Neues Nachwuchsleistungszentrum
In der Champions League verzichtet der 1. FC Union Berlin notgedrungen auf einen Kaderplatz. Der Grund: Die Eisernen haben zu wenige Profis aus dem eigenen Nachwuchs. Mit neuer Infrastruktur soll sich das ändern. Von Till Oppermann
Marco Grote wollte es nicht beschönigen: "1:4 zu verlieren, ist am Ende schon doof", sagte der U19-Trainer des 1. FC Union Berlin nach der Niederlage vor einer Woche gegen Sporting Braga in der Uefa Youth League. Seine Mannschaft war vor mehr als 3.000 Zuschauern im Stadion An der Alten Försterei sogar in Führung gegangen. Doch dann zeigten die Portugiesen den Berlinern ihre sportlichen Grenzen auf.
Im Vergleich zum Union-Nachwuchs ist Bragas Jugendarbeit in Europa ganz vorne dabei. So weit vorne, dass jedes Jahr mehrere Jugendspieler den Sprung zu den Profis schaffen. Ein großer Teil des Youth-League-Aufgebots spielt schon mindestens für Bragas zweite Mannschaft in der dritten portugiesischen Liga.
Aus Grotes Startelf durfte dagegen noch niemand ein Pflichtspiel im Erwachsenenbereich bestreiten. Den Unterschied belegen schon die Gäste-Torschützen: Kauan Kelvin kam für eine Million Euro aus Brasilien, Roger Fernandes gab in dieser Saison schon zwei Vorlagen bei den Profis und João de Vasconcelos durchlief alle portugiesischen Junioren-Nationalmannschaften. Immerhin: "Da nehmen die Jungs etwas mit, auch wenn es weh tut", sagte Grote über seine Spieler.
Und doch hat sich im Union-Nachwuchs in den letzten Jahren mehr getan, als man annehmen könnte. Nach einem vierten Platz in der A-Jugend-Bundesliga Nord/Nordost in der Vorsaison steht die U19 derzeit sogar auf dem dritten Tabellenplatz. Mit U20-Nationalspieler Aljoscha Kemlein debütierte ein Eigengewächs in dieser Saison sowohl in der Bundesliga als auch schon in der Champions League. "Er zeigt uns, dass der Weg stimmt", lobte Nachwuchs-Chef Lutz Munack kürzlich im rbb|24-Interview.
Munack hat eine der schwersten Aufgaben bei Union. Einerseits ist es sein Auftrag, am neuen Nachwuchsleistungszentrum bundesliga-würdige Bedingungen zu schaffen, andererseits müssen die aktuellen jungen Teams schon so gut sein, dass sie sportlich irgendwie mit der rasanten Entwicklung der Profis Schritt halten können. Oder wie er es formulierte: "Unter der Woche spielen wir in Madrid, am Wochenende in Meppen."
Dass dieser Spagat nicht immer gelingen kann, zeigte im vergangenen Sommer der Fall des Stürmers Malick Sanogo. Obwohl er in seiner letzten U19-Saison in 16 Ligaspielen 17 Tore erzielt hatte, ließen ihn die Eisernen ablösefrei zur zweiten Mannschaft des 1. FC Nürnberg ziehen. Er habe zwar Potential, so Sportdirektor Oliver Ruhnert, aber da Sanogo bei Union danach keine Spielpraxis mehr bekommen hätte, sei ein Wechsel der "logische Schritt" gewesen.
Und eine Folge der Tatsache, dass der sportliche Bereich bei Union schneller gewachsen ist als die Infrastruktur. Als Union im Jahr 2015 die zweite Mannschaft als Zwischenstufe zwischen Nachwuchs und Profis aus der Regionalliga abgemeldet hatte, war der Sprung aus der A-Jugend in die erste Mannschaft noch leichter.
Mittlerweile ist es so, dass Spieler wie U19-Kapitän Noah Engelbrecht oder U17-Torjäger Kelvin Ojo zwar hochtalentiert sind, ihre Perspektive in der Bundesliga-Mannschaft aber ziemlich unklar ist. Zumal selbst ein Vertrag nicht automatisch Einsatzzeiten verspricht. Der 21 Jahre alte Laurenz Dehl beispielsweise ist bereits seit vier Jahren Profi, aber bestritt in dieser Zeit noch kein Pflichtspiel für die erste Mannschaft. Aktuell dient er Union vor allem dazu, genügend im Verein ausgebildete "Local Player" im Kader zu haben. In der Champions League musste Union sogar auf einen Kaderplatz verzichten, weil es nicht genügend Eigengewächse gibt.
Geht es nach Präsident Dirk Zingler wird sich das mit der Fertigstellung des neuen Nachwuchsleistungszentrums rasch ändern. Mit dem 25-Millionen-Euro-Investment wolle Union das Ausbildungsniveau erhöhen, sagte Zingler gegenüber rbb|24. Aber dabei soll es nicht bleiben: "Nach dem Abschluss der Investition in Steine werden wir auch mehr in Beine im Nachwuchs investieren." Wie das aussehen könnte, zeigen zwei Transfers aus dem Sommer. Die U19-Spieler Ion Ciobanu und Oluwaseun Ogbemudia wurden jeweils für eine Ablösesumme vom 1. FC Nürnberg und vom FC St. Pauli verpflichtet.
In Zukunft will Union mit Vereinen wie Stadtrivale Hertha BSC, dem VfL Wolfsburg und RB Leipzig konkurrieren, die bisher bei den größten Talenten aus dem Nordosten des Landes die besten Chancen hatten. Bis dahin können die aktuellen Jugendspieler schon mal auf der größten Bühne des europäischen Fußballnachwuchs lernen, der Uefa Youth League.
Sendung: rbb24 Inforadio, 10.10.2023, 13:15
Beitrag von Till Oppermann
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