Fußball-Bundesliga
Gerade einmal vier Spielzeiten hat Union Berlin vom Bundesliga-Aufstieg bis in die Champions League gebraucht. Nun scheint die Entwicklung zu stocken. Dabei hebelt der Klub weiterhin so manches Fußball-Gesetz aus.
Es läuft nicht beim 1. FC Union Berlin. Tabellarisch ist mit Bundesliga-Platz 13 zwar noch alles im grünen Bereich. Zumindest sofern man dem erklärten Saisonziel, erstmal den Klassenerhalt zu sichern, Glauben schenkt. Andererseits sind sieben Niederlagen in Folge immer ein Alarm-Signal, ganz gleich was für Saisonziele man so ausgegeben hat. Die Erklärungsansätze für den eisernen Tiefflug sind zahlreich. Zeit, fünf besonders beliebte auf den Prüfstand zu stellen.
Schaut man nur auf die Fußball-Bundesliga, stehen zwei Siegen zum Saison-Auftakt fünf Niederlagen in Folge gegenüber. Der Anteil der Neuzugänge in der Startelf lag dabei in der Regel relativ konstant zwischen drei und vier. Einzig bei der Niederlage in Heidenheim am sechsten Spieltag schickte Urs Fischer gleich fünf Sommer-Transfers zum Anpfiff auf den Rasen.
Nachhaltig überzeugen konnte von denen bisher einzig und allein Robin Gosens, der mit seinem Profil wie erwartet perfekt ins Union-System passt. Alle anderen brauchen offenkundig noch etwas Zeit, um die Abläufe, von denen Union in guten Zeiten so sehr zehrt, zu verinnerlichen. Das allerdings ist Union gewöhnt. Auch in der vergangenen Spielzeit nominierte Urs Fischer zu Beginn der Saison zumeist eine ähnliche Anzahl an Neuzugängen für seine Startaufstellungen. Der Unterschied: 2022/23 überstand die Mannschaft die ersten sieben Spieltage dennoch ohne Niederlage.
Dass Union in den vergangenen Jahren trotz der stets hohen Fluktuation im Kader in immer ungeahntere Höhen aufstieg, lag auch an einer jeweils stabilen Achse. Mindestens in jedem Mannschaftsteil fand sich ein Spieler, der schon länger gesetzt war, an dem die anderen sich orientieren konnten. In der vergangenen Saison etwa bestand diese Achse aus Torhüter Frederik Rönnow, Abwehrchef Robin Knoche, Mittelfeld-Stratege Rani Khedira und Sheraldo Becker, dem besten Scorer des Teams.
Zuletzt blieb davon nur Rönnow übrig. Knoche und Khedira fehlten verletzt, Becker lief zwischenzeitlich nicht mehr den Gegnern davon, sondern einzig seiner Form hinterher. Aktuell kommt er auf gerade einmal 51 Prozent aller möglichen Spielminuten. Besonders aber das Fehlen von Rani Khedira macht sich bitter bemerkbar. Der zentrale Mittelfeldspieler ist nicht nur Bestandteil der Union-Achse, sondern so etwas wie ihr Schmierstoff. Sein Fehlen konnte von keinem seiner Aushilfen adäquat ersetzt werden.
Elf, sieben, fünf, vier lauteten die Bundesliga-Platzierungen von Union Berlin der letzten Jahre. Sollte die Konkurrenz den Emporkömmling aus Köpenick zunächst nicht ernst genommen haben, dürfte sich das spätestens nach Unions Einzug in die Europa League geändert haben. Doch statt Bruchlandung wegen Entschlüsselung folgte der Flug zu den Sternen, mitten hinein in die Champions League.
Dabei behielt die Mannschaft sowohl ihre Formation als auch den taktischen Angang in all den Jahren weitestgehend bei. Ja, die individuelle Klasse der Spieler steigerte sich von Jahr zu Jahr, statt hoch und weit wurden Konter nun auch mal durch flotte Flachpässe eingeleitet. Alles in allem aber blieb sich Union, blieb sich Trainer Urs Fischer treu. Das Hauptaugenmerk gilt der Defensive und der mannschaftlichen Geschlossenheit. Eine eklig zu bespielende Mannschaft, die arbeitet, arbeitet, arbeitet und mit enormer Effizienz ihre Chancen zu nutzen weiß.
Schon in vorigen Spielzeiten haben manche von Unions Gegnern versucht, den Berlinern den schwarzen Peter und also den Ballbesitz zuzuschieben. Die häufige Folge: schwer verdaubare Fußballkost ohne Torchancen, in denen Union zumeist mit seiner besonderen Stärke bei Standard-Situationen zu punkten wusste. All das gilt auch in dieser Saison unverändert. Was sich geändert hat: Die Defensive wankt. Statt vier Gegentoren an den ersten sieben Spieltagen der Saison 2022/23 steht Union ein Jahr darauf bereits bei 14 Gegentreffern.
Nö. Ganz im Gegenteil: Union ist den Tanz auf mehreren Hochzeiten längst gewohnt. Ob in Conference, Europa oder nun also Champions League. Der Unterschied zu den Vorjahren ist einmal mehr: die Achse. Während Fischer zuvor rund um Rönnow, Knoche, Khedira und Becker aus den Tiefen seines immer schon breiten Kaders schöpfen konnte wie er wollte und Union dennoch Union und erfolgreich blieb, bleibt in diesem Jahr bisher vor allem einer drin: der Wurm.
"Da mach’ ich mir vom Kopf her keine Gedanken", sagte Ex-Union-Trainer Jens Keller einst. Wobei man dazusagen muss, dass Keller zum Zeitpunkt der Aussage, 2014, Trainer von Schalke 04 war - was vermutlich von Gelehrten und Staatsanwaltschaften rund um den Erdball als schuldmindernd angesehen werden dürfte. Im Kern wollte Keller vermutlich auch nur davon ablenken, dass er sich eben im Kopf sehr wohl Gedanken macht, denn Fußball, das weiß man, ist ja eben nichts anderes als: reine Kopfsache.
"Irgendwann wird es eine mentale Geschichte, wenn du immer wieder diese Nackenschläge bekommst. Ich glaube, das ist menschlich", sagte unlängst auch Robin Gosens, der in der Folge darauf baute, dass die aktuelle Länderspielpause Linderung bringt. Erfolg durch Verdrängung also. Klingt vielversprechend. Ist dann aber ein anderer Text.
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.10.2023, 19:15 Uhr
Beitrag von Ilja Behnisch
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