Viertelfinale gegen Lettland
Im Viertelfinale der Basketball-WM trifft Deutschland am Mittwoch auf Lettland. Johannes Thiemann von Alba Berlin spielt voraussichtlich eine Schlüsselrolle - als Impulsgeber von der Bank mit Offensivkraft. Von Jakob Lobach
Zuerst einmal gilt es, sich zu akklimatisieren. Nur leicht verschwitzt steht Johannes Thiemann am Montagabend in der WM-Arena von Manila. Moritz Wagner sitzt mit schon ausgezogenen Schuhen am Rand des Parketts, Maodo Lo nimmt im Hintergrund noch ein paar Würfe. "An die Halle gewöhnen, ein Gefühl bekommen, mehr war es nicht", sagt Thiemann über das gerade zu Ende gegangene Training. "Sehr schön, sehr hell, hier passen viele Leute rein", ergänzt er mit einem schweifenden Blick auf die 20.000 Plätze der Arena in Manila. Auf den Philippinen ist nun alles ein bisschen größer als noch in Okinawa - die Halle, die Stadt, vor allem aber die Bedeutung der Spiele.
Am Montag war die deutsche Basketball-Nationalmannschaft die Reise von der japanischen Ferieninsel in die Metropole Manila mit ihren knapp 15 Millionen Einwohnern angetreten. Nach fünf Siegen in Vor- und Zwischenrunde wartete dort am Mittwoch das Viertelfinale der diesjährigen Weltmeisterschaft gegen Lettland (10:45 Uhr). Ein Sieg gegen den bislang stark aufspielenden Außenseiter wäre für die deutsche Auswahl um Johannes Thiemann ein großer Schritt in Richtung der anvisierten Medaille.
Mit ein paar Schritten ließen sich die knapp 1.500 Kilometer Luftlinie von Okinawa nach Manila selbstverständlich nicht zurücklegen. Per Charterflugzeug ging es in die sehr volle und deswegen sehr hektische Mega-Metropole. "Der Ortswechsel bringt einen Push rein", sagte Johannes Thiemann am Abend des Reisetages. "Er zeigt: Jetzt geht es erst richtig los." In etwas weniger überspitzten Worten: Die Vor- und Zwischenrunden, in denen Deutschland als eine von nur zwei Mannschaften kein Spiel verlor und sich so zum wohl größten Konkurrenten der USA auf den WM-Titel mauserte, ist abgehakt.
An den bislang so starken Auftritten der deutschen Auswahl hat Thiemann, im Alltag Forward von Alba Berlin, einen entscheidenden Anteil. Wurde in den vergangenen Tagen von der beeindruckenden Tiefe im deutschen Kader und dem Wert der Spieler jenseits der "Starting Five" gesprochen, war indirekt auch von dem 29-Jährigen die Rede. Sowohl in der Vorrunde gegen Finnland als auch in den folgenden Spielen gegen Georgien und Slowenien gab der Angreifer seiner Mannschaft von der Bank aus wichtige Impulse in teils schwierigen Phasen. Durchschnittliche 7,2 Punkte, vier Rebounds, und starke 1,6 Ballgewinne in rund 20 Minuten Einsatzzeit belegen Thiemanns Wert auch nummerisch.
Der Einsatz, mit dem er das deutsche Spiel bereichert, ist ncht in Zahlen messbar und doch offensichtlich. "Die des harten Arbeiters" beschreibt Thiemann selbst die Rolle, in der Bundestrainer Gordon Herbert ihn sehen möchte. Im Vorfeld der WM hat der gebürtige Kanadier seinen Spielern gegenüber klar kommuniziert, was er sich von ihnen erhofft: "Ich soll Energie bringen, hart und fürs Team spielen, einen Push geben, wenn es das braucht", rekapituliert Thiemann.
Es ist eine Rolle, in der Thiemann sich durchaus wohl fühlt. "Die Rolle von der Bank taugt mir ganz gut. Die habe ich ja auch bei Alba lange gespielt", sagt er. Dass Thiemann seine Spiele bei Alba und in der Nationalmannschaft zumeist noch immer auf der Bank beginnt, ist das eine. Dass er dennoch für beide Mannschaften Jahr für Jahr immer wichtiger geworden ist, das andere. National wie international ist er mittlerweile mehr als "nur" ein harter Arbeiter. Nicht nur sein ehemaliger Mitspieler bei Alba Berlin und aktueller Teamkollege bei der WM, Niels Giffey, attestiert Thiemann eine "Entwicklung vom puren Energie-Spieler hin zu einem technisch viel versierteren Spieler".
Als Thiemann im Sommer 2018 nach Berlin wechselte, war physisches Spiel unter den Brettern seine große Qualität. Rebounds in Offensive und Defensive, Abschlüsse nach Durchsteckern und aus dem Spiel mit dem Rücken zum Korb waren seine Stärken. Mittlerweile trifft Thiemann seine Würfe nicht nur aus der Mitteldistanz, sondern auch von hinter der Dreierlinie sehr solide. Und auch sein besagtes Spiel mit dem Rücken zum Korb vom Zonenrand ist vielseitiger geworden. Thiemann paart ein exzellentes Gefühl für die Position seiner Gegenspieler mit hervorragender Fußarbeit und gelegentlichen Pässen im Stile von Luke Sikma. "Ich bin nicht mehr so eindimensional", sagt Thiemann und Niels Giffey ergänzt: "Es ist eine Entwicklung, die ihn aktiver und aggressiver macht."
Auf diese zwei Attribute, aber auch den Rest der Thiemannschen Qualitäten, wird es auch am Mittwoch gegen Lettland ankommen. Die Auswahl aus dem Baltikum spielt eine ausgezeichnete Weltmeisterschaft, war mit Siegen über die Schwergewichte Spanien und Frankreich maßgeblich mitverantwortlich für deren Aus. "Lettland ist ein sehr heißes Team", sagt Johannes Thiemann und ergänzt: "Sie gehen als Underdog in das Spiel und haben nicht zu verlieren. Das macht sie zu einem gefährlichen Gegner."
Dass Lettland die WM nach dem Ausfall von NBA-Akteur Kristaps Porzingis ohne großen Star bestreitet, ändert daran nichts. Genauso wie Lettlands bislang starke Auftritte wiederum nichts an der Favoritenrolle der deutschen Auswahl ändern. Wird sie dieser am Mittwoch gerecht, könnte im Idealfall neben dem Halbfinale auch die Olympiaqualifikation für Paris 2024 feststehen. Ganz zu schweigen davon, dass anschließend ein Duell mit den hochgehandelten USA warten könnte. Spätestens dann wären die 20.000 Plätze der Arena in Manila sicherlich gut gefüllt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 05.09.2023, 06:15 Uhr
Beitrag von Jakob Lobach, Manila
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