Interview | Radprofi Theo Reinhardt
Der Berliner Bahnradprofi Theo Reinhardt will zum dritten Mal zu den Olympischen Spielen. Mit der Champions League beginnt nun der strapaziöse Weg nach Paris. Ein Interview über einen Sturz auf Mallorca und das letzte große Ziel seiner Karriere. Von Thomas Juschus
rbb|24: Theo Reinhardt, Sie sind zum Auftakt der UCI Track Champions League am vergangenen Samstag auf Mallorca gestürzt und mussten danach das Rennen aufgeben. Im Krankenhaus wurde eine Schnittwunde am Kinn mit sechs Stichen genäht. Wie geht es Ihnen?
Theo Reinhardt: Es geht mir den Umständen entsprechend ganz gut. Es war schon Wucht hinter dem Sturz, wir hatten ordentlich Tempo drauf. Gefühlt ging es von 100 auf 0. Ein Sturz ist halt immer blöd. Neben der Schnittwunde habe ich eine recht starke Prellung am hinteren rechten Oberschenkel davongetragen. Und generell tut der Körper halt die Tage nach einem Sturz immer weh. Wenn aber alles so bleibt, werde ich auf alle Fälle am Samstag in Berlin an den Start gehen können.
Ihr Arbeitsgerät, ein spezielles Bahnrad von der Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte (FES), hat es fast schwerer erwischt.
Ja, an meinem FES-Rad ist beim Sturz das Oberrohr gebrochen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Rad repariert wird und nochmals im Wettkampf zum Einsatz kommen wird. Vielleicht landet es im Museum. Zum Glück habe ich noch ein zweites Modell.
Die UCI Track Champions League ist erst in ihrer dritten Saison, Sie sind überhaupt das erste Mal in der sogenannten Ausdauer-Liga mit dabei. Was sind Ihre Eindrücke aus der Distanz und jetzt nach dem Debüt – hilft die Liga dem Bahnradsport?
Ich habe mir dazu immer noch keine abschließende Meinung gebildet. Das Format ist meiner Meinung nach ausschließlich für die Bedürfnisse des Fernsehens entwickelt worden. Die UCI Track Champions League bietet sicherlich eine sehr, sehr gute Chance für die Sportlerinnen und Sportler, sich über diese Serie zu vermarkten. Andererseits ist der Markt für Bahnradsport relativ klein.
Ich sehe es vor allem als schwierig an, dass viele noch nicht genau das Format verstanden haben. Daneben gibt es noch Welt- und Europameisterschaften, es gibt Nations-Cups und UCI-Rennen. Und es gibt die Sechstagerennen. In diesem Konstrukt sucht der Wettbewerb meiner Meinung nach noch seinen Platz und Stellenwert. Aufgrund der Fernseh-Produktion ist der Wettbewerb allerdings mega aufgezogen und schon sehr professionell.
Wie ist die UCI Track Champions League sportlich zu bewerten?
Klar, in diesem Jahr erstmals mit dabei sein zu dürfen, macht mich schon in gewisser Weise ein bisschen stolz. Man gehört damit zu einem ausgewählten Kreis von Sportlerinnen und Sportlern, was einem zeigt, man gehört zur Weltspitze. Die Disziplinen Scratch und Ausscheidungsfahren sind aber sicher nicht meine Lieblingsrennen auf der Bahn. Es sind aber hochwertige Wettkämpfe. Für mich ist diese Phase des Jahres zudem sportlich gesehen eher ein Nebenprodukt.
Wir hatten im August mit den Weltmeisterschaften in Glasgow unseren Saisonhöhepunkt. Ende September habe ich drei Wochen Urlaub und Pause gemacht. Ich habe erst eine Woche vor dem ersten Rennen wieder mit dem Training begonnen. Ich versuche das Training jetzt mit guten Radrennen zu kombinieren und einfach ein bisschen Spaß auf der Bahn zu haben unter Wettkampfbedingungen. Das ist aber meine Situation – für andere Fahrer in der UCI Track Champions League kann das durchaus komplett anders aussehen.
Sie sind auch ein bekannter Sechstage-Profi – wie fällt ein Vergleich aus?
Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe – aus meiner Sicht lässt sich das nicht vergleichen. Es gibt so gut wie keine Parallelen.
Sechstagerennen sind das Stichwort. Nach Abschluss der Champions League warten auf Sie und Ihren Partner Roger Kluge die Sixdays in Gent, Bremen und Berlin, Mitte Januar steht die Europameisterschaft in Apeldoorn an, die Sie als Titelverteidiger angehen. Danach warten bis Mitte April drei Nations-Cups in Australien, Hongkong und Kanada. Und als Abschluss und Höhepunkt dieses Bahn-Zyklus stehen Anfang August die Olympischen Spiele in Paris. Vor Ihnen liegen neun intensive Monate, oder?
Ja, das wird jetzt eine ganz, ganz harte Zeit – auch natürlich aus familiärer Sicht. Meine Partnerin Jane und unser Sohn Pepe und ich haben uns darauf eingestellt. Wir wissen, was dazugehört, um im nächsten Jahr im August konkurrenzfähig zu sein. Dementsprechend ist es einfach nötig, diese Wettkampfreihung zu fahren und so viele Intensitäten wie möglich mitzunehmen. Das gehört zu meinem Job einfach dazu. Es wird ein intensives Jahr mit einem großen Ziel – vielleicht das letzte große Ziel meiner Radsport-Karriere.
Sie haben 2023 zusammen mit Roger Kluge den EM-Titel im Madison verteidigt und souverän bei den Nations-Cups in Jakarta und Kairo gewonnen. Die Olympia-Teilnahme sollte so gut wie sicher sein, oder?
Was ist schon sicher? Das kann man leider nie sagen. Der Sturz in Mallorca hat erst gezeigt, dass man nie wissen kann, ob man gesund bleibt. Sportlich haben wir uns sicher eine sehr gute Ausgangslage verschafft, das steht außer Frage. Wenn es drauf ankam, haben wir abgeliefert und unsere Stärke gezeigt. Damit haben wir sportlich viel auf der Habenseite. Ich denke, der Weg zu den Olympischen Spielen führt nur mit uns.
Es geht aber nicht darum, in Paris dabei zu sein.
Nein, auf keinen Fall. Bei den Spielen ist ganz klar eine Medaille unser Ziel. Das ist auch der Grund, warum wir diese lange Vorbereitungsphase so ernst nehmen.
Bei den Olympischen Spielen in Tokio gehörten Sie als zweifache Weltmeister ebenfalls zum Favoritenkreis. Am Ende wurde es ein neunter Platz - auch, weil Roger Kluge noch an Folgen eines Sturzes bei der Tour de France laborierte. Was haben Sie aus diesem Ergebnis gelernt?
Für mich war es 2020 und 2021 sehr schwer, durch die Corona-Zeit auf genügend Rennkilometer im Vorfeld der Spiele zu kommen. Viele Rennen meiner Mannschaft wurden einfach gestrichen. Dadurch war die Rennhärte einfach nicht so da, wo sie hätte sein müssen. Es wird deshalb definitiv wichtig sein, im Vorfeld von Paris genug Intensitäten zu bekommen - bei Straßenrennen oder auch auf der Bahn.
Sie fahren jetzt seit 2017 mit Roger Kluge zusammen, seitdem gab es zahlreiche internationale Erfolge.
Ja, wir ergänzen uns wirklich sehr gut - Roger ist mehr der Ruhepol, ich bin mehr der impulsive Typ. Es sind wohl die Gegensätze, die uns so stark machen. Und die Erfolge sprechen sicher für sich. Ich glaube, wir können beide sagen, dass wir in unserer Karriere zusammen ziemlich viel erreicht haben. Es fehlt eigentlich nur die Olympia-Medaille. Ich denke, dazu sind wir auch in der Lage. Das wollen wir in Paris probieren.
Zweimal waren Sie auch schon bei den Olympischen Spielen in der Mannschaftsverfolgung am Start, 2016 in Rio de Janeiro wurde es Platz fünf, in Tokio 2021 Platz sechs. Wie sind hier Ihre Ambitionen für Paris?
Ich möchte mich nach wie vor gern auch in der Mannschaftsverfolgung für die Olympischen Spiele qualifizieren. Ich glaube aber, dass man nach der WM in Glasgow (Anm. d. Red.: Platz sieben) realistisch sein muss: Zu einer Medaille wird es in Paris eher nicht reichen. Der Vierer lag mir immer am Herzen, ich war da immer gut vorbereitet und eine feste Bank. Der Plan ist erstmal, den Weg nicht zu verändern. Das heißt aber auch, dass wir in der Vorbereitung überlegen müssen, worauf das Hauptaugenmerk gelegt wird.
Sie sagen selbst, die Olympischen Spiele in Paris sind wohl das letzte große Ziel in Ihrer Radsport-Karriere. Was kommt danach?
In meinem Kopf gibt es schon ein paar Gedanken. Ich habe ein gewisses Alter, es wird schwerer sich durchzusetzen. Und natürlich habe ich auch den Wunsch, mehr bei der Familie zu Hause zu sein. Aber erstmal konzentriere ich mich noch ein Jahr voll auf das Radfahren - und das so professionell wie möglich. Was danach ist, wird sich zeigen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Thomas Juschus.
Sendung: rbb24, 27.10.2023, 18 Uhr
Beitrag von Thomas Juschus
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