Trainingsjacken von PSG oder dem AC Mailand. Seine Fans tun es ihm gleich. Ist die Mode so auf den Geschmack gekommen?

Vielleicht eine Geste der Versöhnung

Auffällig am "Blokecore" ist allerdings, dass die Trikots nicht nur häufig von eher unbedeutenden Vereinen stammen, sondern fast ausschließlich auch Oversize getragen werden. Während man sich beim hautengen Trikot des tatsächlichen Fußball-Fans ein "Bier formte diesen Körper" leider oftmals mitdenken muss, kommt das Fashion-Piece Fußball-Trikot in der Regel mindestens eine Nummer zu groß daher. Vielleicht also ist das Trikot nurmehr eine Anspielung?

Vielleicht heißt Oversize gerade: Die Dinge anders tragen, als sie gemeint sind. So wie viele Frauen die (zu großen) Shirts ihrer Partner als Schlaf-Shirt tragen. Wie sie die sogenannten Mom- und Dad-Jeans (Mom- und Dadcore) tragen. Oder ganz bewusst No-Name-Produkte (Normcore). Und vielleicht ist "Blokecore" dann einfach auch eine Geste der Versöhnung. Frei nach dem Motto: Seht her, wir verstehen es jetzt, Fußball hat eine schöne Seite.

Mode als Hilfestellung

Vielleicht ist aber auch das Gegenteil der Fall. Mode ist immer auch ein Tabu-Bruch. Wer Mode trägt und nicht nur Kleidung, der will auffallen. So schaffte es der Punk auf den Laufsteg. Und vielleicht auch der Fußball. Der prollige Fußball, die heilige Dreifaltigkeit aus Bier, Bratwurst und Schweißgeruch, hat das Stadion verlassen, und wird über die Gehsteige der Großstadt getragen. Es ist, als würde man mit althergebrachten Bildern von Männlichkeit kokettieren, um sie damit erst recht der Lächerlichkeit preiszugeben.

Vielleicht ist "Blokecore" aber auch eine subversive Hilfestellung für alle Verzweifelten. Für die, die den Fußball immer noch lieben, obwohl er sich alle Mühe gibt, sie zu verprellen. Vielleicht lautet die Botschaft also: Du kannst es nicht ändern. Aber gut aussehen. Und es ist egal, welche Erfolge mit deinem Trikot verbunden werden. Hauptsache, du trägst es gern. Womit man nah dran wäre am Kern des Fußballs. Und auch an mindestens einer Erklärung, warum er niemals sterben wird.

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.08.2023, 09:15 Uhr

Beitrag von Ilja Behnisch

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