Transfercoup von Union Berlin
Dass Union Berlin mit Robin Gosens einen aktuellen, deutschen Nationalspieler holte, war schon allerhand. Die Verpflichtung Leonardo Bonuccis allerdings ist noch sensationeller. Auch, weil die Bundesliga nun vielleicht nach Knoblauch riecht. Von Ilja Behnisch
"Anche i pesci del re hanno spine", sagt der Italiener. Auch die Fische des Königs haben Gräten. Also bringen wir die hässlichen, kleinen Details schnell hinter uns. Ja, Leonardo Bonucci, Neuzugang beim 1. FC Union Berlin, ist bereits 36 Jahre, was auch bei italienischen Abwehr-Königen nicht gerade unter Frühphase einer Karriere firmiert. Ja, Leonardo Bonucci wurde von seinem Leib- und Magenverein, wurde von Juventus Turin ein Jahr vor Auslauf seines Vertrages quasi vom Hof gejagt. Nach 502 Pflichtspielen und acht italienischen Meisterschaften. Und ja, Leonardo Bonucci hat in der vergangenen Saison mehr Spiele verletzt verpasst (zwölf) oder von der Bank aus betrachten müssen (zehn), als er in der Startelf begann (neun).
Alles wahr, aber: Leonardo Bonucci. Der 1. FC Union Berlin. Man darf diese beiden Namen von nun an getrost in einem Satz erwähnen. Was sind da ein paar kleinste Gräten?
Es fängt doch schon beim Namen an. Leonardo Bonucci. Normalerweise ist man beim Schreiben von Texten ja besonders erpicht darauf, Wortdopplungen zu vermeiden. Kein guter Stil. Nicht schön für den Lesefluss. Aber bitte: Leonardo Bonucci, Leonardo Bonucci, Leonardo Bonucci. Merken Sie was? Eben. Wie das schon klingt! Leonardo, der starke Löwe. Bonucci, eine Ableitung von "bonus", "gut". Ein in Italien äußerst beliebter Name, weil einst getragen von einem christlichen Heiligen aus dem 3. Jahrhundert, der in Rom den Märtyrertod erlitt. Wobei der moderne Bonucci, der Neu-Berliner Bonucci, immerhin im Verdacht steht, zumindest unter den Fußball-Heiligen zu weilen.
"Beckenbonucci" taufte ihn die römische "La Republica", weil er wie einst der "Kaiser" Franz Beckenbauer den Ball führe in der Abwehr. Als sei er eigentlich ein Spielmacher und niemand, der nur mit seinem Blick Eisen biegen kann. Italiens Torwartlegende Gigi Buffon sagte über ihn: "Er ist mit der gottgegebenen Gabe eines süßen Fußes geboren worden." Und Pep Guardiola schwärmte, Bonucci sei einer seiner Lieblingsspieler, "seit immer". Nun hat Guardiola auch schon zu Fußball-Robotern wie dem deutschen Ex-Nationalspieler Holger Badstuber "Ich liebe Dich" gesagt. Der Überschwang bei Super-Super-Pep ist also mit Vorsicht zu genießen. Bei Bonucci allerdings absolut berechtigt.
Ein Meter, 90 Zentimeter misst er, der 121-fache Nationalspieler Italiens, der Europameister 2021. Dieser kompromisslose Verteidiger, der so furchtbar austeilen kann und sich nicht anmerken lässt, eingesteckt zu haben. Der trotzdem vieles schon im Vorfeld klärt, weil er das Spiel schmecken kann, weil er ahnt, wohin der Gegner es lenken will. Ein Stolz für die stolze Abwehrnation Italien. Auch wenn er so wenig italienisch aussieht. Keine lange Mähne wie bei Maldini oder Pirlo. Nichts extravagantes wie bei Baggio oder Gattuso. Bonucci sieht mit seinen raspelkurzen Haaren und seiner ganzen Funktionserscheinung eher aus wie ein Soldat. Zufall ist das nicht.
Alberto Ferrarini heißt der Mann, der aus dem einst schüchternen, zweifelnden Bonucci, dessen Karriere beim Zweitligisten Treviso zu versacken drohte, einen Krieger machte. Life Coach oder Motivationstrainer nennen sich solche Menschen. Wobei man angesichts der Praktiken, die Ferrarini seit 2009 an seinem dann berühmtesten Klienten vollführte, wohl eher von Folterknecht sprechen mag. Nicht nur, dass er Bonucci fortan zwang, vor den Spielen Knoblauchbonbons zu lutschen, was so manchem Gegenspieler mächtig stank. Er redete auch unablässlich auf ihn ein, nur um ihm seine Faust in den Magen zu schlagen, sobald die saftigen Beleidigungen eine sichtbare Regung in seinem Gesicht hinterließen. Bonucci sollte lernen, immer fokussiert zu sein, alles um sich zu ignorieren. "So habe ich angefangen, ihn zu einem Soldaten zu formen", sagte Ferrarini.
Auch außerhalb des Fußballs schien Bonucci bald kaum noch so etwas wie Angst oder Zweifel zu verspüren. Spätestens seit 2012, da er Opfer eines versuchten Überfalls wurde. Vor einem Autohaus mit vorgehaltener Waffe bedroht von einem Mann. Er solle die Uhr rausrücken. Das Blatt wendete sich schnell. Bonucci streckte den Angreifer mit einem Faustschlag nieder, nahm anschließend sogar die Verfolgung des flüchtenden Räubers auf. Berliner Ganoven sollten sich also in Acht nehmen. Der Rest der Stadt hingegen darf sich freuen über den neuen Bewohner.
Ein bisschen Dolce Vita bringt schließlich auch der abwehrkantigste Italiener mit sich. Und was für eine schöne Vorstellung das ist. Dass Bonucci da durch Köpenick flaniert. In italienischer Designer-Mode kehrt er ins Altstadtcafé ein. Er lässt sich nicht irritieren von der Bedienung mit dem Spitzenhäubchen oder dem Mann am Klavier, der "Berliner Luft" klimpert. "Expresso hamwa nich'", hört er es von hinter der Theke, "Eierbrötchen könnense kriegen". Keine Regung im Gesicht des Soldaten. Ein entschlossenes "Si" nur. Und alles ist gut.
Wer weiß schon zu sagen, ob das sportlich alles so hinhaut. Ob Bonucci dem Spiel von Union Berlin wirklich noch etwas geben kann. Oder wenigstens der Kabine. Allein dadurch, dass er ist wer er ist. Wer weiß schon, ob Bonucci seinem großen Ziel, bei der Europameisterschaft 2024 in Deutschland noch einmal für Italien in die Schlacht zu ziehen, nun wirklich näher kommt. Ob er gesund bleibt. Oder ob er zwischen den Fans Platz nehmen muss, auf der Waldseite dann, so wie früher in Turin, wenn er verletzt war und sich zwischen die Fans stellte, denn "mit den Fans bin ich am glücklichsten". Wer weiß das schon alles. "Amor che muove il sole e le altre stelle", sagt der Italiener. Die Liebe bewegt die Sonne und die anderen Sterne. Oder ganz klassisch: Habemus Bonucci. Dufte.
Sendung: rbb24, 01.09.2023, 18 Uhr
Beitrag von Ilja Behnisch
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