Zweite Bundesliga
Hertha BSC ist es in der Hinrunde gelungen, sich zu stabilisieren und Tuchfühlung zu den Aufstiegsplätzen zu halten. Dennoch haben sich Defizite gezeigt, die auch mit der Kaderqualität zusammenhängen und im Transferwinter angegangen werden könnten. Von Marc Schwitzky
Kurz nach dem letzten Hinrundenspiel von Hertha BSC gab Trainer Pal Dardai die Erkenntnisse aus der gemeinsamen Analyse bekannt. Große Überraschungen gebe es nicht, die Mannschaftswerte würden die Tabellensituation widerspiegeln. Die Berliner schlossen die Hinrunde mit 25 Punkten ab und verpassten damit die von Trainer Dardai zu Weihnachten anvisierten Plätze vier und fünf knapp um vier beziehungsweise fünf Zähler. Nach drei torlosen Niederlagen zu Beginn, dem Lizenz-Chaos und einem kompletten Kaderumbruch im Sommer sieht sich die "alte Dame" dennoch im Soll.
Die Stabilisierung der Mannschaft und der Aufbau einer Achse ist gelungen, ebenso die Integration zahlreicher Eigengewächse und allgemein junger Spieler. Nach einem wankelmütigen Saisonstart haben die Blau-Weißen die letzten sieben Ligaspiele nicht mehr verloren und mit dem Erreichen des Pokal-Viertelfinals sogar für eine Überraschung gesorgt. Luft nach oben gibt es dennoch reichlich.
"Mehr Torgefahr über die rechte Seite, weniger Gegentore über den linken Flügel, die Weiterentwicklung im Zentrum – da müssen wir die Balance insgesamt noch ein wenig verbessern. Den Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte können wir auch besser nutzen und uns bei Standards gerade defensiv noch geschickter anstellen", so das Zwischenfazit von Pal Dardai. Der Ungar beschreibt Herthas Problemzonen damit bereits äußerst präzise.
Gegen den Ball erlaubt sich der Hauptstadtklub zwar immer wieder individuelle Fehler, im Verbund verteidigt die Mannschaft aber geschlossen und vor allem das Angriffspressing funktioniert gut. Hier muss personell nicht nachgeholfen werden. Mit dem Ball stockt Herthas Spiel jedoch.
Die größte Problemzone ist im zentralen Mittelfeld verortet. Marton Dardai und Pascal Klemens machen es für ihr Alter und für den Fakt, dass sie gelernte Innenverteidiger sind, zwar ordentlich und bilden vor allem gegen den Ball eine stabile Doppelsechs, doch im Ballbesitz fehlt ihnen Dynamik, Mut und Kreativität. Mit den Eigengewächsen im defensiven Mittelfeld und einem gelernten Mittelstürmer als hängende Spitze wie Florian Niederlechner oder Smail Prevljak klafft ein riesiges Loch im Zentrum. Auch die beiden Neuzugänge Bilal Hussein und Andreas Bouchalakis konnten noch nicht nachhaltig weiterhelfen. Es fehlt das verbindende Element.
Was Hertha braucht, ist der sogenannte "Box-to-Box-Spieler": Ein zentraler Mittelfeldspieler, der durch einen großen Aktionsradius die Defensive mit der Offensive verbindet, Zwischenräume besetzt und auch selbst im gegnerischen Strafraum auftaucht. Jemand, der mehr Druck aus der Mitte heraus entwickelt, aggressiver nach vorne schiebt und auch mal auf den Flügel ausweicht.
Zusammen mit einem eher stationären Sechser wie Marton Dardai oder Klemens würde sich eine deutlich bessere Mischung im Zentrum ergeben, die Hertha weniger ausrechenbar macht. Da Hertha diesen agilen Spielertypen nicht im Kader hat, könnte Sportdirektor Benjamin Weber hier tätig werden.
Doch nicht nur das Zentrum ist schuld am fehlenden Gleichgewicht in Herthas Spiel. 40 Prozent der Berliner Angriffe finden über den linken Flügel statt, die Abhängigkeit von Fabian Reese ist eklatant. Trainer Dardai sprach die fehlende Torgefahr über die rechte Seite selbst an. Marten Winkler, Derry Scherhant, Gustav Christensen - die Auswahl für die Rolle des Rechtsaußen ist durchaus üppig, doch alle genannten Spieler eint die wenig vorhandene Erfahrung auf Profi-Niveau. Die drei Angreifer sind noch jung, ihr Spiel ist wenig ausgereift und unterliegt Formschwankungen. Über Ansätze geht Herthas Spiel auf dem rechten Flügel also nicht hinaus.
Reese ist in 16 Ligapartien an insgesamt elf Toren direkt beteiligt gewesen - Winkler, Scherhant und Christensen zusammen an sieben. Das ist für deren Entwicklungsstand eine annehmbare Quote, doch Herthas Spiel leidet darunter, auch weil sich die Talente abseits von Torbeteiligungen zu selten zeigen. Einen erfahrenen, "fertigeren" Spieler für den rechten Flügel, der effizienter agiert, zu verpflichten, könnte Abhilfe leisten - auch um Reese zu entlasten.
Für die Diskussion um mögliche personelle Verstärkungen bei Hertha BSC sind jedoch zwei Faktoren zu beachten. Zum einen die finanzielle Situation des Vereins, die keine großen Sprünge ermöglicht. "Was Transfers angeht, ist es simpel: Wenn keiner geht, kommt keiner. Wenn einer geht, dann muss auch einer kommen", bringt es Trainer Dardai auf den Punkt.
Aktuell scheint einzig Marc Oliver Kempf ein potenzieller Verkaufskandidat zu sein. Der Innenverteidiger soll Bestverdiener der Mannschaft sein, zeigte sich im vergangenen Sommer wechselwillig und seine durchwachsenen Leistungen machen ihn alles andere als unersetzlich. Sollte der 28-Jährige einen neuen Verein finden, könnte Hertha auf den angesprochenen Positionen nachlegen.
Darüber hinaus spielen auch Herthas Rückkehrer eine Rolle. Palko Dardai, Jeremy Dudziak, Bence Dardai und Ibrahim Maza fehlten weite Teile der Hinrunde oder sogar das gesamte Halbjahr verletzt und kehren zur Rückrunde zurück. Alle können im Zentrum eingesetzt werden und haben die Fähigkeiten, Hertha in puncto Kreativität und taktischer Variabilität weiterzuhelfen. "Ich freue mich auf die Rückkehr", so Dardai über die vier gefühlten Neuzugänge. "Der Konkurrenzkampf wird wieder kommen. So bekommen wir noch ein paar zusätzliche Prozent."
Herthas grundsolide Hinrunde, die leere Vereinskasse, die vielen Rückkehrer aus dem Lazarett, aber auch das Bewusstsein, den jungen Spielern Raum für Einsatzzeiten zu lassen – vieles spricht für ein eher ruhiges Winter-Transferfenster. Sollte der Hauptstadtklub den Aufstieg jedoch noch einmal energischer in den Blick nehmen, käme er um Sofortverstärkungen wohl nicht herum. Ob Spieler im Winter kommen, hängt somit auch stark von den kurzfristigen Ambitionen des Vereins ab.
Sendung: rbb24, 29.12.2023, 18 Uhr
Beitrag von Marc Schwitzky
Artikel im mobilen Angebot lesen