Analyse | Fünfte Niederlage in Serie
Nach fünf Niederlagen in Serie rätseln die Unioner über die Gründe für die Schwächeperiode. Auch in Heidenheim hatte der 1. FC Union viele Chancen. Die Probleme des Teams sind mentaler Natur. Von Till Oppermann
Für die 1.700 mitgereisten Unioner war die Niederlage auf der Schwäbischen Alb ein Deja-Vu. Mal wieder verloren die Köpenicker gegen einen Angstgegner aus Zweitliga-Tagen. Und mal wieder entschied ein schmächtiger Heidenheimer mit rotblonden Haaren die Partie durch einen traumhaften Freistoß aus der Distanz.
Der einzige Unterschied: der neue Schütze heißt nicht mehr Marc Schnatterer sondern Jan-Niklas Beste. Es ist nicht so, als hätten sie bei Union nicht schon vor dem Spiel gewusst, was der kann. "Heidenheims Standards sind gefährlich", hatte Urs Fischer unter der Woche gewarnt. Aber mit Fischers Warnungen ist das aktuell so eine Sache: Vieles von dem, was am Samstag in Heidenheim passiert ist, war schon in den letzten Wochen Thema. Und trotzdem gelingt es den Eisernen nicht, die bekannten Fehler abzustellen.
Chancen hatte Union Berlin genug: 20:10 Torschüsse und 2,43 zu 0,51 erwartete Tore meldete die Liga nach der Partie. Besonders in der ersten Halbzeit kamen die drei Angreifer Sheraldo Becker, David Datro Fofana und Kevin Behrens in gute Positionen, für ein Tor reichte das aber nicht. "Wir müssen die Tore machen", sagte Kapitän Christopher Trimmel nach dem Spiel. Was banal klingt, ist aktuell Unions offensichtlichstes Problem: In fünf Pflichtspielen im September gelang Union nur ein Tor. Genug Chancen gab es zumindest in der Liga immer.
Gegen Heidenheim vor allem wenn die schnellen Becker und Fofana mit Pässen in die Tiefe geschickt wurden – in dieser Hinsicht ging Urs Fischers Umstellung auf einen Dreiersturm auf. Besonders in den ersten 20 Minuten hatten die Gastgeber große Probleme, die schnellen Köpenicker in den Griff zu kriegen. Allerdings boten sich auch Heidenheim in dieser Phase zwei gute Torchancen - ein erstes Indiz dafür, dass Union mehr Probleme hat als nur die mangelnde Effizienz.
Besonders gegen den Ball sind die Berliner aktuell schwächer als in der vergangenen Saison. Die Neuzugänge Lucas Tousart und Alex Kral spielen im Mittelfeld zwar schöne Pässe, führen gute Zweikämpfe und laufen viel, aber das Organisationstalent und das Raumgefühl des verletzten Rani Khedira fehlen ihnen. Weil gleichzeitig in der Innenverteidigung auch noch Robin Knoche verletzt ist, muss Urs Fischer auf seine beiden wichtigsten Säulen verzichten.
Die ungewohnte Unsicherheit in der Abwehr ist eng mit diesen Ausfällen verbunden. Die Abstände stimmen nicht und ab und zu entsteht der Eindruck, dass die Spieler auf dem Platz zu wenig miteinander reden. "Unsere Struktur ist nicht gut", kritisierte auch Torhüter Frederik Rönnow. Zu oft kam Heidenheim in der ersten Halbzeit mit wenigen Pässen an Unions Abwehr vorbei. Der FCH trug bei zu einem "Spiel mit viel Spektakel und vielen Torraumszenen", wie es Heim-Trainer Frank Schmidt beschrieb. Genau solche Spiele wollte Union in der Vergangenheit eigentlich nicht.
Auch wenn die Unioner doppelt so viele Abschlüsse hatten, mehr Zweikämpfe gewannen und in einem sehr intensiven Spiel noch einen Kilometer mehr liefen als die Gastgeber, fehlte Union die Spielkontrolle. Zu den sehr schwer erklärbaren Stärken der Mannschaften von Urs Fischer gehörte in den letzten Jahren, dass sie Spiele kontrollieren konnten, ohne den Ball zu haben. Durch Laufstärke, gutes Verschieben und harte Zweikämpfe drängte Union die Gegner häufig in ungefährliche Zonen, wo sie zwar den Ball laufen ließen, aber kein Tempo aufnahmen. So dominierten die Eisernen den Takt des Spiels.
Entscheidend dafür war neben der taktischen Marschroute des Trainers, dass die Spieler auf dem Feld stets selbstbewusst und konzentriert blieben. Dass Bestes Freistoß am Samstag nahezu perfekt getreten war, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er seine Chance nur wegen einer Berliner Konzentrationsschwäche bekam. Denn Diogo Leites Foul vor dem Freistoß war unnötig, leicht vermeidbar und schließt so an Leonardo Bonuccis Foul gegen Hoffenheim und Behrens Ballverlust in Wolfsburg an, die ebenfalls Gegentore kosteten und den Spielverlauf beeinflussten.
"Es passt hinten und vorne nicht ganz", fasste es Trimmel zusammen, aber beschwichtigte auch mit einer Phrase, die man sonst eher von DDR-Nostalgikern kennt: "Es war nicht alles schlecht". Da hat er Recht. Statistiken lügen schließlich nicht. Aber sie zeigen auch nicht das ganze Bild, weil sie die mentale Komponente des Spiels nicht erfassen können. Aber genau diese ist entscheidend, wenn eine Mannschaft klare Chancen nicht verwertet und sich in der sonst gut organisierten Abwehr regelmäßig kurze Aussetzer häufen. Nach fünf Niederlagen in Serie fehle der Mannschaft das Selbstvertrauen, gab Trimmel zu. Die Lösung für die Probleme sieht er in den Köpfen seiner Mitspieler: "Es fehlt das Erfolgserlebnis und dann bin ich mir sicher, dass wir uns besser einspielen."
Am Dienstag hoffen Trimmel und die Fans in der Champions League auf ein besseres Deja-Vu. Im letzten Europapokalheimspiel gegen Braga siegte Union mit 1:0.
Sendung: rbb24, 30.09.2023, 21:45 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
Artikel im mobilen Angebot lesen