Heimdebüt in der Königsklasse
Unions nächster Gegner in der Champions League steht für Offensivfußball. Sporting Braga setzt darauf, immer ein Tor mehr zu schießen als der Gegner. Ein Ex-Bundesliga-Spieler steht im Fokus. Von Till Oppermann
"Façam magia tricolor" steht auf den Stufen der Hintertortribüne des portugiesischen Erstligisten Estrela de Amadora geschrieben, "tut es, magische Dreifarbige". Für die Spieler von Sporting Braga muss das am vergangenen Donnerstag wie eine Drohung geklungen haben. Nach einer 3:0-Führung kassierten die Braguistas beim Aufsteiger Amadora in der 75. und 79. Spielminute zwei Gegentore und der sicher geglaubte Sieg stand plötzlich auf der Kippe.
Zwar siegte Braga am Ende noch mit 4:2 gegen den Gegner in seinen grün-weiß-rot-gestreiften Trikots, aber der Spielverlauf ist typisch für den Saisonstart der Mannschaft von Trainer Artur Jorge. Braga hat mit 18 Treffern den besten Angriff der Liga, gleichzeitig gehört die Abwehr mit 13 Gegentoren zu den schwächeren Defensivreihen in Portugal.
Auch Jorge musste nach der Zitterpartie in Amadora zugeben, dass er gedacht hatte, das Spiel sei bereits entschieden. Kritik an seiner Mannschaft wollte er trotzdem nicht zulassen. Weil er seinen Rechtsverteidiger Victor Gomez nach fünf Minuten auswechseln musste, spielte Braga in der Defensive in einer ungewohnten Ordnung.
Der junge türkische Innenverteidiger Serdar Saatci musste rechts in die Viererkette rücken. Ausgerechnet ihm unterlief dann vor dem 1:3-Anschlusstreffer ein individueller Fehler. Angesichts von vier eigenen Toren aus 18 Chancen sei das zu vernachlässigen, so Jorge. "Wenn wir diese Offensivproduktion haben und noch effizienter werden, sind wir immer näher am Sieg als der Gegner."
Beim Spiel in Berlin am Dienstag wird Jorge den Ausfall von Victor Gomez wohl trotzdem anders abfangen: Auf der rechten Seite könnte dann der 20-Jährige Joe Mendes verteidigen. Der Schwede spielte in dieser Saison bisher nur 31 Minuten. Ob das ausreicht, um in der Champions League gegen Robin Gosens zu bestehen, weiß niemand. Aber für den Trainer ist etwas anderes entscheidend: Mendes größte Stärke ist sein Tempo, er kann den Offensivdrang des verletzten Gomez eher ersetzen als ein umfunktionierter Innenverteidiger.
Obwohl Artur Jorge genau wie Urs Fischer während seiner aktiven Zeit als Innenverteidiger spielte, setzt er mit seinen Mannschaften anders als der Union-Coach voll auf eine gefährliche Offensive. Jorges Satz "ich spreche nicht über Gegentore, sondern nur über Ergebnisse", wäre für Fischer jedenfalls undenkbar.
Was ihre Werte neben dem Feld angeht, sollten sich die beiden aber gut verstehen. Denn ebenso wie Urs Fischer, der mittlerweile in seiner sechsten Saison bei Union arbeitet, ist Artur Jorge seit Jahren im Verein. Nachdem er 2017 die U15-Mannschaft des SC Braga übernahm, arbeitete er sich kontinuierlich nach oben, bis er vor einem Jahr Cheftrainer wurde und die Mannschaft direkt zu ihrer ersten Champions League-Qualifikation seit elf Jahren führte.
Das alles gelang Braga mit geringeren finanziellen Möglichkeiten als der Konkurrenz aus Lissabon und Porto und einem Fußball, der auf Spielkontrolle setzt. Dass Braga in der Liga im Schnitt fast 60 Prozent Ballbesitz und 16 Torabschlüsse pro Spiel gelingen, mag angesichts der Favoritenrolle in den meisten Spielen nicht überraschen. Dass die Portugiesen auch im ersten Champions-League-Spiel gegen den SSC Neapel Vorteile beim Ballbesitz hatten und 16 Mal aufs Tor schossen, belegt ihre Lust auf Dominanz.
Das Spiel gegen Napoli ging schlussendlich nach einem späten 1:2-Gegentor verloren. Womöglich wird man sich in Braga im Saisonrückblick aber trotzdem gerne an die Partie erinnern. Denn einer der Spieler, die in den vergangenen Wochen besonders gut in Form waren, schaffte gegen den italienischen Meister seinen Durchbruch: Rodrigo Zalazar, im Sommer für fünf Millionen Euro von Bundesliga-Absteiger Schalke 04 verpflichtet, lieferte nach seiner Einwechslung die Vorlage zum zwischenzeitlichen Ausgleich. Immer wenn er in dieser Saison in der Startelf stand, erzielte Braga vier Tore.
So auch letzten Donnerstag in Amadora. Die portugiesische Fußballzeitung "O Jogo" schrieb sogar: "Zalazar hat das Mittelfeld revolutioniert". Tatsächlich bringt der Uruguayer einige Qualitäten ins Team, die sehr gut zum Fußball von Artur Jorge passen. Immer wieder verlässt er seine Position im zentralen Mittelfeld, um in die Spitze zu stoßen. Dort füllt er dann Lücken, die Mitspieler wie der agile Angreifer Simon Banza und Kapitän Ricardo Horta durch ständige Positionswechsel reißen. Je nach Spielsituation kann Jorge ihn aber auch defensiver als zweiten Sechser neben Taktgeber Al-Musrati positionieren.
Auch gegen Union wird Zalazar wahrscheinlich von Beginn an spielen, obwohl die Konkurrenz im zentralen Mittelfeld durch Routinier Joao Moutinho und Ricardos Bruder Andre Horta besonders groß ist. Denn anders als seine Mitspieler ist Zalazar nach Ballverlusten im Gegenpressing sehr unangenehm für seine Gegner.
Besonders darauf wird es gegen Union ankommen. Nach fünf Niederlagen in Serie kommt Bragas offensive Spielanlage Urs Fischers Mannschaft nämlich entgegen. Vergangene Woche sagte Artur Jorge über Amadora: "Es ist gefährlich für uns, wenn eine Mannschaft bis ins letzte Drittel absinkt und mit allen Spielern hinter der Balllinie verteidigt." Klingt nach einer guten Gelegenheit für Union, sich durch die Rückbesinnung auf gewohnte Stärken selbst aus der Krise zu ziehen.
Sendung: rbb24, 02.10.2023, 18 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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