Interview zu Gewaltprävention in Schwimmbädern
Die Berliner Sommerbäder haben durch Gewalt von jungen Männergruppen Schlagzeilen geschrieben. Im Prinzenbad in Kreuzberg soll Sport helfen, den Aggressionen vorzubeugen. Der Projekt-Federführer sieht darin aber noch ganz andere Chancen.
rbb|24: Herr Sambill, schildern Sie bitte noch einmal das Problem in den Berliner Freibädern.
Steffen Sambill: Gerade an warmen Sommertage kochen die Emotionen teilweise hoch. Mit steigenden Außentemperaturen scheint das Gewaltpotenzial in einigen Freibädern ebenfalls anzusteigen. Es gibt aber Berlin-weit nicht die gleichen Probleme. Das gilt schon sehr spezifisch für einige Standorte und Bezirke.
Im Kreuzberger Prinzenbad lief nun im August ein Sportangebot an, das Gewalt vorbeugen soll.
Wir wurden darauf angesprochen, ein Gewaltpräventionsprojekt zu machen. Es soll den ordnungspolitischen Maßnahmen, wie Videoüberwachung und Ausweiskontrollen, auch etwas Präventives entgegensetzen. Wir von der Sportjugend Berlin wenden eine sogenannte sportorientierte Jugendsozialarbeit an, mit der wir seit mittlerweile 30 Jahren sehr gute Erfahrung haben.
Welche Maßnahmen beinhaltet das Pilotprojekt im Prinzenbad?
Wir sind das Projekt mit Sozialpädagogen, Erzieherinnen und Übungsleitenden angegangen. Es gibt einen erwachsenen Übungsleiter sowie einen jugendlichen Übungsleiter, der "Peer to Peer" auch die Zielgruppe direkt ansprechen kann. Sie bieten im Grunde betreuten Sport an: Vor Ort ist ein Volleyball-Netz und eine Tischtennisplatte. Außerdem haben wir einen Soccer-Court mitgebracht, Basketballkörbe sowie eine Badminton- und Tennisanlage, dazu sehr viele Bälle - aber vor allem eben das Personal, das das betreut. Die Mitarbeitenden sind natürlich auch dafür da, vor Ort die Menschen, vor allem die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen, durch Sport von dummen Gedanken, die sie haben könnten, abzubringen.
Das Projekt sei erfolgreich angelaufen, wie der Sprecher der Bäder unlängst mitteilte. Wie lässt sich der Erfolg so schnell messen?
Erfolg bei Präventionsprojekten ist immer schwer messbar. Denn man müsste mutmaßen, was passiert wäre, wenn wir dieses Projekt nicht gestartet hätten. Ich knüpfe da immer ganz stark an die Erfahrungsberichte unserer Mitarbeitenden an, die vor Ort sind. Sie berichten, dass sie Konfliktsituationen deeskalieren, dass sie Leute zum sportlichen Wettstreit aufrufen. Und wir haben die positiven Erfahrungsberichte des Bäderpersonals. Ihnen zufolge ist die Zielgruppe, die sonst oft problematisch ist und aus Langeweile das Bad stürmt und mit 60 Leuten gemeinsam in den Pool springt, nun abgelenkt, weil wir ein Volleyballturnier angeboten haben oder weil sie sich bei sportlichen Wettkämpfen abreagieren konnte. Wir haben sowohl von den Badbesuchern als auch von den Mitarbeitenden sowie von den Bäderbetrieben ein sehr positives Feedback bekommen. Das war auch der Grund, warum wir das Pilotprojekt, was ursprünglich nur auf drei Wochen angelegt war, noch einmal verlängern.
Wenn Sport tatsächlich Gewalt vorbeugt, dann sollte doch ein stärkerer Fokus auf eine bessere Sportinfrastruktur in der Stadt gelegt werden, mit mehr Sportplätzen oder auch größeren Schwimmbädern. Wird hier nicht das eigentliche Problem – nicht genügend organisierte Sportangebote in Berlin – umgangen?
Ich würde es positiv formulieren: Wir umgehen das Problem nicht, sondern wir öffnen die geschlossenen Liegenschaften der Bäderbetriebe perspektivisch als Sportfläche, und das ganzjährig. Im sehr weitläufigen Prinzenbad hatte man bereits ein Volleyballfeld und Tischtennisplatten platziert, allerdings unbetreut. Selbstorganisiert hätte man dort bereits Sport treiben können, doch dieses Angebot wurde zuvor mäßig angenommen, wie mir berichtet wurde. Diese Fläche nutzen wir jetzt und können dadurch aufzeigen, dass es auch im Innenstadtbezirk – in dem man sich ja nicht so einfach eine neue Fläche aus den Rippen schneiden kann für neue Sportplätze – eine Fläche gibt, die man auch außerhalb der Bädersaison für den organisierten Sport nutzen kann.
Sollte das Projekt nun in allen Bädern etabliert werden?
Als Wunschvorstellung: Ja. Aber ich bin Realist und sehe, dass es ein enormer personeller und finanzieller Aufwand ist, den Erfolg zu garantieren. Man kann in den Bädern Geld in die Hand nehmen und sagen, wir statten die jetzt alle mit Basketballkörben und Fußballtoren und Beachvolleyballnetzen aus. Aber damit haben wir ja noch keine betreuten Sportangebote. Das heißt, wir werden uns nach den zweiten drei Wochen der Pilotphase im Herbst und im Winter unter anderem mit den Bäderbetrieben und der Senatsverwaltung für Inneres und Sport sowie der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie hinsetzen, um die Erfahrungen auszuwerten und zu überlegen, was ein sinnvolles Konzept ist. Natürlich muss man das auch in Geld umrechnen, das kostet ja alles etwas. Dann muss man sehen, ob die Bereitschaft da ist, dieses Projekt im Doppelhaushalt umzusetzen, entweder durch die Senatsverwaltung oder durch die Bäderbetriebe selbst.
Welche Chancen sehen Sie?
Ich denke, wir wären in der Lage, zwei, drei weitere Standorte in Berlin an den Start zu bringen im nächsten Jahr. Ob man temporär darüber hinaus an den heißen Tagen noch weitere Angebote machen kann in der sportorientierten Jugendsozialarbeit, muss man sehen. Wir brauchen auch das Fachpersonal. Und da haben wir einen Fachkräftemangel im pädagogischen Bereich, was Erzieherinnen und Erzieher angeht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.09.2023, 14:15 Uhr
Beitrag von Shea Westhoff
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