Neue Turniere mit Influencern
Abseits des Profifußballs entstehen neue Turnierformate, die online Millionen Menschen begeistern. Kleinere Felder und Regeln wie beim Uno-Spiel sorgen für Spannung. Entsteht hier neue Konkurrenz für den klassischen Fußball? Von Shea Westhoff
Ein Blick nach Barcelona zeigt, dass der klassische Fußball, wie er über ein Jahrhundert lang praktiziert wurde - 90 Minuten, elf gegen elf - nicht mehr die Monopolstellung in der Unterhaltungsbranche mit dem getretenen runden Leder besitzt.
Januar 2023: Das größte Fußballstadion Europas, das Camp Nou, ist restlos ausverkauft, mit mehr als 90.000 Zuschauern. Sie sehen aber kein normales Fußballspiel. Sondern ein Kleinfeldturnier, sieben gegen sieben. Die Regeln erscheinen abgedreht, aber sie machen das Spiel kurzweiliger. Akteure können zum Beispiel sogenannte Action-Spielkarten ziehen, mit denen sie einen Strafstoß zugesprochen bekommen oder das nächste Tor doppelt zählt.
Anführer der Teams sind Influencer, also junge Geschäftsleute mit Hunderttausenden Followern bei Instagram, Tiktok und Twitch. Mit ihnen kann die Internet-Community während der Partien online interagieren und damit indirekt am Spiel teilnehmen. Überall sind Kameras installiert, auch in den Umkleiden.
Der ehemalige Barca-Spieler Gerard Piqué ist Initiator und omnipräsenter Schirmherr der "Kings League", wie das Entertainment-Programm heißt. Piqué hat einstige Superstars wie Ronaldinho und Sergio Agüero an Bord geholt, die der Liga zusätzliche Anhängerschaft sichern. Der Start im Januar lief erfolgreich. Mehr als eine Million Menschen verfolgten die Spiele über die Streaming-Kanäle.
Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, den neuen Markt zu besetzen. So sollen der Business-Plattform "OMR" [omr.com] Informationen vorliegen, denen zufolge BVB-Profi Mats Hummels ein neues Format à la Piqué vorschwebt. 15 Streaming-Stars sollen demnach schon zugesagt haben.
Ist das, was da angetrieben durch Online-Stars entsteht, ein separates Geschäft? Oder muss der analoge Fußball, der jahrzehntelang so verlässlich nach gemähtem Rasen, heißer Bratwurst und nach ganz viel Geld roch, nun mit neuen Konzepten aus dem Internet konkurrieren?
Welchen realen Hype Influencer auslösen können, zeigte sich am Dienstag. Nur zwei Stunden, nachdem das neue Trikot der Fußballmannschaft "Delay Sports Berlin" auf der Sportartikelplattform "11Teamsports" vorgestellt wurde, war es vergriffen. Dabei handelt es sich um einen Kreisligisten, neunte Liga.
Gründer des Klubs ist Elias Nerlich. Der 26-Jährige war einst E-Sportler bei Hertha BSC und ist mittlerweile Streamer und Kontaktpfleger zu seiner Community, die allein auf Instagram über eine Million Mitglieder zählt.
Nerlich hat es verstanden, abseits des Profigeschäfts ein erfolgreiches Fußball-Entertainment zu etablieren. Zu den Spielen seines Kreisligisten kommen mehr Zuschauer als zu manch ambitioniertem Regionalligisten. 4.500 waren es allein zum Auftaktmatch in der Vorsaison. Aber nicht nur im Ligabetrieb des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ist er aktiv. Am 9. September findet in der Berliner Mercedes-Benz-Arena die dritte Ausgabe des sogenannten "Real Life Eligella Cups" statt, einem Hallenfußballturnier mit Teams, die von Influencern angeführt werden.
Die Karten für das Event seien schon fast ausverkauft, sagt Nerlich, der erneut mit Delay Sports antreten wird.
Warum ist Elias Nerlich so erfolgreich? "Ich sitze auch manchmal abends auf meinem Bett und frage mich, warum uns die Leute so supporten", sagt er. Nerlich ist ein Berliner Junge, charmant, clever - und wirkt ziemlich normal. Ist genau das sein Erfolgsgeheimnis?
User können ihn an der Konsole zocken sehen, man hört ihn fluchen, man begleitet ihn und seine Partnerin Melina per Youtube im Griechenlandurlaub. Dieses Prinzip der Offenheit gilt auch für den von ihm und Creator-Kollege Sidney Friede mitgegründeten realen Fußballverein: "Es ist alles echt bei uns. Wir interagieren mit unseren Zuschauern, wollen sie mitnehmen", sagt er. "Wir veröffentlichen unser Training und unseren Werdegang auf Youtube und Twitch. Da ist nichts versteckt."
Es geht um Authentizität - oder zumindest den Eindruck davon. "Der Wunsch nach Nähe und einem Blick hinter die Kulissen ist enorm", sagt Marvin Ronsdorf, der bei Apollo 18, einer Agentur für Sportvermarktung, arbeitet. Der Boom an Sport-Dokumentationen zeuge von der Sehnsucht nach glaubwürdigen Geschichten von Athletinnen und Athleten.
Ronsdorf kümmert sich seit 2018 um das digitale Storytelling der Olympia-Delegationen des Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Es handelt sich, vereinfacht gesagt, um eine Foto- und Videodokumentation der Athletinnen und Athleten über die sozialen Medien. "Es ist das eine, wenn du im Fernsehen siehst, wie Sascha Zverev seine Goldmedaille auf dem Podium in die Kamera hält. Es ist etwas anderes, wenn du siehst, wie er im Olympischen Dorf ankommt und ihn sagen hörst: 'Das waren die zwei schönsten Wochen in meinem Leben.'"
Die Geschichten dahinter. In einer Welt der pulsierenden Informationsströme wollen Sportfans jederzeit informiert sein über ihre Idole. Fußballklubs haben deswegen ihre Öffentlichkeitsarbeit in den letzten Jahren neu aufgestellt, so Ronsdorf. Der jüngste Transfer von Harry Kane sei ein Paradebeispiel dafür.
"Bei Harry Kane gab es eine ganze Maschinerie an Content. Man konnte verfolgen, wie er vom Flughafen abgeholt wurde. Es gab eine Fotomontage mit ihm im Bayern-Trikot, noch bevor er es überhaupt zum ersten Mal anhatte. Es wurde direkt ein Interview im Klub-TV veröffentlicht", erinnert sich Ronsdorf.
Zu ergänzen wäre ein Video, das zeigt, wie der Brite auf seine neuen Mitspieler trifft. Einfach mal draufgehalten bei geschätzten 22 Umarmungen und Handshakes. Aufgerufen wurde der Clip zweieinhalb Millionen Mal, zu Hause am Rechner, auf dem Weg zur Arbeit, auf dem Klo.
Die Social-Media-Kompatibilität ist längst auch im originären Fußballgeschäft die wertvollste Währung. Das zeigt sich auch an den jüngsten Mega-Transfers: Dass in diesem Jahr Cristiano Ronaldo, Lionel Messi und Neymar Jr. mit Fabelgehältern nach Saudi-Arabien beziehungsweise Florida gelockt wurden, liegt auch an ihrer Social-Media-Reichweite.
Die drei Ballkünstler sind die mit Abstand meistgefolgten Fußballspieler überhaupt. Diesen Einfluss erkaufen sich die Klubs mit viel Geld, und ersten Erfolgen. Wer mal darauf achtet, wird neuerdings auch in Deutschland Kinder mit dem rosafarbenen Trikot des Messi-Klubs Inter Miami sowie mit der quietschgelben Tracht des Ronaldo-Vereins Al-Nassr entdecken.
Fußballbegeisterung kann in Zeiten der digitalen Prägung also bedeuten, ein Trikot eines vor Kurzem noch völlig unbekannten Klubs vom anderen Ende der Welt zu tragen. Oder in der Mercedes-Benz-Arena Influencern zuzujubeln. Oder eine Actionkarte zu ziehen, mit der das nächste Tor doppelt zählt.
Zerbröselt da gerade die klassische Verbindung zwischen Fan und Verein, die das Fußballgeschäft über mehr als ein halbes Jahrhundert durch jede Krise getragen hat?
Ein Anruf bei Michael Reschke, der rund 40 Jahre lang in verschiedenen Ämtern die Bundesliga mit prägte, etwa als Technischer Direktor des FC Bayern München und Manager bei Bayer 04 Leverkusen. Der Rheinländer betrachtet die neuen Entwicklungen entspannt. "Es ist ja nicht der Mensch Messi, der die Leute fasziniert", sagt er mit Blick auf dessen riesigen Follower-Zahlen im Netz. "Sondern es geht um den Fußball."
Natürlich gebe es hier und da Spieler, die für sich alleine regelrechte Marken mit eigener Zugkraft seien. Aber: "Wenn ich den Profifußball in Deutschland sehe, muss ich feststellen, dass die lokale Identifikation mit den Klubs immer noch überragend ist", sagt er. Zuletzt habe er sich im Stadion die beiden Heimspiele des Hamburger SV gegen Hertha BSC und Schalke 04 angeschaut.
"Wenn ich erlebe, welche Wucht der HSV in Hamburg ausstrahlt, in der ganzen Region, und dies sogar noch verstärkt wird durch den FC St. Pauli, dann sollten wir nicht befürchten, dass solche Trends unseren Sport verändern."
Auch der Hype um die spanische "Kings League" mit ihren neuen Regeln und kürzeren Spielzeiten müsse für den Profifußball nichts bedeuten. "Ich habe in den Stadien auf der ganzen Welt immer wieder faszinierende Begeisterung für den Fußball und seine Klubs erlebt. Dieses überragende Gemeinschaftsgefühl wird weiterhin eine sehr große Bedeutung besitzen."
Zurück nach Berlin und zu Elias Nerlich. "Zusätzliche Turniere ergänzen den Fußball", sagt er. Aber das werde niemals "dem richtigen Fußball Konkurrenz machen. Der richtige Fußball wird immer am Start sein", fügt er hinzu.
Angesprochen auf die neuen, dynamischeren Fußball-Formate verrät Nerlich, dass auch er gemeinsam mit seinem Management an einem neuen Konzept arbeite und dazu mit vielen Akteuren in einem guten Austausch sei. Es gehe dabei um ein Straßenfußball-Turnier. "Aber ich will noch nicht zu viel verraten", sagt er. Er habe zahlreiche Anfragen erhalten, ein neues Fußball-Konzept, vergleichbar mit der Kings League in Spanien, umzusetzen. "Richtig gefühlt habe ich es aber lange nicht", sagt er.
Aber nun, mit neuen, eigenen Ideen, könne er es sich gut vorstellen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 31.08.2023, 12:15 Uhr
Beitrag von Shea Westhoff
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