Analyse nach 0:1 gegen Neapel
Unions Spiel gegen Neapel in der Champions League bewies, dass die Mannschaft noch kämpfen kann. Das Spiel verloren die Eisernen in der zweiten Halbzeit. Zu oft trafen die Spieler falsche Entscheidungen. Von Till Oppermann
Hätten sie gewonnen, wäre eine Beschreibung von Christopher Trimmels Gelber Karte in der zehnten Minute ein passender Einstieg für einen Text über die Rückkehr des alten 1. FC Union gewesen. In der ersten Halbzeit des Spiels gegen Napoli zeigten die Eisernen jene Basics, die viele zuletzt immer stärker vermisst hatten. Union verteidigte aggressiv nach vorne, verschob geschickt, holte sich konsequent die zweiten Bälle und schaltete nach vorne sauber um. Und die Spieler begingen kleine Fouls, mit denen sie die italienischen Offensivkünstler nervten. So wie Trimmel in der zehnten Minute, als er Napolis besten Dribbler Kvicha Kvaratskhelia geschickt mit einem Trikotzupfer stoppte. Bis zur Pause gelang dem italienischen Meister kein Schuss aufs Tor. Der 1. FC Union hatte weniger Ballbesitz und war trotzdem die dominante Mannschaft.
Aber am Ende hat Union nicht gewonnen, sondern zum neunten Mal hintereinander verloren. Und Christopher Trimmels Gelbe Karte wurde nicht zum Sinnbild für die Auferstehung der Köpenicker. Sie war spielentscheidend. Denn als Kvaratskhelia in der 65. Spielminute auf dem linken Flügel den Ball bekam und an Unions Kapitän vorbeizog, konnte der nicht mehr foulen. Kvaratskhelia zog bis zur Grundlinie und setzte Sturmpartner Giacomo Raspadori ein, der mit Neapels einzigem Schuss aufs Tor den Siegtreffer erzielte.
Gegen so einen Gegner brauche es nicht viel, um zu verlieren, kommentierte Trimmel ratlos nach dem Spiel am "DAZN"-Mikrofon. Zumal er in der Situation eigentlich alles richtig gemacht hatte. Im Grundsatz war Trimmels Entscheidung, Kvaratskhelia Richtung Grundlinie zu drängen, gut. Den Fehler machten seine Mitspieler, die in der Szene gleich zwei falsche Entscheidungen trafen. Erst versäumten sie es, den Georgier mit Trimmel zu doppeln. Dann schoben sie nicht nach in den Raum hinter ihren Kapitän, der sich erst so für den Torschützen öffnete.
Der enttäuschte Trainer Urs Fischer konnte seinen Innenverteidigern nicht böse sein. Gegen eine Topmannschaft wie die SSC Neapel könne man eben nicht 90 Minuten alles perfekt verteidigen, so Fischer. Das mag sein, aber genau genommen hatte sich der Gegentreffer ab dem Wiederanpfiff schon für zwanzig Minuten abgezeichnet. In dieser Phase ging die Spielkontrolle der ersten Hälfte verloren. Die Unioner liefen sich zwar weiter die Seele aus dem Leib, aber sie gewannen vorne immer seltener die zweiten Bälle. Außerdem manövrierten sie sich gleichzeitig durch Fehler im Spielaufbau zunehmend in Drucksituationen.
Schließlich fiel das Tor, nachdem Union mehrmals den Ball nicht richtig geklärt hatte. Spätestens ab der 60. Spielminute löste sich die defensive Ordnung auf, bis Kvaratskhelia und Raspadori zu viel Platz bekamen. Zunehmend entwickelte sich ein frustrierendes Spiel, in dem der Einsatz stimmte, aber Unions Entscheidungen auf allen Ebenen falsch waren. Sei es der verweigerte Handschlag von David Datro Fofana nach seiner Auswechselung oder seien es die langen Bälle auf den Flügel zu Sheraldo Becker, während der kopfballstarke Kevin Behrens in der Mitte freistand. Sobald ein Unioner etwas Platz hatte, konnte man sich sicher sein, dass der nächste Pass in eine Zone ging, in der mehr Neapolitaner als Berliner standen. Natürlich reichte es nicht mehr für den Ausgleich.
Unions Ausscheiden aus der Champions League ist damit so gut wie besiegelt. Die Brisanz der Niederlage definiert sich aber viel mehr daraus, dass es die mittlerweile neunte in Serie war. Die Führungsspieler Khedira und Trimmel stellten sich trotzdem hinter ihren Trainer. Fischer habe Union erst in die Champions League geführt und sei deshalb genau auch der richtige Coach, um die Krise zu beenden. Gegen Neapel gelang immerhin ein kleiner Erfolg.
Denn die gleichen Sätze, die nach einer unterirdischen Leistung am letzten Wochenende gegen Stuttgart noch geklungen hatten wie eine Durchhalteparole, hören sich nach dem Spiel am Dienstag wieder plausibler an. "Wir haben eine Reaktion gezeigt", sagte Trimmel. Khedira sprach davon, dass Union wieder alle typischen Tugenden auf den Platz gebracht habe. 125 Kilometer Laufleistung unterstreichen ihre Aussagen. Um am Samstag in Bremen endlich gewinnen zu können, müssen zusätzlich auch die fußballerischen Entscheidungen wieder stimmen.
Sendung: rbb24, 25.10.2023, 18 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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