Interview | Special-Olympics-Bundesgeschäftsführer Sven Albrecht
100 Tage nach den World Games in Berlin freut sich Special-Olympics-Geschäftsführer Sven Albrecht über eine gestiegene Wahrnehmung für die Athletinnen und Athleten in der Gesellschaft. Der Weg zu mehr Inklusion im Sport sei jedoch noch lang.
rbb: Herr Albrecht, 100 Tage ist der Special-Olympics-Sommer in Berlin nun her. Haben Sie das Gefühl, dass die World Games Werbung gemacht haben und sich für Sie gelohnt haben?
Sven Albrecht: Wir bekommen immer noch sehr viel positives Feedback aus aller Welt zu den großartigen Spielen. Und das Wichtigste ist ja erstmal, dass die 7.000 Athletinnen und Athleten ein tolles Erlebnis hatten und mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein nach Hause kommen und in der Gesellschaft anders wahrgenommen werden. Allein deshalb hat sich natürlich jeglicher Aufwand hundertprozentig gelohnt. Nun arbeiten wir daran, den Rückenwind, den wir immer noch verspüren, zu verstetigen. Das ist die große Aufgabe, die wir gemeinsam angehen.
Wo setzt man dafür am besten an?
Wir haben ja damals gesagt, dass wir als erstes ein großes Bewusstsein schaffen und Begegnungen ermöglichen wollen. Das ist uns beides gelungen und wir spüren, dass unsere Special-Olympics-Athletinnen und -Athleten jetzt eine ganz andere Bekanntheit haben. Außerdem kommen viele Partnerinnen und Partner auf uns zu und wollen sich weiter engagieren. Wir haben bei den World Games 18.000 Volunteers gehabt, ein Medizinprogramm, ein Kulturprogramm und überall ist etwas in Bewegung gekommen. Mit Sicherheit ist es nicht nur unsere Aufgabe, jetzt den nächsten Schritt zu gehen, sondern auch die des organisierten Sports, der Politik, der Öffentlichkeit aber genauso auch des Kulturbereichs, damit wir genau jetzt den Rückenwind nutzen und Teilhabemöglichkeiten entstehen.
Wäre schon viel gewonnen, wenn all die, die im Sommer dabei waren und die World Games so positiv miterlebt haben, den Inklusionsgedanken weitertragen würden?
Das ist auf jeden Fall ein erster großer Schritt. Es war das erste Mal, das Special-Olympics-Athletinnen und -Athleten und ihre tollen Leistungen in dieser Form sichtbar waren. Aber schlussendlich brauchen wir dann auch Menschen, die sich für eine inklusive Gesellschaft engagieren. Deswegen sind die Personen, die dabei waren und sich eingesetzt haben, ein ganz großes Pfund – nicht nur in Berlin, sondern deutschlandweit. Das wollen wir ausnutzen, damit mehr Sportmöglichkeiten entstehen können.
Was ist seit Beendigung der Spiele geschehen?
Wir sind nach wie vor mit ganz vielen Partnerinnen und Partnern im Gespräch. Das sind Wirtschaftsunternehmen, die uns unterstützt haben und mit denen wir nun daran arbeiten, wie man eine langfristige Partnerschaft aufbauen kann. Außerdem sind wir im engen Austausch mit dem organisierten Sport, der uns bei der Durchführung der Wettbewerbe sehr unterstützt hat. Da geht es um die Frage, wie es uns gelingt, mehr Sportvereine zu eröffnen und mehr inklusive Wettbewerbe anzubieten.
Auch die Medienallianz zu erhalten, ist ein großer Wunsch von uns. Das war ein ganz großer Faktor, um die Athletinnen und Athleten sichtbar zu machen. Im Januar steht mit den nationalen Winterspielen die nächste große Veranstaltung bevor und wir hoffen, dass die World Games in Berlin nicht nur ein großer Leuchtturm waren, sondern dass die öffentliche Wahrnehmung auch nachhaltig bestehen bleibt.
Allerdings treiben nur acht Prozent der Menschen mit geistiger Behinderung Sport in Vereinen. Das ist zu wenig, oder?
Viel zu wenig. Und das muss ich sogar noch konkretisieren: Nur acht Prozent der Menschen mit geistiger Behinderung treiben überhaupt Sport. In Vereinen sind es noch deutlich weniger. Deshalb setzen wir alles daran, den Sport in den Organisationen der Behindertenhilfe voranzutreiben, so dass sich zum Beispiel auch der Schulsport weiterentwickelt. Und gleichermaßen wollen wir natürlich mit der Kooperation mit dem organisierten Sport Trainerinnen und Trainer fit machen, damit sie inklusiven Sport bei sich im Verein anbieten können. Dieser Weg ist noch lang, aber ich glaube, die Spiele in Berlin haben mit ihrer Fröhlichkeit und dem Miteinander gezeigt, dass das ein Mehrwert für alle ist. Deswegen wollen wir immer wieder unterstreichen, dass Inklusion nicht einfach nur eine Aufgabe, sondern ein Gewinn für uns alle ist.
Haben Sie im Alltag beobachten können, dass die Berührungsängste gegenüber Special-Olympics-Athletinnen und Athleten abgenommen haben?
Zumindest ist die Aufmerksamkeit gestiegen. Das ist ein großer Erfolg. Aber Wahrnehmung ist das eine. Eine Veränderung der Einstellung und des Miteinanders kann jedoch nur entstehen, wenn es mehr Begegnungen gibt. Wir brauchen diese Kontakte im Alltag und die finden nach wie vor noch viel zu wenig statt.
Im nächsten Jahr findet in Deutschland die Fußball-Europameisterschaft statt. Gibt es Gespräche, dass man auch dort inklusiv wirken kann?
Mit der Euro 2024 sind wir im engen Austausch und wollen das inklusive Ehrenamt einbringen. Bei den World Games war es ein wichtiger Bestandteil, dass Menschen mit Behinderung ehrenamtlich aktiv waren. Genau das soll nun auch bei der Euro 2024 umgesetzt werden und an allen Standorten ganz selbstverständlich Menschen mit Behinderung als Volunteers mit dabei sein. Auch die Barrierefreiheit ist ein großes Thema. Wie schaffen wir es, allen Menschen Zugang zur Europameisterschaft zu ermöglichen? Da haben wir natürlich Benchmarks gesetzt, die wir nun weitertransportieren wollen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Torsten Michels, rbb Sport. Es wurde für die Online-Fassung redigiert und gekürzt.
Sendung: rbb24, 04.10.2023, 18 Uhr
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