Die Oder nach dem Fischsterben
Auch Sportfischer wurden im August 2022 Zeugen des massenhaften Fischsterbens an der Oder. Inzwischen erzielen viele Angler wieder sehr gute Fänge. Doch laut Experten ist das nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Von Anton Fahl und Fabian Friedmann
Jimmy Gläßer war vor Ort, als es losging. Damals, im August 2022, will der Sportangler an der Oder auf Raubfische angeln: Wels, Barsch, Zander, Hecht. Zu diesem Zeitpunkt trägt der deutsch-polnische Grenzfluss nur wenig, aber dafür enorm salzreiches Wasser, die Temperaturen sind hoch. Mit einem anderen Angler kommt Jimmy Gläßer am Ufer ins Gespräch. Plötzlich entdecken die beiden zahlreiche tote Fische. "Wir sind dann etliche Kilometer an der Oder gelaufen und haben noch versucht, Fische zu retten", erzählt Gläßer.
Aber die schiere Menge der toten Fische lässt die beiden Angler nachdenklich werden. Schnell kommt der Verdacht auf, es könne sich um eine Verunreinigung der Oder durch Quecksilber handeln. Gläßler und sein Angler-Kollege ziehen sich zurück, weil sie Angst um ihre Gesundheit haben. Doch diese Befürchtungen bestätigen sich später nicht.
Fachleute gehen heute davon aus, dass eine Kombination aus hohem Salzgehalt, Niedrigwasser, hohen Temperaturen und das Gift einer Algenart mit den Namen Prymnesium parvum wesentliche Ursache für das massenhafte Fischsterben in der Oder war. Nach Angaben des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin verendeten Schätzungen zufolge damals rund 1.000 Tonnen Fisch in dem Fluss.
"Glücklicherweise ist eine ähnliche Situation wie im vergangenen Jahr ausgeblieben, so dass wir auf einem sehr guten Weg sind, dass sich die Fischgemeinschaft der Oder erholt", sagt Christian Wolter, Experte für Fischerei und Aquakultur am IGB. Aufgrund einer längeren Frühjahrsüberflutung gebe es ein sehr gutes Laichgeschehen. Ein weiterer Grund für die Erholung des Bestandes sei laut Wolter das in diesem Jahr besonders gute Überlebensverhältnis bei den Jungfischen.
Eine komplette Erholung des Fischbestandes kann aber noch nicht attestiert werden. "Nach allen Anzeichen, die wir für dieses Jahr haben, können wir für die Fische sagen, dass sie sich in ein bis zwei Jahren weitgehend erholt haben werden", hofft Wolter. Das trifft allerdings nicht für alle für die Berufsfischer relevanten Größen zu. "Da kann es drei bis vier Jahre dauern", meint der Fischerei-Experte.
Eine Erholung der Bestände hat auch der Landesangelverband Brandenburg beobachtet. "In der Strommitte ist der Fischbestand, so schätze ich das ein, wieder bei circa sechzig Prozent wie vor dem Fischsterben", sagt Hauptgeschäftsführer Andreas Koppetzki. Zusammen mit dem Institut für Binnenfischerei in Potsdam versucht des Landesanglerverband, noch mehr Informationen über Fischbestände, und welche Größen von Fischen in der Oder momentan heimisch sind, zu sammeln. Helfen sollen dabei Angler, die ihre Fänge mit einem Protokoll dokumentieren können.
Erste Auswertungen dieser Daten lassen bereits erahnen, dass sich die Bestände schneller erholen als erwartet. "Erstaunlich gut sind die Hechtbestände, das können wir heute schon sagen", sagt Koppetzki, der das als äußerst positives Zeichen wertet. Denn dort, wo Raubfische sind – also Hechte und Barsche – müssen auch kleinere Futterfische sein. Dabei sind Hechte bekannt für ihre Standorttreue. Heißt: "Wenn Futterfische vorhanden sind, bleiben sie auch da", so Koppetzki weiter.
Bis zum 30. Oktober können die Protokolle an den Landesanglerverband zurückgeschickt werden. Auch im nächsten Jahr will der Angelverband Brandenburg die Protokoll-Aktion fortführen.
Während die Fischbestände sich offenbar langsam, aber doch stetig erholen, sieht es bei einer anderen Art immer noch düster aus: den Großmuscheln. Diese sind für den Lebensraum Oder von großer Bedeutung, da sie die effizientesten Filtrierer sind. "Eine Großmuschel lebt davon, dass sie Wasser einsaugt, wieder ausstößt, es dabei durchfiltert und alle organischen Bestandteile rausfrisst. Davon ernähren die sich. Eine einzelne Muschel schafft vierzig Liter am Tag", erklärt Christian Wolter vom Leibniz-Institut. Durch die Muscheln wird also eine große Menge Wasser permanent umgewälzt und von organischem Material befreit.
Im Zuge der Verunreinigung der Oder und des damit verbundenen Fischsterbens habe man laut Wolter sehr viele Muscheln verloren, vermutlich mehr als sechzig Prozent. Die Tiere sind nicht so mobil wie Fische und brauchen daher länger, um sich zu regenerieren. "Wir haben prognostiziert, dass es fünf bis acht, vielleicht sogar zehn Jahre dauern wird, ehe sich der Muschelbestand erholt hat", sagt Wolter.
Dadurch, dass die Muscheln als Filtrierer im Ökosystem der Oder fehlen, ist die Gefahr eines erneuten Algenwachstums besonders groß. Ein paar Jahre werde es dauern, so Wolter, bis der Fluss nicht mehr so sensibel gegen Algenwachstum ist. Und auch beim Fischbestand sieht der Fischerei-Experte des Leibniz-Instituts noch keine Entwarnung. Durch die Fangmeldungen der Verbände sehe es so aus, dass viele Angler seit dem Fischsterben besonders gute Fänge erzielt haben.
Aber Wolter interpretiert die Zahlen im Gegensatz zum Anglerverband so, dass viele Raubfische nicht so satt in den Futterfischen standen und dadurch leichter fangbar wurden. "Ich hätte mir gewünscht, dass sich die Angler dem Moratorium der Berufsfischer anschließen und keine Fische (aus der Oder) entnehmen, bis sie wenigstens einmal ablaichen können", sagt Walter, wobei der so genannte "Angeldruck", also das Aufkommen der Angler, laut Sportfischer Jimmy Gläßer an der Oder enorm zurückgegangen sei. Viele seiner Kollegen würden sich nun eher auf die Spree und auf Vereinsseen konzentrieren.
Für Gläßer war monatelang nicht mehr an Angeln zu denken an der Oder. Zum einen aus ethischen Gründen, weil der Fischbestand sich aus seiner Sicht zunächst mal erholen sollte. Und zum anderen, weil er nicht wusste, ob die Fische, die überlebt hatten, denn überhaupt genießbar seien. So hat sich Gläßer ebenfalls auf andere Gewässer konzentriert, sich aber weiterhin mit vielen Anglern über die Fischbestände der Oder ausgetauscht.
"Da war man auch manches Mal erstaunt, was da überhaupt in der Oder drin war", meint Gläßer und bezieht seine Aussage vor allem auf die selten zu sehende Barbe und den unter Naturschutz stehenden Gründling. Beide hatten sich bis letztes Jahr offenbar prächtig entwickelt in der Oder.
Dass ein Großteil dieser Fische dann verendet sei, ist ein sehr trauriger Aspekt der Katastrophe, findet Gläßer, der eine gewisse Erholung der Bestände ebenfalls ausgemacht hat. Viele Barsche konnte er in diesem Jahr fangen in der Oder und auch die Wasserqualität sei besser. "So sauberes Wasser wie dieses Jahr in Frankfurt im Winterhafen habe ich dort noch nie gesehen", meint er.
Was Jimmy Gläßer nachdenklich macht: "Der Fluß ist ruhiger geworden." Früher habe es abends, wenn die Sonne untergegangen war, "überall geraubt". Hechte und Zander hätten dann Jagd auf ihre Beute, die kleinen Weißfische, gemacht. "Das hat man jetzt ganz selten. Man hört fast nichts mehr."
Dass es jederzeit wieder zu so einem Massensterben der Fische kommen kann, sei aus Sicht des Anglers nicht auszuschließen. Man hatte dieses Jahr ähnliche, klimatische Bedingungen wie 2022 und es werde aus seiner Sicht "nach wie vor Salz in Massen eingeleitet".
Jimmy Gläßer glaubt, dass die Politik zu zögerlich reagiere, zu viele wirtschaftliche Interessen dem Schutz der Oder im Weg stünden. Trotz der nach wie vor alarmierenden Signale bleibt der Angler dennoch optimistisch: "Ich hoffe nur, dass es sich nicht wiederholt."
Sendung: rbb24|Inforadio, 16.10.2023, 14:15 Uhr
Beitrag von Anton Fahl und Fabian Friedmann
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