Union Berlins mögliche neue Trainer
Fußstapfen so groß wie ein Berliner Bezirk und eine sportliche Aufgabe, die nur unwesentlich kleiner ist. Der Nachfolger von Urs Fischer bei Union Berlin tritt ein schweres Erbe an. Doch wer kann und sollte es (besser nicht) werden? Von Ilja Behnisch
Böse Menschen haben keine Lieder, heißt es, warum also in schweren Zeiten nicht einfach auf den Gesang besinnen? Und siehe da, Nina Hagen hat es schon immer gewusst, da sie in ihrer unlängst 25 Jahre alt gewordenen Vereinshymne des 1. FC Union Berlin singt: "Immer weiter, immer weiter, Eisern Union".
Ein wenig dürfen sie noch trauern rund um Union, der Länderspielpause sei Dank, dann aber sollte es alsbald etwas werden mit einem Nachfolger für den Schweizer, der mit den Köpenickern eine der größeren Erfolgsgeschichten in 60 Jahren Bundesliga geschrieben hat. Doch wer soll es werden? Wer kommt weshalb in Frage oder auch besser nicht? Und weil es der Kandidaten mehr gibt als Berlin Städtepartnerschaften hat (18), kommt hier ein Service-Angebot in Gruppenform.
Jogi Löw und Hansi Flick hätten wohl Zeit und immerhin schonmal bewiesen, dass sie es können. Für den Schwarzwälder Löw spricht, dass er Quasi-Schweizer ist, das erleichtert womöglich den Übergang. Außerdem könnte er bei Union seine merkwürdige Versuchsreihe fortsetzen, die er noch während der letzten Europameisterschaft an Kevin Volland begonnen hatte, als er den Stürmer zum Linksverteidiger taktierte.
Sportlich und vermutlich auch menschlich passen Löw und Flick allerdings so gut zu Union wie ein Sechskantschlüssel zu Joghurt. Ebenfalls Ex-Nationaltrainer, verfügbar und ein Union-Match made in Fußball-heaven wäre hingegen der Italiener Antonio Conte. Der natürlich niemals kommen würde zu so einem vergleichsweise immer noch winzig kleinen Verein und der zudem viel, viel (viel (viel)) zu teuer sein dürfte. Andererseits hat man das von Leonardo Bonucci auch gesagt.
Was haben Karsten Heine und Frank Pagelsdorf gemeinsam? Sie sind verfügbar, sie waren schonmal Union-Trainer und sie haben einen besseren Punkteschnitt vorzuweisen als Urs Fischer. Der kommt in seinen 224 Partien für Union auf 1,53 Punkte pro Spiel, während Heine es auf 1,8 (in 50 Spielen) und Pagelsdorf gar auf 2,46 Punkte (in 69 Spielen) bringt. Etwas hinter Fischer rangiert Uwe Neuhaus (1,48 Punkte pro Partie), der ebenfalls verfügbar ist und sogar noch mehr Begegnungen auf dem Buckel hat als der Schweizer (253). Der Nachteil: bei Paar-Beziehungen nennt sich so etwas Bumerang-Liebe und das klingt nicht nur dämlich, sondern funktioniert auch eher selten.
Streng genommen kommt einem hier an sinnvollen Kandidaten nur Steffen Baumgart in den Sinn. Andererseits trägt der Mann auch im Winter T-Shirts und auch während Bundesliga-Spielen eine Aura mit sich herum, als müsse er eigentlich dringend wieder zurück zu seinem LKW mit Terminfracht, der da mit laufendem Motor vor den Stadiontoren auf ihn wartet. Kurzum: Baumgart ist seine ganz eigene Gruppe und der perfekte Union-Trainer.
Und wer weiß, sollten dessen Kölner am kommenden Spieltag mit Pauken und Trompeten untergehen gegen den FC Bayern München und Baumgart dann den rheinischen Fischer machen, dann wäre der Weg ja auch frei für das Union-Mitglied mit mehr als nur einem Koffer in Berlin. Vermutlich aber kommt das, worüber man irgendwann mal sagen wird, dass es ja so kommen musste, dieses Mal noch zu früh. Timing ist eben keine Stadt in China. (Sorry.)
Bruno Labbadia, Tayfun Korkut, Sandro Schwarz — alle verfügbar. Spötter könnten nun behaupten: aus gutem Grund! Andererseits haben zumindest Labbadia und Schwarz außerhalb Berlins durchaus bewiesen, erfolgreich Bundesliga zu können. Außerdem sind alle drei sehr nett und vermutlich hyper-motiviert, zu beweisen, eben doch auch die Hauptstadt zu packen.
Ebenfalls ein Pluspunkt: Neben den Ex-Hertha-Spielern Lucas Tousart und Alexander Schwolow, die das Einleben erleichtern würden, sind die Drei womöglich noch in bestehenden Berliner Miet- oder gar Eigentumsverhältnissen organisiert. Angesichts des Wohnungsmarktes der Stadt ein nicht zu unterschätzender Punkt. Wem das alles zu weit hergeholt scheint, dem sei nur ein Wort entgegnet: Felix Magath.
Ralph Hasenhüttl, André Breitenreiter, Markus Weinzierl, Bo Svensson, Thomas Reis, Oliver Glasner. Um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Und dann der Reihe nach. Hasenhüttl, zuletzt mit Southampton abgestiegen, davor erfolgreich in Leipzig und Ingolstadt, wäre ein geeigneter Kandidat, will aber vermutlich weiter in seinem Traumland England bleiben. Breitenreiter und Weinzierl passen gefühlt eher weniger (siehe Löw/Flick).
Svensson will so kurz nach dem Aus in Mainz ganz sicher noch nicht wieder in den Sattel. Reis, der in Bochum tolle Arbeit geleistet hat, könnte passen, braucht nach seinem auch erst vor kurzem erlittenen Schalke-Aus womöglich aber auch erstmal zwei bis zweihundert Runden auf dem Golfkurs extra. Bleibt Oliver Glasner, der in Wolfsburg (Champions League-Qualifikation) und Frankfurt (Europa League-Gewinn) grandios gearbeitet hat und eine angenehm leichtgängige Einstellung zum Leben hat, seit er 2011 fast an den Folgen einer im Spiel erlittenen Gehirnerschütterung gestorben wäre.
Glasner könnte genau die andere Ansprache in die Union-Kabine bringen, die die Mannschaft jetzt benötigt und von der Urs Fischer zum Abschied sprach. Bleibt die Frage, ob Union ihm attraktiv genug erscheint. Aber einfach mal einen fragen, der eventuell eine Nummer zu groß scheint, hat vor rund fünfeinhalb Jahren schon einmal sehr gut geklappt für Union.
Nun könnten Oliver Ruhnert, Unions Geschäftsführer Sport, und Co. natürlich gerade auch in der Not der Verlockung erliegen, besonders progressiv sein zu wollen. Einfach mal was anderes, was unerwartetes machen! Einen U19-Trainer berufen (Hallo, Herr Grote!) zum Beispiel. Oder sonst irgendwen, der die Bundesliga bzw. den Erstliga-Fußball nur aus dem Fernsehen kennt. Oder aber man setzt auf Bewährtes und also: auf die Schweiz!
Lucien Favre wäre frei, ein guter Freund von Urs Fischer, der zu Favres Hertha-Zeiten bei ihm hospitierte. Favre ist ein Fußball-Fachmann aus dem Regal Pep Guardiola und hat einst bei Borussia Mönchengladbach bewiesen, dass er Tote auferstehen lassen kann. Allerdings gilt Favre auch als kauziger als der Kauz. Der ziemlich kauzig ist. Ebenfalls zu haben ist der Schweizer Ex-Nationaltrainer Vladimir Petkovic, der wiederum überhaupt nicht kauzig ist, allerdings auch nicht sonderlich gut. Ansonsten auf der Liste und immerhin mit Supernamen gesegnet: Heiri Eggerschwiler, Marco Schällibaum und Gian Luca Privitelli. In diesem Sinne: "Immer weiter, immer weiter, Eisern Union."
Sendung: rbb24 Inforadio, 16.11.2023, 09:15 Uhr
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