Rugby in Berlin und Brandenburg
Am Freitag beginnt die Rugby-WM, ein Sportevent, das Millionen Menschen weltweit verfolgen, doch kaum in Deutschland. Dabei gab es in Berlin und Brandenburg schon bessere Zeiten für Rugby. Heute kämpft man um Nachwuchs. Von Lukas Witte
Millionen Menschen auf der ganzen Welt fiebern bereits seit Wochen dem 8. September entgegen. Am Freitagabend eröffnet im ausverkauften Stade de France nahe Paris Gastgeber Frankreich die Rugby-Weltmeisterschaft gegen den Titelfavoriten Neuseeland.
Das Turnier zählt hinter der Fußball-WM und den Olympischen Spielen zu den größten internationalen Sportevents der Welt. Das Endspiel am 28. Oktober wird in über 200 Länder übertragen und hunderte Millionen Fans vor den Fernseher locken. Doch in Deutschland wissen wohl nur die wenigsten, was sich in den kommenden Wochen in unserem Nachbarland abspielen wird. Und das liegt längst nicht nur daran, dass die deutsche Nationalmannschaft nicht dabei ist.
Rugby zählt hierzulande zu den Nischensportarten. In Berlin und Brandenburg gibt es gerade einmal 18 Vereine, in denen etwa 2.000 Menschen der Sportart nachgehen. "Die Rugby-WM wird in Deutschland live im Free-TV übertragen und da erhoffen sich alle Vereine, dass sie einen kleinen Push kriegen", erzählt Markus Müller.
Müller ist der Leiter der Rugby-Abteilung des SC Siemensstadt, die auf eine lange Tradition zurückblickt. Erst vor wenigen Wochen feierten die Spandauer das hundertjährige Bestehen ihrer Rugby-Mannschaft, die ihre goldene Zeit in den 1970er und 1980er Jahren hatte.
Detlef Schedlinski, der von allen liebevoll nur "Schetta" genannt wird, war damals mit dabei. Der 70-Jährige spielt seit 50 Jahren Rugby und erinnert sich an die Hochphase der Sportart in der Hauptstadt. "Wir hatten damals die Alliierten hier. Da hatten die Franzosen, Engländer, Waliser und Schotten alle verschiedene eigene Mannschaften. Da haben wir hier in einer knallharten Liga gespielt", sagt Schedlinski. "Das waren in unseren Augen alles Profis. Die Soldaten hatten natürlich jeden Tag Zeit zu trainieren, weil hier ja nichts passiert ist. Das war die schönste Zeit."
Zwar war Rugby zu dieser Zeit im Westen deutlich populärer, doch auch in Brandenburg wurde damals Rugby gespielt. Der Deutsche Rugby-Sportverband der DDR war mit zuletzt etwa 1.200 Mitgliedern der kleinste Sportfachverband der Deutschen Demokratischen Republik. Trotzdem wurde ein Ligasystem organisiert, in dem ein Brandenburger Team Rekordmeister war. 13 Mal holte die BSG Stahl Hennigsdorf den Titel in der DDR-Oberliga.
Mit dem Abzug der Alliierten ebbte in Berlin die Rugby-Begeisterung wieder ab und nur noch wenige Menschen fanden ihren Weg zu der hierzulande exotischen Sportart. "Wir gehören zu den Randsportarten, die ein bisschen mehr tun müssen, um Aufmerksamkeit zu kriegen und die Kinder zum Training zu bekommen. Deshalb haben wir uns stark auf Nachwuchsarbeit fokussiert. Ohne die würde es die Mannschaft irgendwann nicht mehr geben", erklärt Abteilungsleiter Müller.
Die Siemensstädter werben heute an Schulen, geben Schnupperkurse und organisieren Sommercamps, um junge Spieler zu finden. Im Männerbereich kooperieren sie mit dem Hochschulsport der Technischen Universität und hoffen so, Studierende von der Sportart überzeugen zu können.
Derzeit spielen etwa 25 Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Altersklassen beim SC Siemensstadt aktiv Rugby. Neben dem Training gibt es für sie allerdings nur selten Möglichkeiten, sich mit anderen zu messen. Nur bei Turnieren und Freundschaftsspielen treffen sie ab und an auf andere Teams. "Beim Fußball und Basketball gibt es ja so etwas wie eine Kreisliga. Das hätte ich beim Rugby auch gern", sagt der 12 Jahre alte Felix, der seit zwei Jahren dabei ist. Doch einen echten Nachwuchs-Ligabetrieb für verschiedene Altersklassen gibt es in Berlin nicht.
Anders sieht es bei den Älteren aus. Der Spielbetrieb in Deutschland ist gegliedert in 1. und 2. Bundesliga und verschiedene Regionalligen. Auch eine Frauen-Bundesliga gibt es. Hochburg des deutschen Rugbys ist dabei Heidelberg. Mit elf Titeln ist der Heidelberger RK Rekordmeister der Bundesliga. Aus der Stadt am Neckar spielen sogar noch drei weitere Teams in der höchsten Spielklasse.
Am vorigen Wochenende startete die neue Saison. Mit dem Berliner RC und dem RK 03 Berlin sind auch zwei Teams aus der Hauptstadt mit dabei. Der BRC hat dabei durchaus Ambitionen oben mitzuspielen, während es für den RK 03 den Abstieg zu verhindern gilt. Brandenburger Vereine sind in der ersten Liga nicht vertreten.
"Traditionell ist der Süden Deutschlands immer stärker gewesen. Aber Berlin schließt langsam etwas auf. Es entwickeln sich immer mehr Vereine und wenn da noch mehr semiprofessionelle Strukturen dazu kommen würden und es noch ein bisschen mehr Begeisterung geben würde, dann könnte man Richtung Heidelberg aufschließen", erklärt Bastian Pieper. Er spielt im Regionalliga-Team des USV Potsdams und kennt sich bestens mit dem Sport in der Region aus.
Während er in Berlin einen Aufschwung sieht, würde es in der Brandenburgischen Landeshauptstadt eher schleppend voran gehen. "In Potsdam hat man ja relativ viel Konkurrenz, was Sportvereine angeht. Das ist als Standort fast ein bisschen undankbar", sagt er. In anderen Regionen des Bundeslands würde das schneller funktionieren – zum Beispiel im Landkreis Oberhavel. Hier gibt es mit Hennigsdorf, Hohen Neuendorf, Oranienburg und Velten gleich vier Städte mit eigenen Rugby-Klubs auf engstem Raum. "Warum die Begeisterung für die Sportart dort so groß ist, kann ich mir auch nicht so richtig erklären", sagt Pieper.
Wie groß das Potential der Sportart ist, in Berlin und Brandenburg noch stark zu wachsen, darüber ist Pieper zwiegespalten. Grundsätzlich sei Rugby ein schöner Gegenentwurf zum Fußball. Und es gäbe genug Leute, die sich über Fußball beschweren würden. "Ein Problem ist glaube ich, dass Rugby für viele Menschen etwas zu kompliziert ist. Da ist der deutsche Sport-Fan mit Sportarten wie Handball glaube ich ein bisschen schneller zu begeistern", sagt er.
Tatsächlich muss man sich im umfangreichen Regelwerk erst einmal zurechtfinden. Und das, obwohl die Sportart eng mit dem Fußball verbunden ist. Der Legende nach entstand Rugby im Jahr 1823 in der gleichnamigen Stadt, als ein Spieler eines Fußballteams den Ball mit der Hand ins gegnerische Tor getragen haben soll. Nachdem später der britische Fußballverband gegründet wurde, um einheitliche Regeln für die Sportart festzulegen, spaltete sich Rugby als eigenständiger Sport ab. Zwar schießt man auch dort noch durch Tore, doch anders als beim Fußball trägt man den eiförmigen Ball größtenteils mit der Hand.
Auch der physische Aspekt des Rugby-Sports mag für manche abschreckend wirken. 15 Spieler je Team stehen sich ohne Schutzausrüstung gegenüber und tackeln, schieben und rangeln, was das Zeug hält. "Im Vergleich zum Fußball ist es deutlich härter, aber die Leute sind viel entspannter. Jeder weiß, dass es knallen kann, aber am Ende trinkt man ein Bierchen und alles ist gut", sagt Pieper. Meckereien dem Schiedsrichter gegenüber oder Streitigkeiten zwischen den Athleten würde es nur selten geben. Auf dem Feld geht es trotz der Härte diszipliniert zur Sache.
Etwas weniger ruppig geht es beim immer beliebter werdenden 7er-Rugby zu. Bei dieser Variante treffen nur sieben Spieler pro Mannschaft aufeinander, wodurch sich mehr Räume ergeben. Dadurch wirkt das Spiel athletischer, schneller und kurzweiliger. "7er-Rugby ist ultraschnell. Das ist für Leute, die 100 Meter in elf Sekunden laufen. Auf dem Spitzenniveau sind das unfassbar starke Athleten. Bei den USA sind deshalb auch viele Ex-Sprinter im 7er-Rugby mit dabei", erklärt Pieper.
Seit 2016 ist diese abgespeckte Variante sogar olympisch und bescherte den Fidschi-Inseln die ersten Olympia-Medaillen der Geschichte. Auch der Deutsche Rugby-Verband stellt eine 7er-Nationalmannschaft, mit der man künftig die Weltspitze angreifen möchte. 2019 wurde das Team Europameister und peilte die Qualifikation für die kommenden Olympischen Spiele in Paris an. Doch der Traum zerplatzte: Sowohl die Männer als auch die Frauen scheiterten im Juni bei den Europaspielen in Krakau im Viertelfinale und verpassten somit das Olympia-Ticket. Auch das 15er-Team hat es bislang noch nicht auf die ganz große internationale Bühne geschafft und war noch nie bei einer WM.
Um die Professionalisierung voranzutreiben, fördert Brandenburg seit einigen Jahren auch Rugby-Talente an seinen Landesstützpunkten in Hohen Neuendorf und Potsdam. Von der U12 bis zur U18 stehen den Kaderathleten hier beste Bedingungen zur Verfügung, etwa tägliches Training durch hauptamtliche Trainer, Videoanalysen und unterstützende Maßnahmen wie Laufbahnberatung, sportpsychologische Betreuung und Physiotherapie.
So will das Bundesland seinen Beitrag im deutschen Rugby leisten und sich zu einer Talentschmiede entwickeln. Und vielleicht führen dann bald auch Athleten aus der Region Deutschland zur nächsten WM in Australien oder den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles - und damit auf die ganz große Bühne. So dass sich dann auch hierzulande mehr Leute für die Sportart begeistern.
Sendung: rbb24, 26.08.2023, 21:45 Uhr
Beitrag von Lukas Witte
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