Laidouni und Co.
Im Zuge des aktuellen Nahost-Konflikts postete Union Berlins Spieler Aissa Laidouni auf Instagram eine palästinensische Flagge mitsamt betender Hände. Doch nicht nur das sorgte für Irritationen, sondern auch das Verhalten des Vereins. Von Ilja Behnisch
Als Felix, 35, am Samstag, den 7. Oktober in Begleitung von Rabbiner Yitshak Ehrenberg an der Berliner Synagoge in der Joachimstaler Straße ankommt, weiß er noch nicht, dass sich Israel bereits im Krieg mit der Hamas befindet. Felix, dessen Nachname hier zu seinem Schutz unerwähnt bleibt, lebt "sehr bewusst orthodox jüdisch", hält Schabbat, den wöchentlichen Ruhetag. Nach heutiger Auslegung bedeutet das kein Strom, kein Autofahren, keine Computer oder Handys. Also auch: keine Nachrichten und keine Spiele von Union Berlin. Felix ist Fan der "Eisernen", seit über 20 Jahren. Und von seinem Verein enttäuscht.
Der Grund seiner Enttäuschung ist Unions Umgang mit einem Social-Media-Beitrag ihres tunesischen Spielers Aissa Laidouni. Dieser hatte auf Instagram das Bild einer palästinensischen Flagge gepostet. Darunter waren betende Hände zu sehen. Der Post erschien am Mittwoch, den 11. Oktober. Zu diesem Zeitpunkt hatte Israel bereits begonnen, Ziele in Gaza zu bombardieren.
Der zeitliche Abstand spielt für Felix keine Rolle: "Natürlich soll er seine Solidarität mit den Palästinensern ausdrücken können, vor allen Dingen mit den Zivilisten, die mit der Sache nichts zu tun haben. Wenn er aber wenigstens erwähnt hätte, dass es Opfer auf beiden Seiten gibt." Dass Laidouni kein Wort über die Gräueltaten der Hamas verloren hätte, verletze ihn. "Die haben sich nicht irgendwelche Soldaten vorgeknöpft, sondern gezielt Zivilisten."
Mehr als 1.400 Menschen sind nach israelischen Angaben dabei getötet, 4.000 verletzt und mindestens 224 Menschen verschleppt worden. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die nicht unabhängig überprüft werden können, starben nach Angriffen Israels auf den Gaza-Streifen bisher 7.028 Menschen, mehr als 18.000 seien verletzt worden.
Auch für Marcus Funck ist Laidounis Instagram-Story problematisch. Funck ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin und sagt: "Wir halten es für selbstverständlich, dass man den Opfern der grausamen Terrorakte zuerst gedenkt. Für Laidouni sind diese Opfer nicht der Erwähnung wert. Und das ist ein Statement."
Es sei nichts Ungewöhnliches, "dass in diesem historischen Konflikt zunächst der als eigen wahrgenommenen Menschen gedacht wird", so Funck. Jedoch sei der Echo-Raum in diesem Fall ein deutscher. Einer, dem auch Fans wie Felix angehören. "Laidouni sollte wissen, dass es einen spezifischen, deutschen Kontext gibt. In dem Mitverantwortung für Israel immer gekoppelt ist an den Holocaust und das Holocaust-Gedenken", so Funck.
Der Wissenschaftler sieht hier die Berater der Spieler in der Pflicht, insbesondere aber die Vereine. Sie müssten bei den Spielern ein Bewusstsein dafür entwickeln, in welchem Land sie sich bewegen. Er sagt: "Ich finde dieses 'Wir reden mit dem Spieler' nicht ausreichend. Das ist ein nachholendes Gespräch. Solche Gespräche müssen im Vorfeld geführt werden."
Unions Geschäftsführer Kommunikation, Christian Arbeit, hatte vor dem Bundesliga-Spiel gegen den VfB Stuttgart am 21. Oktober gesagt: "Natürlich können und werden wir mit ihm (Laidouni, Anm. d. Red.) sprechen." Dieses Gespräch hat inzwischen stattgefunden, das bestätigte Arbeit gegenüber rbb|24. Über Inhalte solcher Gespräche gäbe man grundsätzlich nichts bekannt. Konsequenzen für Laïdouni hätten sich daraus nicht ergeben.
Juristisch wäre das auch schwer vermittelbar gewesen, sagt Robert Golz, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und Mitglied des Sportrechts-Podcasts "Liebling Bosman": "Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer berechtigt, seine Meinung zu äußern, auch im kritischen Bereich, aber natürlich im Rahmen des rechtlich zulässigen." So wie bei Laidouni.
Anders läge der Fall etwa beim Mainzer Spieler Anwar El Ghazi [sportschau.de], der den Slogan "From the river to the sea, Palestine will be free" gepostet hatte. Eine Äußerung, die das Existenzrecht Israels in Frage stellt und inzwischen von einer zunehmenden Mehrheit in der Justiz als strafrechtlich relevant angesehen wird. El Ghazi, Niederländer marokkanischer Eltern, wurde daraufhin vom Verein suspendiert. Er nimmt weder am Spiel- noch Trainingsbetrieb der Profi-Mannschaft teil, erhält jedoch weiterhin sein Gehalt.
Golz sagt: "So eine Äußerung, das ist nichts, was ein Arbeitgeber hinnehmen muss. Da können scharfe, arbeitsrechtliche Maßnahmen ergriffen werden. Außer meiner Sicht ist die Freistellung mit Bedacht erfolgt und rechtlich ein tragbarer Mittelweg gewesen."
Anders liegt der Fall bei Bayern Münchens Noussair Mazraoui. Der marokkanische Nationalspieler hatte ein Video geteilt, in dem es unter anderem heißt: "Gott, hilf unseren unterdrückten Brüdern in Palästina, damit sie den Sieg erringen. Möge Gott den Toten Gnade schenken, möge Gott ihre Verwundeten heilen." Dies sei, so der Berliner Antisemitismus-Forscher Funck, ein stark religiöser Text, bei dem man die Bedeutung eines jeden Begriffes ausleuchten müsse.
So stelle sich die Frage: "Was bedeutet Sieg? Ist es ein militärischer Sieg? Ein moralischer Sieg?" Man könne nicht in den Kopf des Spielers schauen, jedoch sei dieser Post kurz nach dem Überfall der Hamas getätigt worden. Ein Angriff, "der mal terroristisch genannt wird und manchmal als Angriff mit genozidaler Vernichtungs-Absicht". Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er "möglicherweise nicht so eine Wirkung entfaltet." So aber sei es ein Statement, "das in diesem Kontext durchaus in die Richtung von Zustimmung geht." Zustimmung zur Vernichtung Israels.
Der FC Bayern München hat in der Folge das Gespräch mit seinem Spieler gesucht und von Konsequenzen Abstand genommen. Der Verein veröffentlichte ein Statement, in dem es heißt: "Noussair Mazraoui hat uns glaubwürdig versichert, dass er als friedliebender Mensch Terror und Krieg entschieden ablehnt. Er bedauert es, wenn seine Posts zu Irritationen geführt haben", sagt Jan-Christian Dreesen, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern, und erklärt: "Der FC Bayern verurteilt den Angriff der Hamas auf Israel." - "Darüber hinaus", erklärt Noussair Mazraoui, "verurteile ich jede Art des Terrorismus und jede Terrororganisation.'"
Nicht nur für Alon Meyer, Präsident des deutsch-jüdischen Sportverbandes Makkabi, war das zu wenig. Es gebe kein Wort des Beileids oder der Entschuldigung, sagte Meyer im ZDF-Sportstudio. In der Stellungnahme sei mit keinem Wort das Geschehen vom 7. Oktober erwähnt worden.
Auch der jüdische Union-Fan Felix ist vom Statement des FC Bayern "sehr enttäuscht", wie er sagt. Ebenso wie von seinem Verein und dessen Spieler. Er hätte mindestens im Nachgang mehr erwartet: "Ich hätte mir eine Erklärung von Laidouni gewünscht, dass er das nicht nur einseitig meinte. Aber da kommt ja nichts." Auch sei er in der Synagoge bereits nach der Haltung des 1. FC Union befragt worden, "aber auch da kommt nichts. Das tut weh."
Doch er habe auch Verständnis. Es sei kein leichtes Thema, auch für Union nicht. Er könne das schon nachvollziehen. Auch an Konsequenzen wolle er, der inzwischen aus Angst vor Angriffen eine Mütze über der Kippa, der traditionellen, jüdischen Kopfbedeckungen, trägt, nicht denken. "Ich kann das trennen. Ich gehe seit über 20 Jahre zu Union."
Sendung: rbb24 Inforadio, 28.10.2023, 15 Uhr
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Beitrag von Ilja Behnisch
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