Analyse des 1:1 gegen Augsburg
Im ersten Spiel nach Urs Fischer wählte das neue Trainerteam einen veränderten Ansatz: mehr Offensive. Nach dem ersten Bundesliga-Punkt seit August kann der Verein nun optimistischer nach vorne schauen. Von Till Oppermann
Die Erlösung kam spät für den 1. FC Union Berlin, aber sie kam: Nach neun Spielen ohne einen Punkt und über 800 Minuten ohne eigenes Tor in der Bundesliga traf am Samstag Kevin Volland gegen Augsburg kurz vor Schluss zum 1:1-Ausgleich. Das Stadion bebte, Volland und seine Mitspieler rannten wie von Sinnen zur Eckfahne.
Nachdem die Berliner zuvor über 80 Minuten lang reihenweise an Augsburgs Torhüter Finn Dahmen gescheitert waren, bedeutete Vollands Tor mehr als nur den Ausgleich in einem Ligaspiel. "Es ist absolut wichtig, dass wir heute nicht wieder ohne Punkte nach Hause fahren", sagte der erleichterte Robin Gosens.
Vor dem Spiel hatte sich bei den Fans des 1. FC Union noch alles um die Vergangenheit gedreht. Zum ersten Mal seit dem Ende der Ära von Urs Fischer und seinem Co-Trainer Markus Hoffmann waren sie in die Alte Försterei gekommen. Die Männer, die in ihren fünfeinhalb Jahren bei Union die erfolgreichste Zeit der Vereinsgeschichte geprägt hatten, wurden gebührend verabschiedet.
"Ihr habt Träume verwirklicht, die wir eigentlich nie hatten", stand zum Beispiel auf einem großen Banner vor der Waldseite. Der Aufstieg, Europa und schließlich die Champions League: Ohne Fischer und Hoffmann wäre dieser Weg nicht möglich gewesen. Weil aus dem Traum aber seit August ein Albtraum wurde, der sich in die Köpfe der Spieler eingebrannt hat, kam die Trennung wohl zum richtigen Zeitpunkt.
Das zeigte sich am Samstag schon früh im Spiel. Die Mannschaft, die ihre vorherigen Ligaspiele gegen Bremen, Frankfurt und insbesondere Leverkusen sang- und klanglos verloren hatte, kam in der ersten Halbzeit immer wieder zu Torchancen. Interimstrainer Marco Grote und seine Co-Trainerin Marie-Louise Eta hatten Union offensiver aufgestellt als gewohnt. Während Fischer immer wieder erfolglos versucht hatte, Rani Khedira mit Kral zu ersetzten, wählte das neue Trainerteam einen anderen Ansatz.
Anstelle des defensiven Mittelfeldspielers begann der offensivere Volland. Der kreative Aissa Laidouni stand dafür etwas tiefer, um sich früh in den Spielaufbau einzuschalten. Er und seine Mitspieler suchten immer wieder die Spielfortsetzung mit flachen Pässen durch die Mitte. "Viel mehr Respekt als den, den ich vor Urs Fischer habe, geht nicht", beteuerte Grote nach dem Spiel. Dass er den Fußball offensiver denkt als sein Vorgänger, wurde am Samstag trotzdem offensichtlich.
Torschütze Volland ist in Unions Kader einer der größten Profiteure dieses anderen Mindsets. Für einen wie ihn, der weder sonderlich schnell noch sonderlich groß ist, fehlte in Urs Fischers Zweiersturm der Platz. Wenn sich der Trainer dann doch mal dazu entschieden hatte, mit drei Angreifern zu beginnen, musste Volland auf den Flügel ausweichen. Dabei kann er seine Stärken am besten in einer anderen Zone des Feldes ausspielen: den Halbräumen zwischen der gegnerischen Abwehr- und Mittelfeldlinie.
Genau dort postierten Grote und Eta den 31-Jährigen gegen Augsburg. Volland dankte es ihnen mit klugen Laufwegen, durch die er immer wieder anspielbar war. "Wir haben heute einen sehr mutigen Auftritt hingelegt", sagte er mit Blick auf 15 Torschüsse und 62 Prozent Ballbesitz nach dem Spiel zurecht. Union sei die klar bessere Mannschaft gewesen, da war sich Volland sicher.
Dass es trotzdem nicht für den ersten Sieg seit dem zweiten Spieltag reichte, sei extrem bitter, so Volland, "aber in unserer Situation tut auch das Unentschieden gut."
Als Union erst auf der einen Seite mehrere klare Chancen auf das 1:0 liegen ließ, und dann auf der anderen Seite nach einem unglücklichen Elfmeter in Rückstand geriet, hätte jeder, der Unions letzte Wochen verfolgt hat, innerhalb von Sekunden das typische Drehbuch dieser Union-Saison aufsagen können. Spätestens nachdem Robin Knoche nach dem Seitenwechsel beim Elfmeter scheiterte, wäre die Mannschaft in den letzten Wochen zusammengebrochen.
Aber nicht am Samstag, als Union immer weitermachte. "Energie, Wille und Leidenschaft", lobte Grote. Bis zum Ende suchten seine Spieler auch im Spielaufbau immer wieder nach einer fußballerischen Lösung auf engem Raum. Insbesondere die Rückkehr des Langzeitverletzten Andras Schäfer bietet in dieser Hinsicht weiteres Entwicklungspotenzial. Schäfer ist ein Spieler, der sich gerne tief den Ball abholt, kaum Fehlpässe spielt, immer sofort wieder anspielbar ist und Gegner überdribbeln kann.
Während der letzten Wochen wurde mit Blick in die Vergangenheit häufig gefragt, warum bei Union nichts mehr funktioniert. Nach dem Spiel gegen Augsburg kann der Verein endlich wieder nach vorne schauen.
Sendung: rbb24, 25.11.2023, 21:45 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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