Sportpsychologe über Trainerwechsel
Welchen psychologischen Effekt haben Trainerwechsel - und was kann sich Union Berlin von Nenad Bjelica erhoffen? Sportpsychologe René Paasch über den "Honeymoon-Effekt", Negativstrudel und mangelnde Bundesliga-Erfahrung des neuen Trainers.
rbb|24: Herr Paasch, der 1. FC Union Berlin hat Nenad Bjelica als neuen Cheftrainer vorgestellt, der die Nachfolge Urs Fischers antritt. Seit Ende August haben die Köpenicker kein Pflichtspiel gewonnen. Welchen psychologischen Effekt haben Trainerwechsel auf Spieler?
René Paasch: Man kann darüber keine generelle Aussage tätigen. Das hängt von der Person, ganz besonders aber auch von der Mannschaft und dem gesamten Verein ab. Es gibt aber einen psychologischen Effekt, der auch als "Honeymoon-Effekt" bezeichnet wird: Ganz am Anfang zeigen sich Spieler, die unter dem alten Trainer nicht mehr so sichtbar waren, wieder mehr. Die Leistung verbessert sich, die Motivation wird größer.
Es kommt aber darauf an, die eigentliche Ursache zu finden. Denn es gab ja Gründe dafür, warum es vorher nicht funktioniert hat. Ich glaube nicht, dass ein Trainer von heute auf morgen all das verändern kann. Wenn er sich aber große Mühe gibt und mit jedem einzelnen Spieler spricht, um herauszufinden, was die Gründe sind, kann es einen psychologischen Effekt geben. Ich glaube nicht, dass sie taktisch viele Dinge verändern müssen. Es liegt zwischen den Ohren – und da gibt es eine ganze Menge zu leisten.
Wie nachhaltig kann dieser Effekt sein?
Aus wissenschaftlicher Perspektive gibt es interessante Zahlen, die deutlich machen, dass Trainerwechsel nicht unbedingt sinnvoll sind – wenn man sich das große Ganze, Punkte und Ergebnisse anschaut. Ich hoffe, dass wir hier nicht von einer kurzfristigen Lösung sprechen, sondern dass der Trainer langfristig mit dem Verein arbeiten darf.
Nachdem sich Union Berlin unter Urs Fischer über Jahre hinweg nur in eine Richtung entwickelt hat, schien dem Team in den vergangenen Monaten fast gar nichts mehr zu gelingen. Die Eisernen stecken im Abstiegskampf. Wie lässt sich das erklären?
Das kann viele Gründe haben. Ich glaube nicht unbedingt, dass es am Trainer lag. Das können kleine Stellschrauben sein: veränderte Konstellationen, sprachliche Barrieren, neue Spieler, unterschiedliche Vorstellungen. In so einen Strudel können wir alle geraten, wenn Dinge nicht mehr funktionieren und das Selbstvertrauen sinkt. Jürgen Klopp sagte einst, nachdem er Borussia Dortmund nach sieben Jahren verlassen hat: 'Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich die Spieler nicht mehr besser machen kann.'
Urs Fischer hat Großartiges geleistet, doch irgendwann kommt der Punkt, an dem man merkt, dass man die Mannschaft nicht mehr erreicht. Wir können sehr dankbar sein: Er hat den deutschen Fußball mit großartigem Charakter und Ergebnissen geprägt.
Das nächste Spiel der Berliner findet bereits am Mittwochabend in der Champions League in Braga statt. Am Samstag erwartet der FC Bayern die Eisernen in der Bundesliga. Welche Möglichkeiten hat ein neuer Coach, in so begrenzter Zeit auf einen Kader einzuwirken und Veränderungen vorzunehmen?
Grundsätzlich kann man sagen, dass neue Persönlichkeiten frischen Wind bringen. Es wird Veränderung geben. Die Frage ist, inwieweit die Spieler diese gewünschte Veränderung auch annehmen. Kommen sie mit dem Trainer zusammen? Mögen sie die Philosophie? Hinzu kommt, dass Nenad Bjelica zwei große Charaktereigenschaften mitbringt: Ruhe, die für Union Berlin sehr wichtig ist, und er kann sehr autoritär sein.
Diese Mischung ist sicherlich ganz spannend. Er hat aber auch gesagt, er wäre sehr menschlich, besonders neben dem Platz. Voraussetzung sei aber, dass die Spieler funktionieren. Es wird darauf ankommen, dass er nicht nur nach den Leistungen der Einzelnen schaut, sondern dass er sich darum bemüht, die Spieler kennenzulernen. Er muss sie jetzt begeistern und auf Augenhöhe abholen.
Wie kann ein neuer Coach eine erfolgreiche Zeit prägen – selbst wenn der so oft zitierte und erwünschte "Trainer-Effekt" zunächst ausbleibt?
Die Erwartungshaltung aller Akteure wird entscheidend sein. Sie sollten nicht den Anspruch haben, die nächsten Spiele alle zu gewinnen. Die nächste Zeit kann für alle sehr anspruchsvoll werden. Man sollte dem Trainer Zeit geben. Und ich glaube, die Winterpause wird ihm gelegen kommen.
Dann kann er die Spieler noch besser kennenlernen, mit dem Team ins Trainingslager fahren, sie können zusammenrücken und über die Sorgen und Nöte sprechen, die entstanden sind: den Vertrauensverlust und die geringe Kompetenz, die man für sich wahrnimmt, obwohl das großartige Spieler sind. Ihnen fehlt der Erfolg.
Unabhängig von Punkten würde ich versuchen, viele kleine Erfolge zu generieren – das kann man wunderbar im Training schaffen. Darauf würde ich den Fokus legen: das Selbstvertrauen steigern und sich dadurch wieder zurückkämpfen.
Urs Fischers fünfeinhalbjährige Ära an der Alten Försterei war von historischem Erfolg gekrönt. Die hinterlassenen Fußstapfen sind riesig. Etwas zugespitzt gefragt: Kann der direkte Nachfolger eines Erfolgstrainers – wie Fischer es beim FCU war – überhaupt gewinnen?
Es ist eine ganz schwierige Konstellation. Fakt ist: Er ist nicht Urs Fischer. Jeder Mensch auf dieser Welt ist einmalig, er muss also seinen eigenen Weg finden. Bjelica hat ja auch schon deutlich gesagt, dass er sehr viel Selbstvertrauen hat. Das ist der richtige Weg.
Er sollte Urs Fischer nicht ersetzen und in dessen Fußstapfen treten, sondern seine eigene Handschrift hinterlassen. Dann bleibt er authentisch und wird die Mannschaft viel besser erreichen können. Das ist eine große Herausforderung in dieser Konstellation. Deswegen sollte man dem neuen Trainer viel Zeit geben, da hineinzuwachsen – und ich bin mir sicher, dass er dann seine Erfolge auch einfahren wird.
Bjelica kennt die Bundesliga nur als Beobachter – und aus seinen aktiven Zeiten als Spieler des 1. FC Kaiserslautern in den frühen 2000er Jahren. "Sky"-Experte Lothar Matthäus bezeichnete ihn als einen "Nobody". Ist Bjelicas mangelnde Bundesliga-Erfahrung tatsächlich so ein großes Manko oder wird diese Komponente überbewertet?
Diese Diskussion wird seit Jahren geführt, wenn von "Laptop-Trainern" die Rede ist oder gesagt wird, man müsse selbst Fußballer gewesen sein. Das sehe ich aus der Praxis anders. Häufig spielt das keine Rolle. Natürlich ist es schön, wenn man Bundesliga-Erfahrung hat. Das ist aber keine Voraussetzung, um leistungsstark zu sein und ein Team nach vorne zu bringen.
Wir reden hier immer noch von einem Trainer mit internationaler Erfahrung: mit Austria Wien und Dinamo Zagreb war er in der Champions League, auch in der Türkei hat er als Coach gearbeitet. Ich bin mir sicher, dass er auch die Bundesliga meistern wird.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Anton Fahl, rbb Sport.
Sendung: rbb24, 27.11.2023, 18 Uhr
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