Ära Urs Fischer beendet
Urs Fischer ist nicht mehr Trainer des 1. FC Union. Mit ihm begann 2018 eine Zeit, in der es - nahezu ungebremst - nur bergauf ging. Doch nun folgte auf den absoluten Höhepunkt der völlige Einbruch. Ein Rückblick auf eine ganz besondere Ära. Von Ilja Behnisch
Wie sehr Urs Fischer in ganz Berlin Eindruck hinterlassen hat, ließ sich spätestens im Herbst 2021 benennen. Als der Tierpark Berlin einem an Ort und Stelle geborenen, Roten Panda nicht irgendeinen Namen gab, sondern den Namen Urs. Nach Urs Fischer, Trainer von Fußball-Bundesligist Union Berlin.
Das passte, weil der Rote Panda mitunter als Katzenbär bezeichnet wird und der Name Urs auf das lateinische "Ursus" zurückzuführen ist, was wiederum Bär bedeutet. Das passte aber auch deshalb, weil insgesamt ziemlich vieles passte in der Beziehung zwischen diesem Urs Fischer und Berlin. Bis auf das Ende bei Union vielleicht, das dazu führte, dass Fischer nun also nicht mehr Trainer in der Bundesliga ist. Ein modernes Fußball-Märchen bleibt die Liaison zwischen dem Schweizer und dem Fußballklub aus Köpenick aber dennoch.
Es begann im Juni 2018. Nach einer enttäuschenden Zweitliga-Saison mit Platz acht hatte der Klub Vereins-Ikone André Hofschneider von seinen Aufgaben als Cheftrainer entbunden. Union wollte nach oben, wollte in die Bundesliga und brauchte eine Weile, den richtigen Trainer dafür zu finden.
Dass es am Ende der Schweizer Urs Fischer wurde, der auf seiner letzten Station mit dem FC Basel zwei Mal Schweizer Meister sowie ein Mal Pokalsieger wurde und in der Champions League auftrumpfte, machte die Entscheidungsträger Unions stolz und überraschte den Umworbenen. "Wir waren als Verein gespannt, ob der Trainer das will", gab Oliver Ruhnert, Geschäftsführer Sport, auf der Vorstellungs-Pressekonferenz zu. Urs Fischer sagte: "Die Anfrage von Union hat mich gleichermaßen überrascht wie gefreut."
Denn offenbar sah Fischer etwas in diesem Klub. "Die Bedingungen bei Union sind hervorragend, der Verein ist ambitioniert und wir haben zur neuen Saison einigen Gestaltungsspielraum. Diesen gilt es klug zu nutzen, um im Sommer eine starke und dominante Mannschaft an den Start zu bringen", so Fischer beim Amtsantritt. Mission geglückt, lässt sich im Rückblick sagen. Und mehr, viel mehr. Denn der Aufstieg sollte ja erst der Anfang sein.
Wer im Sommer 2019 die Aufstiegsspiele Unions gegen den VfB Stuttgart gesehen hat, musste dabei viel Fantasie aufbringen, auch nur an einen Klassenerhalt in der Bundesliga zu denken. Geschweige denn an mehr. Zwar setzte sich mit Union ausnahmsweise einmal der Zweitligist durch in der Relegation. Im Rückspiel allerdings, das mit 0:0 endete, kamen von gerade einmal 296 gespielten Berliner Pässen lausige 162 beim Mitspieler an. Und mit diesem Rumpelfußball wollte man in der ersten Liga bestehen?
Doch Union passte sich den neuen Gegebenheiten an, holte jede Menge neuer Spieler, darunter mit Christian Gentner, Neven Subotic und Anthony Ujah auch viel Bundesliga-Erfahrung. Große Kader und eine hohe Fluktuation sollten fortan zum wiederkehrenden Stilmittel des Klubs werden und Fischer immer wieder dabei glänzen, die neuen Spieler scheinbar mühelos an das eiserne System zu gewöhnen und gleichzeitig spielerische Fortschritte zu implementieren. Statt Abstiegskampf landete Union in der ersten Bundesliga-Saison der Vereinsgeschichte somit bei zehn Punkten Vorsprung auf die Abstiegsplatze auf Rang elf.
Und wieder hieß es hinterher, die eigentlich schwere Aufgabe stehe erst noch vor Urs Fischer und den Seinen. Denn die zweite Saison im Fußball-Oberhaus sei bekanntlich die schwerere. Nicht so für Union Berlin unter Urs Fischer.
Wieder verstärkte sich der Klub namhaft, holte unter anderem Ex-Nationalspieler Max Kruse und Robin Knoche (beide ablösefrei), lieh den in Mainz erprobten Liverpool-Stürmer Taiwo Awoniyi, der später fest verpflichtet und noch später für über 20 Millionen Euro nach Nottingham veräußert werden sollte. Und landete auf einem sensationellen Platz sieben, der zur Teilnahme an der Conference League berechtigen sollte. Union international, im zweiten Jahr der Bundesliga-Zugehörigkeit.
Und Urs Fischer? Blieb ruhig. So ruhig, dass die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" im Jahr 2020 schrieb, er "würde einen Berliner Techno-Club zum Innehalten bringen". Der "Kicker" hingegen stellte fest: "Ergebnis first. Spektakel war einmal - Trainer Urs Fischer versachlicht Unions Fußball". Er verlängerte um Weihnachten 2020 seinen Vertrag, der sich zuvor durch den Aufstieg ohnehin schon automatisch bis 2021 verlängert hatte. Die neue Laufzeit? Unbekannt. Ruhe bewahren. Auch in dieser Hinsicht.
Er habe sich in seiner Zeit in Berlin verändert, ließ Fischer zwischendurch immerhin einmal durchblicken. Er sei, na klar, ruhiger geworden, sagte er dem "Kicker": "In der Schweiz war ich zwischendurch mal impulsiver, ein bisschen dünnhäutiger. Ich habe viel dazugelernt, sehe heute vieles lockerer, bin entspannter."
Es gibt aber auch kaum Grund zur Aufregung. Der dieses Mal nur punktuell verstärkte Kader marschiert weiter Richtung Himmel, erreicht im dritten Bundesliga-Jahr Platz fünf und damit die Europa League. In der Conference League ist zwar bereits nach der Gruppenphase Schicht. Dafür siegt Union in allen Berliner Derbys gegen die Hertha. Von denen gibt es in der Saison 2021/22 gleich drei Stück, eines davon im DFB-Pokal, in dem Union erst im Halbfinale an RB Leipzig (1:2) scheitert.
In der Folgesaison geht es allen erneuten Unkenrufen zum Trotz wieder ein Stück nach oben. Für den abgewanderten Awoniyi trifft plötzlich Sheraldo Becker verlässlich, mit den Neuzugängen Diogo Leite und Danilho Doekhi, die in Deutschland zuvor nur Eingeweihte kannten, festigt Fischer seine ohnehin schon beängstigend stabile Abwehr weiter.
Die Spielzeit wird zum Rausch, endet auf Rang vier und mit der Qualifikation zur Champions League. Die Derbys gegen Hertha werden abermals sämtlich gewonnen, in der Europa League zelebriert Union in der Zwischenrunde gegen Ajax Amsterdam vor fantastischer Kulisse den eigenen Höhenflug und erreicht das Achtelfinale.
Und Urs Fischer? Bleibt Urs Fischer. "Es macht nichts mit mir", sagte er Anfang 2022 im Interview mit der "Welt" und auf den damaligen Tabellenplatz drei angesprochen. Priorität hätte immer noch der Klassenerhalt. Das nahm ihm da schon kaum noch jemand ab. Erst recht nicht vor der aktuellen Spielzeit.
Wieder einmal holte Union jede Menge neuer Spieler. Und was für welche! Den aktuellen deutschen Nationalspieler Robin Gosens! Von Inter Mailand! Den Ex-Nationalspieler Kevin Volland! Von der AS Monaco! Den italienischen Europameister Leonardo Bonucci! Von Juventus Turin! Union, da waren sich nun fast alle einig, habe sich nachhaltig in der Spitze der Bundesliga etabliert. Und dann das. Systemabsturz, Abstiegskampf und das Ende von Urs Fischer als Trainer von Union Berlin.
Der Eindruck hinterlassen hat in seinen etwas mehr als fünf Jahren in Berlin. Und das beileibe nicht nur, weil sie einen rotes Panda-Baby nach ihm benannt haben.
Sendung: rbb24, 15.11.2023, 18 Uhr
Beitrag von Ilja Behnisch
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