Nach drei Monaten ohne Sieg
Es ist vollbracht: Der 1. FC Union hat nach über drei Monaten ohne Sieg endlich wieder gewonnen. In seinem ersten Heimspiel wird deutlich, welchen Fußball der neue Trainer Nenad Bjelica sehen will. Seine Mannschaft spielte vor allem offensiv besser als zuvor. Von Till Oppermann
Leonardo Bonucci gehört zu den langsameren Spielern in der Bundesliga. Zumindest für ein Sprintduell mit seinem Trainer Nenad Bjelica reicht das Tempo des 36-Jährigen aber immer noch. Bonucci war der erste, der in der 50. Minute Benedict Hollerbach in die Arme fiel, als der junge Flügelstürmer gerade die 2:0-Führung für Union erzielt hatte. Dicht gefolgt von Bjelica, der aus seiner Coaching-Zone gesprintet war, um das Tor zu feiern.
Frust wurde in der Alten Försterei in dieser Sekunde zu Freude. Alle glaubten an die Erlösung. Der erste Sieg nach sechzehn sieglosen Spielen stand bevor. Und selbst gestandene Männer wie Europameister Bonucci oder der erfahrene Trainer Bjelica freuten sich wie kleine Kinder. "Das bin ich", sagte Bjelica nach dem Spiel über seinen emotionalen Jubel. "Wer mich nicht gekannt hat, kennt mich jetzt."
Vielleicht dachte er dabei auch an Lothar Matthäus. Der Sky-Experte hatte Bjelicas Bundesligatauglichkeit schon in Frage gestellt, bevor der Kroate überhaupt das erste Training bei Union leiten konnte. Seitdem sind knapp zwei Wochen vergangen und in dieser Zeit hat Bjelica der verunsicherten Mannschaft nicht nur ihr Selbstvertrauen zurückgegeben.
Man habe auch sehr viele Abläufe trainiert, erklärte Torschütze Hollerbach. "Jeder wusste, was er zu tun hat und welche Optionen er im Spiel hat". Dadurch hätten die Spieler weniger nachdenken müssen und mehr aus ihren Emotionen spielen können, so Hollerbach.
Der 22-Jährige zeigte bei seinem ersten Startelfeinsatz, wie schön diese Emotionen sein können. "Hollerbach ist auf der rechten Seite in Eins-gegen-Eins-Situationen sehr gefährlich", lobte Bjelica nach dem Spiel und es wäre keine Überraschung, wenn Gladbachs Luca Netz noch lange Albträume von Unions dürrem Dribbler mit den blonden Spaghettilocken träumt.
Immer wieder düpierte Hollerbach ihn mit seinen schnellen Schritten und Tempowechseln. Das Raunen, das durch in der Alten Försterei ging, wenn er den Ball bekam, stand für zwei Dinge. So viel Spielwitz hatte man dort lange nicht mehr gesehen. Und Erstaunen: Bei Hollerbachs ersten Spielen in rot-weiß war er vor allem mit Fehlpässen aufgefallen.
Zu verdanken hatte Hollerbach sein "Träumchen", wie er den Nachmittag beschrieb, Nenad Bjelica. Denn die "Abläufe", von denen Hollerbach sprach, sind eigentlich nur ein anderes Wort für die Umsetzung der Spielidee des Trainers. Schon bei seiner ersten Pressekonferenz hatte der angekündigt, auf Flügelspiel zu setzen. Gegen Gladbach war schon sehr viel davon zu sehen, wie das in der Realität aussehen soll.
Durch die Umstellung auf ein 4-2-3-1-System setzt Bjelica anders als sein Vorgänger Urs Fischer auf offensive Flügelspieler. Einer davon war Hollerbach, den die Mannschaft immer wieder gezielt auf der Außenbahn freispielte. So kam Hollerbach in isolierte Eins-gegen-Eins-Situationen und konnte seine große Stärke ausspielen: das Dribbling.
Für ihn persönlich bedeutete das, dass er nur in Situationen den Ball bekam, in denen er – anders als beispielsweise im Kombinationsspiel im Mittelfeld – sehr gut ist. Seine Mannschaft war im Angriff deutlich schwerer zu verteidigen. Wo sich Gegner bisher nur auf Flanken in den Strafraum einstellen mussten, besteht nun Gefahr am Boden.
Das erfordert eine engere Deckung der Flügelspieler, die wiederum Räume in der Mitte öffnet. "Die Mannschaft hat vieles von dem umgesetzt, was ich von ihr will", analysierte Bjelica zufrieden. Nur eines gefiel ihm nicht: Die Spieler hätten noch häufiger über die rechte Seite spielen können. "Da waren viele Räume".
So wie die Räume auf der rechten Seite hat Bjelica auch einige Probleme der Mannschaft erkannt. Exemplarisch dafür stehen die Sommerneuzugänge Kevin Volland und Robin Gosens, die gegen Mönchengladbach auf Positionen spielten, die zu ihnen passen.
Volland spielte als hängende Spitze hinter Kevin Behrens, konnte sich so in den Halbräumen der Zentrale bewegen und schuf immer wieder Anspielstationen in der Mitte – einer der Gründe, warum das Kombinationsspiel dieser Union-Mannschaft flüssiger aussah als man das seit langer Zeit in Köpenick kannte. So ist er endlich die erhoffte Verstärkung für Union.
Das gilt auch für Gosens, dessen Defensivschwächen im linken Mittelfeld weniger ins Gewicht fallen. Außerdem ist es dort nicht so schlimm, dass sein Passspiel so aussieht, als würde jemand auf der PlayStation bei jedem Pass das Dreieck statt dem X drücken: Gosens spielt selten den sicheren Ball, der im Videospiel auf X liegt. Seine Pässe sind immer riskant und steil nach vorne wie mit dem Dreieck.
Als Defensivspieler ist das ein Unsicherheitsfaktor. In der Offensive wird Gosens so zu einer ständigen Gefahr für den Gegner.
Auch die eingewechselten Neuzugänge Brenden Aaronson und Mikkel Kaufmann glänzten mit guten Dribblings. Häufig wurde die Transferphase als Grund für Unions Negativserie ausgemacht. Selbst wenn das stimmen sollte, ist es höchstens die halbe Wahrheit. Der andere Teil geht so: Unions erklärtes Ziel im Sommer war es, das Team spielerisch weiterzuentwickeln. Der Sieg gegen Gladbach hat bewiesen, dass das mit den Spielern im Kader möglich ist.
Man habe wieder "Union-like" gespielt, sagte Kapitän Rani Khedira und meinte den Einsatz und die Aggressivität der Mannschaft. Vielleicht wird dieses "Union-like" in Zukunft um eine weitere Facette ergänzt. Nenad Bjelica will dominanten Fußball spielen. Nach dem Sieg gegen Gladbach kennt jeder in der Liga den Bjelica-Ball.
Sendung: rbb24 Inforadio, 09.12.2023, 19:15 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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