Kritik der eigenen Fans
Die Heimspiele von Hertha BSC erfreuen sich trotz des Abstiegs großer Beliebtheit. Die Preisgestaltung der Stadiontickets erntet allerdings immer wieder Kritik. Ein genauer Blick zeigt jedoch, dass die Berliner keinen Preiswucher betreiben. Von Marc Schwitzky
Fans von Hertha BSC hätten in den vergangenen Jahren allen Grund gehabt, ihrem Verein den Rücken zuzukehren. Die dauerhaft krisengeplagte "alte Dame" müsste eigentlich auch der treuesten Fanseele den letzten Nerv geraubt haben. Doch was wäre der Fußball langweilig, wenn er dermaßen rational wäre. Selbstverständlich stellte die Hertha-Anhängerschaft nicht die Unterstützung ein, im Gegenteil, der Hauptstadtverein erlebt trotz des Bundesliga-Abstiegs eine regelrechte Euphorie.
Nach dem feststehenden Abstieg stellte sich eine spürbare Jetzt-erst-recht-Haltung ein. Hertha verkaufte mehr Dauerkarten als in der vergangenen Erstligasaison, zudem stieg die Mitgliederanzahl im Vergleich zum Vorjahr um 11,8 Prozent - von 44.211 auf 49.440. Auch in der 2. Bundesliga erfreut sich Hertha eines bemerkenswerten Zuschauerschnitts: Durchschnittlich 46.000 Fans strömten in den bislang vier Heimspielen ins Berliner Olympiastadion, obwohl echte Topspiele wie gegen den Hamburger SV, Schalke 04 oder den Karlsruher SC noch ausstehen. Der dritthöchste Schnitt der Liga.
Allet jut, also? Nö. Herthas Ticketsituation sorgt auch für Unzufriedenheit. Vielen Fans sind die aktuellen Kartenpreise deutlich zu teuer, sie kritisieren die Kartenpolitik des Vereins. An Spieltagen ohne Topspielzuschläge kosten die Tickets im Olympiastadion zwischen 15 Euro (Kat. 7) und 55 Euro (Kat. 15), VIP-Tickets und Comfort Seats sind hiervon ausgenommen.
"Die Preise sind eine absolute Frechheit. Wie soll man sich das u.a. als Student/Azubi leisten können?! Die Ticketpreise in der Bundesliga waren für die Qualität des Fußballs schon sehr sehr hoch und jetzt für die 2. BL noch mehr verlangen? Hackt's bei euch?", schreibt ein Hertha-Fan auf X (ehemals Twitter). "Wir wollen ein Statement zu den Preisen", fordert ein anderer. "Schade, dass die Ticketpreise so hoch sind. 35 Euro für teilweise echt schlechte Plätze sind echt krass. Günstigere Tickets würden das Stadion deutlich füllen und nicht so viele junge Leute abschrecken."
Die Ticketpreise bei Hertha in der laufenden Zweitligasaison treffen immer wieder auf Unverständnis und Ärger. "Den generellen Unmut über Ticketpreise können wir grundsätzlich durchaus nachvollziehen", versichert Hertha BSC gegenüber rbb|24. Gerade in Zeiten von Inflation und Kostensteigerungen sei jene Haltung verständlich. Der Verein könne jedoch versichern, dass "die Preise im Vergleich zur Vorsaison stabil gehalten" wurden, obwohl sich "die Kosten für Personal, Catering etc. in den vergangenen acht Jahren verdoppelt" hätten. Eine Preissenkung sei laut Vereinsangaben nicht möglich gewesen - auch aufgrund der eigenen wirtschaftlichen Situation.
Christoph Breuer, Sportökonom und Professor an der Sporthochschule Köln, bestätigt zum einen, dass die Kosten für Fußballvereine tatsächlich "massiv" gestiegen seien. Zum anderen sagt Breuer, dass Ticketeinnahmen für Hertha durch den Abstieg wieder relevanter geworden seien. "Je niedriger die Profiliga, desto größer ist die Bedeutung von Ticketing-Einnahmen", erklärt er, da die TV-Einnahmen in Liga zwei geringer ausfallen.
Und doch wird Hertha seitens mancher Fans vorgeworfen, der Verein handle durch die gleichgebliebenen Ticketpreise geldgierig. Sportökonom Breuer bezieht den Hauptstadtverein jedoch in der Aussage mit ein, dass der deutsche Fußball noch deutlich bezahlbarer ist als andere Sportveranstaltungen: "Die Ticketpreise in der 1. und 2. Bundesliga sind moderat, vergleicht man sie mit den Preisen der englischen Premier League oder US-amerikanischen Football-Liga NFL."
Laut Breuer wüssten die Vereinsverantwortlichen, dass Ticketpreise eine sehr sensible Angelegenheit sind, da sie direkt am Fan ansetzen. "Hier verfolgen die Bundesliga-Manager eigentlich keine Strategie der Einnahmenmaximierung", so Breuer. "Man weiß, dass man möglichst vielen Fans den Zugang zum Stadion ermöglichen soll, weil das für das Gesamtwachstum des Vereins wichtig ist." Die Preisentwicklung im deutschen Profifußball ist in den letzten Jahren leicht ansteigend, aber noch unter den Inflationswerten.
Preiserhöhungen geschehen eher selten, doch dass der Stadionbesuch nach einem Abstieg günstiger wird, ist schon länger kein Naturgesetz mehr - wie beispielsweise der Hamburger SV zeigt. Auch Mitabsteiger Schalke 04 hat seine Preise zur laufenden Saison stabil gehalten. Hier scheint Hertha branchenüblich zu handeln. Der Verein hat sich nach rbb|24-Anfrage das Ziel gesetzt, den Preis auch zukünftig stabil zu halten und nur "geringfügig" anzupassen: Eine Vergünstigung sei kurz- und mittelfristig nicht vorgesehen.
Hertha beteuert gegenüber rbb|24, schon länger alle Hebel in Bewegung zu setzen, um den Fans einen möglichst günstigen Stadionbesuch zu ermöglichen: Günstigere Tickets für Mitglieder, Vertriebsaktionen mit Rabatten, Ermäßigung für bestimmte Gesellschaftsgruppen, Kinder unter 14 Jahren erhalten im Familienblock sogar kostenlosen Eintritt. Und doch muss der Verein feststellen, dass all diese Rabattaktionen "keinen nennenswerten Effekt auf den Zuschauerschnitt" bei den Heimspielen haben.
Gleichzeitig ist laut Breuer festzuhalten, dass die sogenannte "Preiselastizität" im Fußball sehr hoch ist. Soll heißen: Bei etwaigen Preiserhöhungen oder generell hohen Preisen entsteht eine kaum geringere Nachfrage. So haben Klubs durchaus freie Hand in ihrer Preisgestaltung. Die Fans kommen bei insgesamt plausiblen Preisen in einem gewissen Rahmen so oder so.
Für Hertha besteht somit ökonomisch kein Anreiz, die Tickets günstiger als nötig anzubieten. Darüber hinaus steht der Verein wirtschaftlich bekanntermaßen mit dem Rücken zur Wand, neben Sponsoring- und Transfereinnahmen spielen Merchandise- und eben Ticketverkäufe eine immens wichtige Rolle für die finanzielle Konsolidierung. Derzeit liegt der Zuschauerschnitt "deutlich" über den Planungen des Vereins. Das bedeutet auch monetär Sicherheit.
So wichtig die Ticketverkäufe als Einnahmequelle sind, so wenig tragen sie zu einem wirklich spürbaren Plus bei. Das liegt auch daran, dass Hertha nur Mieter im Olympiastadion ist. Zwar berichteten mehrere Medien vor Monaten übereinstimmend, dass der Berliner Senat dem Klub die Stadionmiete für die laufende Spielzeit komplett gestundet hat – damit spart Hertha vorerst 2,9 Millionen Euro – doch eine Stundung ist keine Schenkung. Hertha wird dieses Geld zurückzahlen müssen.
Zudem sei es laut Breuer kein Automatismus, dass wenn sich ein Kostenpunkt verändert, es sofort Auswirkungen auf den Preis hat. "Man könnte sonst ja auch argumentieren, dass gar nicht die Kosten des Kaders im Ticketpreis enthalten sind", so sein Vergleich. "Da wir im Bereich des Profi-Fußballs auf einem 'mehrseitigen' Markt sind, wo neben der Stadionnachfrage auch die vor dem Bildschirm und im Sponsoring bestehen, ist das wie ein großer See zu betrachten, der mehrere Zu- und Abflüsse hat."
Vielmehr ist Hertha daran interessiert, mit den Heimspielen schlicht kein Minusgeschäft zu machen. Zurzeit könnten die Berliner laut eigenen Angaben nur bei einem Teil der Spiele die Kosten durch Ticketeinnahmen decken. Die Ticketpreise, die sich aus Vorverkaufsgebühren, dem VBB-Anteil und Steuern ergeben, sollen dafür sorgen, dass "sich jeder Spieltag einzeln amortisiert", also finanziell selbst trägt. Wie so oft geht es bei Hertha also um die schwarze Null. "Gier", wie manch Fan seinem Verein attestiert, wäre hier der falsche Ratgeber. Das hat die "alte Dame" die letzten Jahre eindrucksvoll aufgezeigt.
Sendung: rbb24, 20.10.2023, 18:00 Uhr
Beitrag von Marc Schwitzky
Artikel im mobilen Angebot lesen