Extremsport
Im März lernte der Berliner Christian Kinzel das Rudern. Ein paar Monate und unzählige Stunden auf dem Wasser später will er sich einer großen Herausforderung stellen. Mit elf anderen Ruderern in einem Boot soll es in 40 Tagen über den Atlantik gehen. Von Lynn Kraemer
Die Sonne blinzelt durch die Wolken, als Christian Kinzel sein Boot ins Wasser lässt. Der Wannsee gibt sich einladend und ruhig. Und Kinzel rudert los. So wie eigentlich jeden Tag. Er steckt mitten in der Vorbereitung für sein großes Abenteuer. In nicht mal zwei Monaten wird er den so vertrauten Wannsee gegen den Atlantik eintauschen.
Alles begann mit einer simplen, aber ungewöhnlichen Suchanfrage: "Wie kann ich mit Winterklamotten auf dem Wannsee oder der Spree mit dem SUP fahren?" Mehr wollte Christian Kinzel, der schon immer gerne auf dem Wasser war, gar nicht herausfinden. Bei der Suche nach einer Antwort stieß er aber auf etwas Anderes: "Da kam ein Videovorschlag über vier Hausfrauen aus Yorkshire, die mit einem Ruderboot über den Atlantik gerudert sind." Für den 53-Jährigen habe es beim Schauen Klick gemacht: "Das ist genau das, was ich schaffen will."
Vom Startpunkt auf Teneriffa wird ihn die 4.000 Kilometer lange Reise bis nach Antigua in der Karibik führen. 40 Tage auf offener See. Zu zwölft werden sie Tag und Nacht in Schichten rudern: drei Stunden am Riemen und drei Stunden Pause. Das Boot des Organisators, die "Roxy", ist fast 12 Meter lang und 1,74 Meter breit. An Bug und Heck gibt es jeweils eine Schlafkabine. Eine Osmoseanlage sorgt für Trinkwasser und die Verpflegung wird mit Astronautennahrung gedeckt. Im August konnte sich Kinzel mit dem Boot vertraut machen. Als Test ging es in drei Tagen von Nordirland nach Schottland. "Die Kabine sieht auf Bildern groß aus, aber sie ist verdammt eng", sagt Christian Kinzel.
Die Bedingungen, die ihn erwarten, kann Kinzel in Berlin nicht nachstellen. Aber er sammelt Kilometer. So viele, dass er im Berliner Ruder-Club schon den Spitznamen "Kilometer-Chris" bekommen hat. "Ich gehe auch bewusst bei Regen und stürmischen Wetter raus, um das Wellenspiel auch für mich zu erleben und zu fühlen", sagt Kinzel, der seit rund 16 Jahren in Berlin lebt. Auch für die Nachtfahrten hat er eine Lösung gefunden: Das Strömungsbecken. Das bietet ihm neben der Loslösung von Tag und Nacht noch einen weiteren Vorteil: "Hier habe ich die Möglichkeit, auch tatsächlich für mich alleine zu rudern. Die Schwierigkeit im Riemenrudern ist natürlich, dass ich nicht alleine aufs Wasser kann. Dann würde ich mich permanent im Kreis drehen."
In Vorbereitung auf die Überfahrt hat er sich mit vielen Menschen ausgetauscht, Erfahrungsberichte gelesen und sich auch auf Mentaltraining konzentriert. Dazu gehören Meditation und Tai Chi. "Ich habe tatsächlich auch Angst, weil ich bestimmte Situationen nicht unter Kontrolle habe", sagt Kinzel. Da wären El Nino und die Atlantikerwärmung, deren Auswirkungen er noch nicht einschätzen könne, aber auch mögliche Begegnungen mit Meeresbewohnern wie Haien oder Wale, Container, Mikroplastik und Stürme: "Davor habe ich Respekt, aber ich freue mich auch darauf."
Nach überstandenem Burn-out will der Berliner seine Grenzen testen: "Meine Entscheidung diese Challenge zu machen, ist auch mich meinen Ängsten zu stellen." Er habe das Gefühl gehabt, dass es nicht mehr weitergehe und aus dieser Krise immens viele Dinge über sich gelernt. Zum Beispiel, dass vier Hausfrauen aus Yorkshire einen zum Abenteuer des Lebens inspirieren können. Und dass er am 3. Dezember nicht in Winterklamotten mit dem SUP auf dem Wannsee, sondern mit einem Ruderboot auf dem Atlantik unterwegs sein wird.
Sendung: rbb24, 14.10.2023, 18 Uhr
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