Gersbeck, Präsidiumsnachwahl, Abwahlantrag
Hertha BSC lädt am Sonntag zur Mitgliederversammlung ein. Die Themen sind zahlreich wie umstritten: Der begnadigte Marius Gersbeck stellt sich den Mitgliedern, es werden Plätze im Präsidium nachgewählt und ein Abwahlantrag ausgefochten.
Tagesfüllende Mitgliederversammlungen haben bei Hertha BSC seit jeher eine lange Tradition. Und so ist auch am kommenden Sonntag davon auszugehen, dass hunderte Mitglieder viele Stunden in Halle 21 der Messe Berlin verbringen werden. Die Tagesordnung für die um 11 Uhr beginnende Versammlung ist prall gefüllt, sie enthält gleich mehrere sehr bedeutsame Themen für Gegenwart und Zukunft des Vereins.
Der rein strukturell wichtigste Tagesordnungspunkt ist die Nachwahl des Präsidiums. Nach den Rücktritten von Ingmar Pering und Tim Kauermann, mittlerweile Leiter Sanierung der Hertha KGaA, besteht das Vereinsgremium aktuell aus nur fünf Mitgliedern. Neben Präsident Kay Bernstein und Vize Fabian Drescher derzeit aus Anne Jüngermann, Peer Mock-Stümer und Hans-Joachim Bläsing. Laut Vereinssatzung muss das Präsidium allerdings aus sieben bis neun Personen bestehen.
Für die zwei bis vier neuen Plätze haben sich 21 Personen beworben, die allesamt vom Aufsichtsrat zur Wahl zugelassen wurden. Die Kandidierenden wurden vom Verein sowohl mit einem Online-Steckbrief als auch mit einer Infoveranstaltung am 5. Oktober vorab vorgestellt. Auf der Mitgliederversammlung selbst haben die Anwärterinnen und Anwärter zudem jeweils drei Minuten Zeit, um sich sowie ihre Motivation und Ziele vorzustellen. Es braucht die einfache Mehrheit von über 50 Prozent der Stimmen, um in das Präsidium gewählt zu werden. Jedes Mitglied kann bis zu vier Stimmen abgeben.
"Ich bin kein schlechter Mensch und vor allem bin ich nicht der unreflektierte Prügel-Torwart, der sich nicht um sein Umfeld und seine Mitmenschen sorgt. Ich bin ein Familienvater, Ehemann, Freund und stolzer Arbeitnehmer meines Vereins, mit dem ich aufgewachsen bin. Deshalb möchte ich gerne auf der Mitgliederversammlung einige Worte an euch persönlich richten." Mit diesen Worten kündigte Marius Gersbeck an, sich am kommenden Sonntag den Vereinsmitgliedern zu stellen.
Der Torhüter ist nach seinem gewalttätigen Angriff während des Trainingslagers vom Salzburger Gericht nicht verurteilt worden. Nach der vom Gericht vorgeschlagenen Diversion und einer außergerichtlichen Einigung mit dem Opfer wurde Gersbeck Anfang Oktober von Hertha BSC unter Auflagen begnadigt. Hierzu werden sich sowohl Gersbeck als auch die Vereinsgremien, die sich für eine Begnadigung entschieden, vor den Mitgliedern verantworten müssen.
Die Entscheidung, Gersbeck eine zweite Chance zu geben, wurde auch bei den Fans kontrovers diskutiert – der Verein hat viel Kritik erhalten, die am Sonntag auch noch einmal persönlich geäußert werden dürfte. Darüber hinaus wird sich der Verein für die umstrittene Entscheidung, Wettanbieter- und Casinobetreiber Crazybuzzer zum Hauptsponsor gemacht zu haben. Der Sponsoringvertrag hat eine moralische Debatte und viel Kritik an Präsident Kay Bernstein ausgelöst. Bernstein hatte sich im Zuge seiner Wahlkampagne im vergangenen Jahr sehr deutlich gegen Wettanbieter als Sponsoringpartner ausgesprochen.
Bernstein wird sich jedoch sowohl zur Causa Gersbeck als auch zum Crazybuzzer-Sponsoring nicht den Nachfragen der Mitglieder stellen können. Herthas Vereinspräsident zog sich am Dienstag bei einem Unfall auf der Geschäftsstelle schwere Frakturen an der Wirbelsäule zu. Derzeit befindet sich Bernstein noch im Krankenhaus, an der Mitgliedersammlung wird er nicht persönlich teilnehmen können. Es ist wohl geplant, dass er zumindest per Videobotschaft Worte an die Mitglieder richten wird. Vizepräsident Fabian Drescher wird ihn vertreten.
Auch die Abwahlanträge haben auf Herthas Mitgliedersammlung mittlerweile Tradition. Nachdem der Abwahlantrag eines Vereinsmitgliedes gegen das gesamte Präsidium und den gesamten Aufsichtsrat kurzfristig doch noch zurückgezogen wurde, hat ein anderes Mitglied kurz vor Fristende einen neuen Abwahlantrag eingereicht. Das Mitglied fordert eine Abwahl von Klaus Brüggemann, Aufsichtsratsvorsitzender des Vereins. Im Antrag wird Brüggemann vorgeworfen, sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Mitgliederversammlung "häufig image- und damit vereinsschädigend" aufzutreten.
Brüggemann wird von der antragsstellenden Person vordergründig dafür kritisiert, "in Vorbereitung der Präsidiumswahlen die Satzung gebeugt und dies sogar über Bild und kicker kommuniziert" zu haben. Bereits im November 2022 hatte es einen ersten Abwahlantrag gegen Brüggemann gegeben. Damals sprachen sich 51,6 Prozent der anwesenden Mitglieder gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden aus, für eine Abwahl hätte es allerdings eine Dreiviertelmehrheit gebraucht. Brüggemann ist seit der Wahl im Mai 2022 Vorsitzender des Aufsichtsrates.
Im März dieses Jahres veröffentlichte Hertha BSC einen Finanzbericht, der tief in die wirtschaftliche Schieflage des Vereins blicken ließ. Die Zahlen zeigten, dass Hertha weiterhin hohe Schulden hat und längst nicht mehr genug Geld, um diese zu bedienen. Der Trend war alarmierend, Hertha macht weiter riesige Verluste. Die letzten Reserven sind aufgebraucht. Ein paar Monate später geriet aufgrund Herthas finanzieller Krise sogar die DFL-Lizenz in Gefahr.
Auf der letzten Mitgliederversammlung sprachen die Verantwortlichen, allen voran Präsident Bernstein und Geschäftsführer Thomas Herrich, von massiven Sparmaßnahmen – allen voran durch eine Umstrukturierung der Geschäftsstelle und Entlassungen von Mitarbeitenden. Am kommenden Sonntag wird es durch den Bericht der Geschäftsführung neue Erkenntnisse darüber geben, inwiefern sich jene Sparmaßnahmen ausgewirkt haben und wo sich der Verein im wirtschaftlichen Konsolidierungsprozess befindet.
Am Sonntag wird es also nicht nur um zurückliegende Entscheidungen der Vereinsverantwortlichen und den gegenwärtigen Zustand der Gremien, sondern auch um die unmittelbare Zukunft der "alten Dame" gehen. Hertha-Mitglieder müssen also wieder viel Sitzfleisch mitbringen - aber sie sind es ja nicht anders gewohnt.
Sendung: rbb24, 13.10.2023, 18 Uhr
Beitrag von Marc Schwitzky
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