Interview | LSB-Präsident Thomas Härtel
Auf die Corona-Pandemie folgte ein Mitgliederrekord in den Sportvereinen. Und auch sonst gab es einige gute Nachrichten für den Berliner Sport. Landessportbund-Präsident Thomas Härtel über das Sportjahr 2023, die Fußball-EM und Olympia.
rbb|24: Herr Härtel, mit 2023 neigt sich ein aufregendes Sportjahr dem Ende zu. Berlin stellt wieder einige deutsche Meister und Weltmeister. Die Special Olympics World Games waren im Sommer zu Gast. An welche Höhepunkte erinnern Sie sich besonders gern zurück?
Thomas Härtel: Unsere Profivereine waren im Großen und Ganzen auch erfolgreich, aber vor allem erinnere ich mich an die Special Olympics World Games. Wir haben viele tolle, gemeinsame Stunden in den Stadien und auf den Berliner Straßen erlebt. In dem Zusammenhang gab es auch das Familiensportfest vor dem Brandenburger Tor. Dort konnte man auch gemeinsam erleben, was der Sport leisten kann: Zusammenhalt für die Gesellschaft und einen Beitrag für Inklusion.
Sport im Verein ist in Berlin so angesagt wie nie. Mit über 45.000 Mitgliedern wurde ein neuer Rekord erreicht und damit sogar das Vor-Corona-Niveau übertroffen. Wie blicken Sie auf diese Entwicklung?
Die Entwicklung hat uns auch ein wenig überrascht, wobei wir sie natürlich erhofft hatten. Denn während Corona hat uns gemeinsames Sport treiben und erleben gefehlt. Das hat die Sportmetropole ausgemacht. Wir hatten ein Restartprogramm, mit dem die Vereine für Mitgliedschaften geworben haben. Die Vereine sind mit Angeboten in öffentliche Anlagen gegangen. Wir haben viele Kinder und Jugendliche als Mitglieder gewonnen, und auch Frauen, die gerade während der Pandemie besonders betroffen waren. Es macht uns stolz, dass wir eine solche Entwicklung haben.
Der Zuwachs sorgt allerdings auch für bekannte Herausforderungen. Die Sporthallen und -plätze sind nach wie vor oft überfüllt. Die Vereine können Mitglieder teilweise nicht aufnehmen. Wie steht es um die Sport-Infrastruktur in der Hauptstadt?
Wir freuen uns über jedes Mitglied, aber in der Tat haben wir das Problem, dass wir wieder Wartelisten haben. Das betrifft viele Vereine und Verbände. Viele Sportanlagen müssen saniert werden. Es fehlen uns Sportanlagen. Wir arbeiten daran, dass man mit dem Senat deutlich macht, wo die Defizite sind. Wir sind froh, dass das Parlament die Entscheidung getroffen hat, das Sportanlagen-Sanierungsprogramm von 18 auf 30 Millionen Euro zu erhöhen. Damit kann versucht werden, die Engpässe aufzuheben.
Den Hallenengpass gibt es nicht nur im Breitensport, sondern auch im Profibereich. Während die Profiklubs im Bereich der Männer schon lange als Einheit auftreten, hat sich in diesem Jahr auch die "Initiative Frauen Spitzensport Berlin" gebildet. Die Frauenteams stehen vor dem Problem, dass ihr Wachstum dadurch gehemmt wird, dass die großen Hallen schon von den Männerteams belegt werden. Wie kann da die Sportförderung besser greifen?
Der Frauensport hat in diesem Jahr einen Auftrieb erhalten, wenn wir an die Sprefüxxe, Alba Frauen und Wasserballerinnen denken. Wir müssen da natürlich sehr viel mehr tun, um den Frauensport zu fördern. Wir haben Defizite bei bestimmten Hallengrößen, die am Ende gerade auch für diese Angebote nötig sind. Das gilt natürlich auch für Alba, Volleys und Füchse. Wir benötigen neben der Max-Schmeling-Halle noch eine weitere Halle mit etwa 4.500 Plätzen. Die Sömmeringhalle ist eine tolle Halle für die Alba Frauen, aber bei dem weiteren Erfolg muss man auch weiterdenken. Dafür bedarf es auf der Landesebene auch einer klaren Sportentwicklungsplanung, wo der Frauensport mit in den Fokus genommen wird.
Ein großes und vieldiskutiertes Thema war und ist eine mögliche Olympiabewerbung Berlins. Sie haben sich für eine Mehrstadtlösung ausgesprochen, um ein Ausbooten zwischen München, Hamburg, der Rhein-Ruhr-Region oder Berlin zu vermeiden. Wie laufen dazu die Gespräche und wo stehen sie auf der Roadmap?
Wir sind mitten auf der Roadmap. Wir hatten einen Abstimmungsprozess mit dem Deutschen Olympischen Sportbund und auf deren Mitgliedsversammlung Anfang Dezember wurde eine klare Entscheidung für eine nationale Bewerbung getroffen. Das ist die Grundlage für ein Feinkonzept, das jetzt erarbeitet werden muss. Mitte des kommenden Jahres soll die Entscheidung getroffen werden, mit welchen Städten und Regionen sich Deutschland für Olympische und Paralympische Spiele bewirbt.
Auf der Seite des Landessportbunds ist dazu zu lesen: "Alle wollen die Spiele" ...
Berlin hat ein klares Zeichen gegeben. Der Senat hat eine klare Entscheidung getroffen, für die wir ausdrücklich dankbar sind. Es ist dabei aber auch klar erkennbar geworden, dass sie Berlin nicht alleine bewerben wird, sondern gemeinsam mit anderen. Da liegt es nah, sich gemeinsam mit München zu bewerben, weil wir aus Nachhaltigkeitsgründen auf bestehende Sportstätten zurückgreifen wollen. München war 1972 Olympiastadt und wir 1936. Beide könnten im Schulterschluss Kern einer nationalen Bewerbung sein. Dann spielt auch Aachen für die Reitturniere eine Rolle. Meine Vorstellung sieht eine Achse von München, Berlin bis Warnemünde vor. Und Aachen käme dazu. Das müssen wir aber abstimmen.
Die Fußball-EM im Sommer könnte zeigen, wie offen die Berlinerinnen und Berliner für Großveranstaltungen sind. Inwiefern hat das Einfluss auf die Bewerbung?
Mit Sicherheit werden die Spiele in Paris ein Signal setzen und ein klares Zeichen für eine mögliche deutsche Bewerbung. Aber die Fußball-EM in Deutschland wird auch einen Schub geben, weil man da natürlich sieht, was Großveranstaltungen bewirken können: Die Freude für den Sport. Ich bin mir sicher, dass wir durch die sechs Spiele in Berlin einen Schub mitbekommen werden.
Es gibt auch immer kritische Anmerkungen zu der Frage, warum wir Olympische und Paralympische Spiele wollen. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Aber ich stelle auch fest: Wenn wir solche Großveranstaltungen haben, sind das Veranstaltungen, die begeistern. Daran muss man anknüpfen.
Im kommenden Jahr erwartet Berlin mit der Fußball-EM ein Großereignis. Wie gut sehen Sie die Stadt für die Europameisterschaft gerüstet und welche Effekte erhoffen Sie sich auch über das Event hinaus für Berlin als Sportmetropole?
Wir haben den Eindruck, dass die Stadt gut gerüstet ist. Berlin kann Großveranstaltungen und hat das in der Vergangenheit bewiesen. Insofern habe ich da auch überhaupt keinen Zweifel, dass es in irgendeiner Weise schwer oder eine Herausforderung sein wird. Wir tun alles gemeinsam, um die Vorfreude auf die EM zu wecken. Ich sehe, dass der Ticketverkauf wirklich toll läuft. Auch die Veranstaltungen, die wir rund um das Thema Nachhaltigkeit organisieren, sind gefragt. Daher bin ich auch sehr optimistisch, dass sich vor der Europameisterschaft eine gute Stimmung aufbaut.
Was erhoffen und wünschen Sie sich für 2024 für den Berliner Sport?
Wir wünschen uns ein Miteinander im Sport und möglichst viele Möglichkeiten, um Sport auch erleben und betreiben zu können. Die Fußball-EM ist ein entsprechendes Highlight, wo wir Stimmung mitnehmen wollen und an dieser Stelle auch mitarbeiten werden. Aber es sind eben auch die vielen kleinen Veranstaltungen der Vereine, von denen ich mir wünsche, dass sie ein Zeichen setzen. Um auch ein Beispiel zu nennen: Wir haben bis heute 280 Menschen mit Fluchterfahrung zu Übungsleiterinnen und Übungsleitern ausgebildet. Die können Brücken bauen und das liegt mir besonders im Herzen. Da kann der Sport in der heutigen Zeit einen ganz wichtigen Beitrag leisten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Lynn Kraemer, rbb Sport.
Sendung: rbb24, 20.12.2023, 21:45 Uhr
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