Alba-Fangruppe Block 212
Ultras kennt man aus dem Fußball. Wie funktioniert leidenschaftliche Klub-Liebe in einer Randsportart? Zu Besuch im Block 212 in der Arena am Ostbahnhof, wo eine Fangruppe bei den Basketballern von Alba Berlin den Ton angibt. Von Shea Westhoff
Bei all den Spielen, die Alba Berlin zu bewältigen hat – um die 70, 80 pro Saison – muss manchmal ein Perspektivwechsel her, um zu begreifen, dass auch eine einzelne Partie von Bedeutung ist. Heute könnte eine solche sein. Es geht gegen den übermächtigen FC Barcelona, zweifacher Euroleague-Gewinner, Zweitplatzierter im aktuellen europäischen Elite-Classement.
Also, Perspektivwechsel: Blick von unmittelbar hinter der Korbanlage in der Arena am Ostbahnhof. Rechts, an der Grundlinie, haben Albas Manager Marco Baldi und Kaderplaner Himar Ojeda hinter einer Werbetafel Platz genommen, ihre Blicke verfolgen die Alba-Profis, die sich gerade noch warm werfen. Wenige Meter entfernt steht Trainer Israel Gonzalez und schaut mit ernster Miene auf den Videowürfel, wo der Countdown für den Tipoff herunterläuft.
Man muss es so sagen: Anspannung liegt in der Luft vor dem Duell gegen die Spanier, die mit NBA-erprobten Spielern wie Willy Hernangomez und Jabari Parker aufwarten sowie dem einstigen Euroleague-MVP, Jan Vesely. Das im Umbruch befindliche Alba wird heute auf die Mütze bekommen, das dürfte klar sein.
Unmittelbar hinter der Korbanlage versammeln sich rund 20 Fans, für die im Grunde zweitrangig ist, ob Alba hoch gewinnt oder hoch verliert. Jedes Spiel ist für sie besonders. Sie hüpfen, klatschen, besingen ihre Mannschaft. Sie schwenken blau-gelbe Fahnen, von denen manche statt einem Albatros das Konterfei eines Bären zeigen - das Symbol des "Blocks 212". Die Fangruppe gilt als besonders leidenschaftlich, gibt bei jedem Heimspiel den Ton an, und auch bei vielen Auswärtsspielen.
Ganz vorne, auf einem angebauten Podest, steht Alexander Kürth, 40 Jahre alt, seit mehr als 20 Jahren Alba-Fan. In seiner rechten Hand trägt er sein Markenzeichen, ein hellblaues Megafon, mit dem er seit Jahren den Takt vorgibt für die Gesänge der Gruppe, aber auch für die Tausenden Fans, die in die Mega-Event-Halle am Ostbahnhof strömen.
Heute morgen habe er so ein Gefühl gehabt, sagt Kürth vor der Partie, "dass heute ein Europapokal-Abend wird". Und wer sich diesen Satz vergegenwärtigt, der hat wohl schon viel verstanden über Leideschaft im Sport: Oft geht es einfach um Zuversicht. Das Unmögliche, es könnte heute möglich sein. Und man wäre blöd, das zu verpassen.
Im Fußball würde man die Gruppe um Kürth wohl als "Ultras" bezeichnen: leidenschaftliche Fans, die mit Choreografien und standardisiertem Liedgut allwöchentlich für ein Spektakel in der Kurve sorgen und mittlerweile elementarer Bestandteil der Fußballkultur sind. In Randsportarten gilt so eine Leidenschaft eher als exotisch. Wie fühlt sich das Ultra-Dasein abseits des Fußballs an?
Vor dem Spiel trifft man Kürth in einem nahegelegenen Café zum Gespräch. Er trägt einen flauschigen Vollbart, und eine Kappe mit der Aufschrift "Berlin". Seit elf Jahren ist er Vorsänger im Fanblock. Und mit dieser Leidenschaft ist es ihm so ernst, dass er sich selbst daran erinnern muss, dass er das eigentlich als Hobby macht: "Mittlerweile hat man einen eigenen Anspruch an sich, und muss sich immer wieder klar machen, dass man am Ende Spaß daran hat, was man macht, dass es Freizeit ist", sagt er.
Was ihn und seine Mitstreiter vom Block 212 antreibt, sei die Stimmung in die Halle zu transportieren. "Wir versuchen, eine Atmosphäre bei den Heimspielen zu schaffen, wo die Leute sagen: 'Cool, darauf habe ich Bock, da komme ich wieder'", sagt Kürth. "Es geht darum, ein Erlebnis zu schaffen." Er versteht es als Dienst am Publikum.
Das Gegenteil eines solchen Erlebnisses sind für ihn: Klatschpappen und T-Shirt-Kanonen. "Eventisierung" nennt er das, "künstliche Stimmung".
Als "Ultras" wollen sich die Mitglieder von Block 212 aber gar nicht bezeichnen, wie auf der Website zu lesen ist. Das wundert einen dann doch. Kürth erklärt: "Die Frage ist: Würde ich Alba in jedem Fall, auf Teufel komm raus, unterstützen?"
Er wiegt den Kopf. Es sei zum Beispiel möglich, dass in der Geschäftsstelle Dinge beschlossen würden, die er nicht gut findet. "Wir als Gruppe mussten einen Konsens finden und haben uns entschieden, wir sind keine Ultras." Es klingt, als wollten er und seine Mitstreiter sich damit ein Gefühl von Eigenständigkeit bewahren.
Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass der Block 212 zahlreiche Elemente in seine Unterstützung einpflegt, die man der Ultra-Bewegung zuschreiben würde: Immer wieder sorgt die Gruppe mit riesigen Spruchbannern, gelbem Konfettiregen oder anderen Aktionen für Aufmerksamkeit.
Szenenwechsel, die Euroleague-Partie Berlin gegen Barcelona ist in vollem Gange. Allerdings zu Ungunsten der Heimmannschaft. Nach nicht einmal zwei Minuten liegt Alba mit 0:7 zurück. Das Team um Kapitän Johannes Thiemann wirkt eingeschüchtert. "Auf geht's Alba, kämpfen und siegen!", ruft Kürth in sein Megafon. Begleitet wird er vom nimmermüden Trommler Jakob, der ordentlich in die Pauken haut – und damit tatsächlich die Halle zu animieren scheint, die im Takt mitklatscht.
Fragt man die Leute im Block 212 in der Auszeit, warum sie hier sind, scheint es immer auch um das Miteinander zu gehen. Jannik, ein großgewachsener junger Mann mit kunstvoll gebundenem Zopf, war acht Jahre lang weg aus Berlin, wollte nach seiner Rückkehr wieder "Leute um mich herum" haben. Steffi erzählt, sie sei in der Schule erstmals mit Basketball in Berührung gekommen, als Berlinerin sei von da der Weg zu Alba nicht weit gewesen. "Hier sind Freundschaften entstanden", sagt sie mit Blick auf die Gruppe im Block 212.
Nach dem Seitenwechsel legen die Berliner einen 9:0-Lauf hin, der Underdog geht plötzlich mit 47:41 in Führung und die Halle steht Kopf. Natürlich nimmt Barcas Trainer Roger Grimau die Auszeit. Und dann passiert etwas, das im Block 212 für Ärger sorgt: Techno donnert aus den Boxen, Albas zotteliges Maskottchen, der Albatros, rennt aufs Feld, und schießt unter Jubel der Zuschauer mit einer T-Shirt-Kanone Alba-Merchandising in die Ränge. Alexander Kürth schüttelt verärgert den Kopf. Es ist genau die "künstliche Stimmung", die er zuvor kritisierte.
Der Block 212 beansprucht für sich, nach dem Umzug Albas von der Max-Schmeling-Halle in die weitaus größere Arena am Ostbahnhof die Stimmung wesentlich geprägt zu haben. Die meisten Lieder, die von Fans gesungen werden – und auch von Alba-Spielern teils nach Siegen mitgegrölt werden – stammen aus dem Block 212.
Trotzdem sorgt sich Kürth um das Fortbestehen der Gruppe, der Nachwuchs fehle – generell im Basketball, aber in Berlin im Besonderen. "Ich bin 40, andere sind 30, Mitte 20. Es werden immer weniger. Es wächst keine Generation heran, die das irgendwann mal übernimmt." Für den Nachwuchs gelte weiterhin: "Fußball ist die treibende Kraft."
Und es stimmt ja: Ausgefeilte Choreografien, Plakate, Bengalos, Trommeln, Fangesänge, all das findet in Deutschland überwiegend im Fußball statt. Schaut man sich allerdings Basketballspiele in Südeuropa an, wird schnell klar: Frenetische Unterstützung, sogar das Abbrennen von Pyrotechnik - das ist auch abseits des Fußballs möglich und sogar üblich.
Dafür hat Fanforscher Jonas Gabler eine Erklärung: "Es hat etwas damit zu tun, welchen Stellenwert diese Sportarten haben", sagt er am Telefon. "In Griechenland oder den ex-jugoslawischen Ländern hat Basketball eine ganz andere gesellschaftliche Bedeutung, er kommt darin dem Fußball nahe. Deswegen haben sich dort entsprechende Fankulturen auch schon viel früher entwickelt.”
Als jedoch in Deutschland Randsportarten wie Basketball zu großen Publikumssportarten wurden, habe man sich eher an der US-amerikanischen Sport-Event-Kultur orientiert: "Da wird viel durch den Verein vorgegeben, durch einen Stadionsprecher, der interveniert, durch Klatschpappen oder durch Musik, die eingespielt wird", sagt Gabler.
Neulich waren acht Mitglieder des Alba-Blocks 212 gemeinsam beim Auswärtsspiel bei Roter Stern Belgrad. Die dortige Stimmung hat Leon, der einen Albatross auf seine Schulter tätowiert hat, beeindruckt. So laut sei es dort gewesen, "dass wir als Fangruppe wahrscheinlich nicht mal wahrgenommen wurden", sagt er schmunzelnd.
Doch hier, in Berlin, da nimmt man den Block 212 wahr. Mittlerweile spürt die Halle, heute geht was gegen Barcelona. Plötzlich fallen die Dreier, die Gäste aus Spanien scheinen von der Rolle. Berlin hat sich mittlerweile eine Führung erspielt, die es nun zu verteidigen gilt. "De-fense", ruft Vorsänger Alexander Kürth ins Megafon, Kollege Jakob haut in die Trommel, und die Halle lärmt mit: "De-fense! De-fense! De-fense!"
Alba zittert sich am Ende tatsächlich zum Sensationssieg. Kürth hatte ja schon am Morgen so eine Ahnung gehabt. Aber selbst wenn nicht: Seine Unterstützung wäre die gleiche gewesen.
Sendung: rbb24, 22.12.2023, 18 Uhr
Beitrag von Shea Westhoff
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