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Quelle: IMAGO / Jan Huebner

Profidebüt mit 27 Jahren

Wie Hertha-Spieler Nader El-Jindaoui sich vom Influencer-Image emanzipiert

Das Profidebüt von Nader El-Jindaoui für Hertha BSC gegen den Hamburger HSV war ein ganz besonderes. Zum einen, weil er bereits 27 Jahre alt ist. Zum anderen, weil ihn schon davor Millionen von Menschen kannten. Von Marc Schwitzky

"Wenn du mich googlest, steht da Fußballer. Und so fühle ich mich auch", stellte Nader El-Jindaoui am Mittwoch im sky-Interview nach dem Pokalspiel gegen den Hamburger SV klar. Für Personen, die den Namen Jindaoui bislang nicht kannten, eine vermutlich irritierende Bemerkung. Denn klar, der Offensivspieler hatte soeben sein Profi-Debüt bei Hertha BSC gefeiert, ein überaus erfolgreiches dazu. Natürlich ist er Fußballer. Oder etwa nicht?

Millionen von Menschen folgen Jindaoui online

Nun, die Geschichte von Jindaoui ist etwas vielschichtiger und macht dessen Berufsbezeichnung komplizierter. Denn: Ein reiner Fußballer ist der 27-Jährige, der lange Zeit im gehobenen Amateurbereich spielte, nicht. Seit vielen Jahren dokumentiert er sein Leben und das seiner Familie nahezu täglich auf vor allem bei Youtube und weiteren Social-Media-Plattformen. Und das sehr erfolgreich. Auf Youtube folgen ihm 1,75 Millionen Menschen, auf Instagram kommt er auf zwei Millionen und auf TikTok auf 2,6 Millionen Follower. "Nader", wie er meist nur genannt wird, ist mittendrin im Starkult des Internets.

"Ich spiele mein Leben lang Fußball", sagt Jindaoui. "Auch wenn manche gerne sagen, dass ich Influencer bin. Aber ich bin Fußballer - und teile ein bisschen mein Leben." Und dennoch liegt die Vermutung nahe, dass Hertha BSC Jindaoui vor eineinhalb Jahren nicht nur aufgrund seiner fußballerischen Qualitäten verpflichtet hatte, sondern auch von seiner immensen Reichweite in einer sehr jungen Zielgruppe profitieren wollte.

Im Sommer 2022 stellte Hertha, obwohl Jindaoui nur für die zweite Mannschaft vorgesehen war, sein Trikot im Online-Shop zur Verfügung. Der Andrang war riesig. Die Nader-Fans legten Herthas Shop lahm, ihm zufolge war es das meistverkaufte Hertha-Trikot in diesem Sommer.

Dardai honoriert Jindaouis Einsatz

Jindaoui kratzte in seiner Laufbahn immer wieder am Profi-Dasein. Er spielte in der Jugend unter anderem für Energie Cottbus und den Chemnitzer FC, später für die zweiten Mannschaften von Greuther Fürth und Fortuna Düsseldorf. Das Talent war zweifelsohne vorhanden, doch unter anderem körperliche Probleme verhinderten den letzten Sprung auf die große Fußballbühne.

Doch Jindaoui blieb dran. Über Herthas U23 empfahl er sich für mehr, seit nun schon einiger Zeit trainiert er mit den Profis und kam in Testspielen zum Einsatz. "Als ich zuerst davon gehört habe, dachte ich, was ist das?", äußerte sich Profi-Trainer Pal Dardai skeptisch über Jindaouis Internetaktivitäten. Doch wichtig ist bekanntlich aufm Platz – und dort überzeugt der Flügelspieler. "Ich habe ihn beobachtet, er gibt alles, jeden Tag. Er gibt sein Leben fürs Training."

Und Dardai honorierte Jindaouis Einsatz: Im vergangenen Ligaspiel gegen die SV Elversberg stand der 27-Jährige erstmals in einem Profikader, doch die Zeit für das Debüt war noch nicht reif.

"Hände hoch, wer sagt, dass der keine Eier hat"

Doch am vergangenen Mittwochabend sollte Jindaouis große Stunde schlagen. Das Profi-Debüt – mit 27 Jahren. Beim Stand von 1:2 wurde er in der 80. Minute für Florian Niederlechner eingewechselt. "Er hat eine geile Finte, eine geile Bewegung", erklärte Dardai im Anschluss die Absichten hinter dem Debüt Jindaouis. Der Angreifer besticht durch eine herausragende Technik, sowohl im Dribbling als beim Schießen, ist so unberechenbar und sollte in der Schlussphase der Partie noch einmal den Unterschied ausmachen.

Analyse | Herthas Pokal-Sieg gegen den HSV

Ein Abend, der bleibt

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Die ersten Minuten zogen an Jindaoui vorbei, Dardai attestierte ihm im Anschluss eine gewisse Nervosität, die in Standproblemen und Ballverlusten mündete. Doch Naders goldener Moment sollte noch kommen. Hertha rettete sich in die Verlängerung, lag dann jedoch 18 Minuten mit 2:3 hinten. Im letzten Angriff der Partie spielte Jindaoui eine perfekte Seitenverlagerung auf Fabian Reese, der anschließend Jonjoe Kenny zum 3:3 bediente. Ein Tor aus der Feder des 27-Jährigen.

Auch im Elfmeterschießen überzeugte Jindaoui, der seinen Versuch selbstsicher in die Tormitte bugsierte. "Hände hoch, wer sagt, dass der keine Eier hat", lobte Dardai nach dem Spiel den Mut des Debütanten. "Den Ball hat er einfach reingejagt. Das war top. Respekt dafür."

"Es ist eine perfekte Geschichte"

Mit 27 Jahren doch noch das Profi-Debüt, ein Tor eingeleitet und einen Elfmeter versenkt – und all das in der Heimatstadt. "Ich habe mich in die Kurve verliebt. Ich bin ein Berliner Junge. Dass ich mein Debüt in der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, feiern durfte, ist eine perfekte Geschichte", sagte Jindaoui mit ansteckendem Lächeln nach dem Spiel. Während und nach dem Spiel war nicht der Social-Media-Star zu sehen, sondern nur ein Junge, der den Fußball liebt und seinen Traum leben durfte. "Wenn ich eine Geschichte schreiben könnte, würde ich sie so schreiben. Ich hoffe, das ermutigt Leute da draußen, ihre Träume niemals loszulassen."

Ob sich Jindaoui weitere Träume im Profi-Fußball erfüllen darf, bleibt jedoch abzuwarten. Trainer Dardai zeigt zwar viel Anerkennung für Jindaouis besondere Laufbahn, bremst jedoch die Euphorie etwas ab. "Nader ist schon 27 Jahre. Er kommt jetzt aus dem Niemandsland, geht einen tollen Weg. Trotzdem darf er keinem jungen Spieler hier den Platz wegnehmen", erklärt der Ungar. "Mein Auftrag bei Hertha ist es, die jungen Spieler auszubilden, großzumachen, Werte zu schaffen. Das muss Nader auch verstehen." Positionskonkurrenten wie Gustav Christensen, Marten Winkler oder Derry Scherhant haben grundsätzlich Vorrang.

Dardai gibt aber auch zu Protokoll: "Ich arbeite gerne mit ihm zusammen. Diesmal hat er gegen den HSV geholfen und vielleicht das nächste Mal auch wieder." Und Jindaoui? "Ich bin noch nicht fertig. Ich will der Mannschaft helfen, so gut es geht. Mal sehen, was die Zukunft so bringt." Nach dem Pokalspiel wurde er gefragt, ob er glaube, dass seine Social-Media-Accounts nun explodieren würden. Seine Antwort: "Ist mir scheißegal, ob's explodiert. Das Stadion ist heute auf jeden Fall explodiert."

Sätze eines Menschen, der auch in Zukunft unter "Fußballer" bei Google zu finden sein wird.

Sendung: rbb24, 7.12.2023, 21.45 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

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