Ihre Kritik an Luis Rubiales und dem spanischen Fußballverband in Folge des Kuss-Skandals fiel deutlich aus. Im Interview spricht Tabea Kemme nun über Sexismus im deutschen Fußball und darüber, wen sie nun in der Pflicht sieht.
rbb|24: Frau Kemme, Sie positionierten sich mehrfach und deutlich in Folge des Skandals um den spanischen Verbandspräsidenten Luis Rubiales, der die Spielerin Jennifer Hermoso bei der WM-Siegerehrung auf den Mund geküsst hatte. Warum war Ihnen das bei diesem Fall ein besonderes Anliegen?
Tabea Kemme: Fußball ist die Sportart, in der ich groß geworden bin. Ich kenne die unterschiedlichen Machtverhältnisse in Bezug auf Coaches und Funktionäre. Hier ist es leider wie so oft in der Gesellschaft: Es muss erst zur völligen Eskalation kommen, damit Aufmerksamkeit entsteht und die Möglichkeit, zu handeln. Zu Wochenbeginn hat der Spiegel [Bezahlinhalt] das Interview mit der Ex-Nationalspielerin Vero Boquete veröffentlicht, das heftige Einblicke gibt, worüber wir hier reden. Zum Beispiel, dass Hermosos Handy gehackt wurde, um Videos zu leaken. Man erkennt daran, was der Präsident imstande ist, zu leisten.
Rubiales ist mittlerweile zurückgetreten, Trainer Jorge Vilda wurde entlassen. Hat dieser Fall einen angemessenen Ausgang gefunden?
Nein, absolut nicht. Es ist noch völlig unklar, wie es weitergeht. Die FIFA-Sperre für Rubiales gilt 90 Tage lang. Nach wie vor herrschen Abhängigkeiten. Rubiales sitzt im Exekutiv-Komitee der UEFA. Und wenn wir nach Deutschland schauen, war die Reaktion erschütternd. Es kam keine Stellungnahme von der höchsten Ebene des DFB.Plakativ wird zwar immer betont, man stehe für Respekt oder für das Miteinander ein. Und dann hat man mal einen Praxisfall, und da kommt gar nichts.
Wo erleben Sie Sexismus im Fußball?
Fälle mit sexualisierter Gewalt passieren im Trainingsalltag. Wir sind da noch zu wenig sensibilisiert. Es herrschen alte Automatismen. Als Spielerin habe ich nie gelernt, dass man es anspricht, wenn man sich in einer Situation unwohl fühlt oder in einer Scham befindet. Sondern es ging eher darum, es als vermeintlich witzig wegzuradieren. Zum Glück findet eine Veränderung statt, dass Frauen lernen, ihre Stimme zu nutzen, klare Grenzen aufzuzeigen und “Nein” zu sagen.
Zur Person
Geht es da um bewusste Herabwürdigung der Frauen und Mädchen oder sind es auch schiefe Strukturen, die sich verfestigt haben?
Wir sind in einer Männer-dominierten Sportart, in der die Entscheidungen den Männern vorbehalten sind. Und wenn sogar in den erweiterten Machtzirkeln ebenfalls nur Männer sitzen, woher sollen die Entscheidungsträger dann eine weibliche Perspektive haben? Sie handeln so, wie sie es für richtig erachten.
Haben es Mädchen und Frauen im Fußball schwerer als in anderen Sportarten?
Missverhältnisse in anderen Sportarten gibt es, das weiß ich aus dem Austausch mit anderen Athletinnen. Gerade im Sport geht es um Erfolg, dafür legst du alles in die Waagschale und erkennst dann die Missverhältnisse nicht mehr. Besonders, weil die Aufklärung fehlt.
Wer sollte die betreiben?
Ich sehe die Verbände in der Pflicht, dass diese ein klar definiertes Konzept vorlegen für ihre Landesverbände und Vereine. Damit einhergeht auch ein externes Monitoring, denn das Vertrauen allein in den Verband zu legen, ist fahrlässig.
An manche Ungleichbehandlung der Fußballerinnen gegenüber den Fußballern hat man sich scheinbar gewöhnt: schlechtere Anstoßzeiten, weniger Gehalt, weniger Werbeerlöse. Sehen Sie diese Aspekte als Sexismus?
Da geht es um Henne und Ei. Viele argumentieren sinngemäß: "Bringt ihr Frauen erst mal eure Leistung, dann können wir über alles reden." Da herrscht meines Erachtens Unwissen, wie man Sport bei den jeweiligen Geschlechtern definiert. Es bräuchte ein Commitment seitens des höchsten Verbandes. Das Schöne ist, dass mit dem Heranwachsen neuer Generationen Dinge ganz anders hinterfragt werden. Auch ich habe als Fußballerin einige nicht hinterfragt. Von jüngeren werde ich teils darauf angesprochen: "Wie gehst du da mit? Nicht mal ansatzweise Equal Pay?" So etwas bietet dir eine andere Perspektive.
Der Stellenwert des Frauenfußballs wird größer. Wird das Problem dadurch kleiner?
Es wird kleiner, wenn wir die Dinge klar ansprechen und Lösungen aufzeigen.