Kapitän in Topform
Seit dem Titelgewinn bei der Basketball-WM ist Johannes Thiemann in der Form seines Lebens. Genau rechtzeitig, schließlich muss der neue Alba-Kapitän in der Hauptstadt die schwierige Rolle des Anführers nach dem Umbruch übernehmen. Von Lukas Witte
Johannes Thieman ist zum Jahresende ein gefragter Mann. Er hetzt von Termin zu Termin, reist von einer Fernsehaufzeichnung zur nächsten Preisverleihung und zwischendurch muss er auch noch Basketball spielen. "Das ist natürlich ein bisschen viel, aber ich mache es auch gerne, damit der Basketball im Gespräch und der Erfolg in Erinnerung bleibt", erklärt Thiemann, nachdem er gerade wie in diesen Tagen öfter als Letzter im Alba-Trainingszentrum angekommen ist. Erst am Morgen landete er mit einem Flieger aus Köln.
Mehr als drei Monate ist es nun her, dass er mit der deutschen Basketball-Nationalmannschaft Geschichte geschrieben hat. In der philippinischen Hauptstadt Manila schlug das DBB-Team im Finale Serbien mit 83:77 und kürte sich damit erstmals zum Weltmeister. Ein Sensationserfolg, der so völlig überraschend kam und jetzt natürlich in keinem Jahresrückblick fehlen darf. Auch Thiemann ist überall eingeladen, wird aber nicht müde, immer wieder davon zu berichten. "Es war unglaublich. Dieser ganze Sommer und der Spirit im Team – das wird mir für immer in Erinnerung bleiben", schwärmt er.
Der 2,06-Meter-Mann spielte beim WM-Erfolg des deutschen Teams eine wichtige Rolle. Coach Gordon Herbert brachte ihn immer dann aufs Parkett, wenn ein Spiel zu kippen drohte und es einen neuen Impuls brauchte. Und immer dann wusste Thiemann mit seiner Physis, seiner Energie, aber auch feinen Technik abzuliefern. Sieben Punkte, vier Rebounds und einen Assist trug er so durchschnittlich pro Spiel zum Durchmarsch des DBB-Teams zum Titel bei.
Es war der Höhepunkt in Thiemanns sportlicher Laufbahn. Und hat ihn persönlich beflügelt: Seit seiner Rückkehr von dem Turnier in Asien ist der 29-Jährige in der Form seines Lebens und überragender Akteur bei Alba. Spiel für Spiel zaubert er Glanzleistungen auf das Parkett und stellt neue Karrierebestleistungen auf. "Der WM-Titel hat definitiv etwas verändert. Vor allem das Selbstbewusstsein ist einfach größer. Aber das hat auch etwas mit meiner neuen Rolle bei Alba zu tun", erklärt er.
Seit fünf Jahren spielt Thiemann in Berlin und wurde auch dort oft als Leistungsträger von der Bank eingesetzt. Seit dieser Saison ist er zum absoluten Führungsspieler der Albatrosse aufgestiegen. Auch wenn Thiemanns Leistungen beweisen, dass er dieser Rolle gerecht werden kann, ganz einfach ist die neue Aufgabe nicht.
Nach dem frühen Playoff-Aus in der Vorsaison endete bei Alba im Sommer eine Ära und Leistungsträger wie Kapitän Luke Sikma, Nationalspieler Maodo Lo und Top-Scorer Jaleen Smith verließen den Verein. Das Erfolgsteam, das zuvor dreimal in Folge deutscher Meister wurde, brach auseinander und ein Umbruch war nötig.
Nun sind es vor allem junge Spieler, die den Hauptstadtklub wieder zurück nach oben bringen sollen. "Es ist ein Entwicklungsprozess und da muss man Geduld haben. Das dauert einfach. Man sieht aber jetzt schon, dass wenn wir funktionieren, wir auch gute Teams schlagen können", sagt Thiemann, der nun der dienstälteste Spieler im Kader ist.
Tatsächlich war Alba in dieser Saison schon für eine große Überraschung gut. Kurz vor Weihnachten schlugen sie in der Euroleague den FC Barcelona – eins der Top-Teams in Europa. Es war allerdings nur einer der wenigen Ausschläge nach oben. Die Leistung der neuen und jungen Mannschaft ist - wie erwartet - noch inkonstant. So kassierten die Berliner wenige Wochen vor dem Überraschungserfolg in der Euroleague gegen den Mitteldeutschen BC die höchste Heimniederlage (-33 Punkte) der Vereinsgeschichte, im europäischen Wettbewerb hagelt es Pleiten und auch in der Bundesliga haben sie noch einige Baustellen.
Umso wichtiger ist es, dass auf die Leistung von WM-Held Thiemann Verlass ist. "Er ist unser Anführer und hat großen Einfluss auf das Team. Außerdem ist er derzeit einer der besten Spieler Europas auf der Viererposition", sagt Trainer Israel Gonzalez. Dieser Rolle ist sich auch Thiemann bewusst. "Ich bin jetzt der Kapitän, einer der ältesten Spieler im Team und muss viel Verantwortung tragen", sagt er.
Sein Aufschwung seit der WM dürfte allerdings auch Begehrlichkeiten bei der Konkurrenz geweckt haben. Thiemann wird wohl auf dem Zettel einiger Top-Teams stehen und könnte im Sommer lukrative Angebote bekommen. Wird also auch der neue Kapitän sich schon bald aus der Hauptstadt verabschieden? "Das sind alles Sachen, die man im Sommer bespricht. Jetzt will ich mich damit noch nicht beschäftigen. Ich will die Saison möglichst mit der Meisterschaft beenden, weiter gut spielen und der Rest ergibt sich dann", sagt er.
Ob Thiemann in Top-Form tatsächlich ausreichen wird, um die junge Mannschaft direkt nach dem Umbruch wieder nach oben zu führen, wird das nächste Jahr zeigen. Zumindest bis zum Sommer werden die Alba-Fans aber auf jeden Fall noch Freude an ihrem WM-Helden haben.
Sendung: rbb24, 22.12.2023, 18 Uhr
Beitrag von Lukas Witte
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