Unions Leverkusen-Gastspiel in der Analyse - Zurück ins Unglück
Vier Tage nach dem Ende der Niederlagenserie in Pflichtspielen holt sich der 1. FC Union die nächste Pleite. Beim 0:4 in Leverkusen patzten die Spieler, aber auch Trainer Urs Fischer muss sich Fragen zu seiner Aufstellung gefallen lassen. Von Till Oppermann
In der 64. Spielminute hätte Union Berlins Michael Gspurning auch einfach eine weiße Fahne schwenken können. Stattdessen hielt der Co-Trainer von Urs Fischer eine Tafel in den Himmel, mit der er die Einwechselung von Brenden Aaronson ankündigte. Beim Stand von 0:2 gegen Bayer Leverkusen brachte Urs Fischer den Mittelfeldspieler für Angreifer Sheraldo Becker.
Offenbar war der Trainer auf Schadensbegrenzung aus. "Heute war ein Klassenunterschied zu sehen", schimpfte Fischer nach dem Spiel im TV-Interview bei DAZN. Spätestens knapp 30 Minuten vor Schluss gab der Schweizer die Hoffnung auf einen Punkt auf.
Union wiederholt individuelle Fehler
Ihr letztes Bundesligator schossen die Eisernen vor über einem Monat in Dortmund. Seitdem rutschte Union bis auf die Abstiegsränge ab. Die kommende Länderspielpause verbringen die Berliner sogar auf dem letzten Tabellenplatz. Christopher Trimmel war sich sicher: "Wir müssen uns in sehr vielen Bereichen verbessern, wenn wir die Klasse halten wollen."
Auf das besonders von den Fans bejubelte 1:1 in Neapel und das Ende der Niederlagenserie im 13. Spiel folgt ein heftiger Kater. Union findet sich in der paradoxen Situation wieder, unter der Woche noch um den Einzug in die Zwischenrunde der Europa League zu spielen und am Wochenende für den Klassenerhalt zu kämpfen. Wobei "kämpfen" am Sonntag das falsche Wort für den Auftritt seiner Mannschaft war, sagte Urs Fischer, der ankündigte, die Haltung klar ansprechen zu wollen: "Wenn du im Abstiegskampf spielst, braucht es eine andere Körpersprache und Mentalität."
"Haben es ihnen viel zu einfach gemacht"
Nach der Leistung in Leverkusen werden sich die Spieler in der Tat reichlich Kritik anhören dürfen. Der Trainer fing schon wenige Minuten nach dem Abpfiff damit an. "Wir haben es ihnen viel zu einfach gemacht", klagte Fischer und meinte die Gegentore. Eines fiel nach einem Fehlpass am eigenen Strafraum, zwei nach gegnerischen Ecken und das letzte im Konter nach einem eigenen Freistoß.
In jeder dieser Situationen sahen die Berliner gruppentaktisch und individuell schlecht aus. Unions Spieler wiederholten Fehler, die sie in dieser Saison bereits häufiger gemacht haben. Schon vor Wochen hatte Christopher Trimmel gewarnt: "Wir sind gerade einfach nicht gut genug". Seitdem hat sich daran wenig geändert. Verein, Fans und Fischer selbst halten den Schweizer weiter für den richtigen Union-Trainer. Dass seine Spieler immer wieder individuell patzen, trägt einen Teil dazu bei – denn man kann es Fischer schwer vorwerfen, wenn sein Plan für eine Partie an sportlichen Aussetzern seines Teams scheitert.
Fischer sollte schneller wechseln
Für den Trainer wird es erst dann wirklich eng, wenn dauerhaft in Frage steht, ob er denn den richtigen Plan hatte. Für das Spiel gegen Leverkusen wählte Fischer – abgesehen von dem gesperrten Rani Khedira – dieselbe Startformation wie vor dem Remis gegen Napoli. Eine naheliegende Entscheidung. Schließlich war die Abwehr in diesem Spiel mit Paul Jaeckel und Jerome Roussillon stabiler gewesen als vorher, Aissa Laidouni brachte Passsicherheit und Körperlichkeit ins Mittelfeld und die schnellen Angreifer David Datro Fofana und Sheraldo Becker waren eine ständige Gefahr bei Kontern.
Gegen Leverkusen funktionierte dieser Ansatz nicht. Nach den ersten 45 Minuten hatte Union noch keinen Torschuss und konnte gleichzeitig froh sein, dass es erst 0:1 stand. "Wir hatten in der ersten Halbzeit keinen Zugriff", meinte auch Kapitän Trimmel. Fischers Reaktion: Zur Pause brachte er Rechtsverteidiger Trimmel für Josip Juranovic. Die Spielanlage änderte er nicht. Fischer beteuerte zwar, dass er nicht an Sachen festhalten würde, die nicht funktionieren. Im Kern tat er aber genau das: Die Köpenicker spielten gegen Leverkusen weiter im selben System denselben Fußball. Und jetzt ist Union Letzter.
Kral ist überfordert
Dabei wären Änderungen möglich gewesen: Becker und Fofana konnten ihr Tempo gegen die schnellen Leverkusen-Verteidiger kaum ausspielen. Um Bälle in der Spitze festzumachen, hätte der kopfballstärke Kevin Behrens einen der beiden Angreifer ersetzen sollen. Die Option hätte auch bei einem anderen Problem helfen können. Im Spielaufbau fabrizierte Union immer wieder schwere Fehler, die den Gegner ins Spiel brachten.
Besonders dem überforderten Alex Kral hätte es wohl gut getan, auch mal einen langen Ball schlagen zu können. Der Tscheche war es, der Leverkusen mit seinem Fehlpass am eigenen Strafraum erst zum 0:1 eingeladen hatte. Urs Fischers Plan, mit einem 5-2-2-1-System das Zentrum dicht zu machen, konnte mit Kral in seiner aktuellen Form nicht aufgehen. Seine fehlende Vororientierung und schlechtes Stellungsspiel reißen immer wieder Lücken in der Mitte. Kral scheint derzeit nicht in der Lage sein, sich genug auf seine Aktionen zu fokussieren. Unions einziger Vorteil: Der Kader ist gerade in der Zentrale groß genug, um Union neu zu erfinden.
Sendung: rbb24, 12.11.2023, 22 Uhr