Mit einem 0:0 gegen den Tabellenletzten hat sich Hertha BSC in die Winterpause verabschiedet. Der enttäuschende Heimauftritt offenbarte vor allem die großen Offensivprobleme, die die Berliner ohne Flügelstar Fabian Reese haben. Von Lukas Witte
Reese - dieser Name steht bei Hertha BSC für Kampfgeist, Torgefahr, feine Dribblings, Siege in der Liga und große Momente im DFB-Pokal. Doch wenn man nur einen Buchstaben verändert, wird das Erfolgswort plötzlich zur Nullnummer. Denn wer vom Berliner oder der Berlinerin als Neese bezeichnet wird, der hat laut Duden das Nachsehen oder geht leer aus. Ein Wort, das perfekt die Offensivleistung Herthas ohne Flügelstar Fabian Reese im Spiel gegen Osnabrück beschreibt.
Hertha BSC hat es verpasst, den Anschluss an die Tabellenspitze der Zweiten Liga herzustellen. Gegen das Tabellenschlusslicht VfL Osnabrück kamen die Berliner nicht über ein torloses Remis hinaus.
Instagram-Story statt Angriffsfußball
Eigentlich war am Samstag im Olympiastadion alles für einen perfekten Abschluss der Hinrunde angerichtet: 43.650 Zuschauer, zu Gast war der Tabellenletzte, der seit September in der Liga nicht mehr gewonnen hat. Hertha hatte hingegen zuletzt gleich drei Siege innerhalb einer Woche gefeiert, unter anderem der spektakuläre Erfolg im Elfmeterschießen gegen den HSV im Achtelfinale des DFB-Pokals. Viel besser hätten die Vorzeichen also nicht stehen können.
Doch kurz vor dem Anpfiff kam die Hiobsbotschaft: Statt verbeugend vor der Ostkurve wendet sich Fabian Reese mit müdem Blick in die Kamera seines Smartphones per Instagram-Story an die Hertha-Fans. "Mich hat´s erwischt", schreibt der 26-Jährige. Wie gefühlt die halbe Stadt hat sich auch der Angreifer einen Erkältungs-Infekt eingefangen und konnte sein Team gegen Osnabrück nur vom heimischen Sofa aus unterstützen.
Einen Reese kann man nicht ersetzen
Von dort musste er beobachten, wie seine Kollegen mit Mühe und Not 0:0 gegen den Tabellenletzten spielten. Keine schnellen Flankenläufe, keine gewonnenen 1:1-Situationen und keine Ecken, getarnt als Einwürfe – die Partie zeigte eindrücklich, wie abhängig die Berliner Offensive von Reese ist. Und das gegen eine Mannschaft, die derzeit wohl die wackligste Defensive der Liga hat und bereits 38 Gegentore kassierte. Noch nie spielten die Niedersachsen in dieser Saison zu Null – bis zu ihrer Reise ins Olympiastadion am Samstag.
Denn dort war von den Offensiv-Qualitäten, die Hertha noch beim Kantersieg gegen Elversberg, dem Pokalfight gegen den HSV und dem Comeback gegen Kaiserslautern zeigte, plötzlich nichts mehr zu sehen. Kein Wunder, schließlich fehlte mit Reese der Mann, der in Herthas Hinrunde an mehr als einem Drittel der 33 Tore seiner Mannschaft beteiligt war (4 Tore, 9 Vorlagen). "Jeder kennt die Qualität von Fabi. Er ist einer der besten, wenn nicht sogar der beste Spieler der 2. Liga. Ihn zu ersetzen, bekommt man nicht hin, das haben wir heute gemerkt", musste sich Kapitän Toni Leistner nach dem enttäuschenden Remis eingestehen.
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Es fehlt an Kreativität
Trainer Pal Dardai hatte es natürlich trotzdem versucht. Auf den Flügeln starteten die jungen Derry Scherhant und Gustav Christensen und gaben ihr Bestes, um zumindest für einen Bruchteil der Torgefahr zu sorgen, die sonst von Reese ausgeht. Beide Ersatzspieler haben eigentlich die Fähigkeit, einen Gegner im Eins-gegen-eins auch mal zu schlagen.
Das zeigte Scherhant bei der wohl größten Chance des Spiels kurz vor der Halbzeit. Der 21-Jährige tanzte mit einem sehenswerten Solo drei Gegenspieler aus, sein enttäuschender Abschluss stellte den Osnabrücker Keeper Philipp Kühn aber vor keine wirkliche Aufgabe. Der erkrankte Reese hätte diesen Ball hingegen wahrscheinlich im Schlaf verwandelt.
Sowohl Scherhant als auch Christensen haben eben beide (noch) nicht die Fähigkeiten, den Unterschied auszumachen. Erst recht nicht, wenn sie ihre Dribbelstärke gar nicht ausnutzen können, weil sie zu selten am Ball sind. Denn Hertha fehlt es völlig an Kreativität nach vorne. Gerade die Sechser wissen im Aufbauspiel kaum etwas mit dem Ball anzufangen und es scheint fast zufällig, wenn sich doch einmal eine gefährliche Situation entwickelt. "Heute war einfach nicht mehr drin. Da muss man nicht drumherum reden. Physisch, Konzentration, Ballzirkulation – das alles hat gefehlt. Das war einfach nicht gut", analysierte der Trainer den enttäuschenden Auftritt seiner Mannschaft am Samstag.
Mit Ibu Maza, Jeremy Dudziak und Palko und Bence Dardai fehlen außerdem einige langzeitverletzte Spieler, die vor allem im Zehnerraum für mehr Kreativität sorgen könnten, auch wenn sie einen fehlenden Reese natürlich nicht völlig ersetzen könnten.
Es braucht einen Plan B
Es sind große offensive Defizit, die schon lange bekannt sind, über welche Reese aber zuletzt mit seiner starken Einzelleistung hinweggetäuscht hatte. Denn der Zweitliga-Ausnahmeangreifer kann aus fast jeder Position auf dem Spielfeld einen gefährlichen Angriff starten. Wie kein Zweiter im Team kann er den Ball über weite Distanzen nach vorne schleppen und bindet dabei häufig gleich mehrere Gegenspieler. So entstehen dann auch größere Räume für seine Kollegen, die er immer wieder in Szene setzt.
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Ohne ihn geht nach vorne jedoch nichts, das zeigte vor dem 0:0 gegen Osnabrück bereits die erste Hälfte in Kaiserslautern. Erst mit der Einwechslung Reeses kamen die Berliner dort zu Offensivaktionen und konnten das Spiel drehen. Auch der Pokal-Traum wäre gegen HSV wohl geplatzt, wenn der gebürtige Kieler Hertha nicht zurück ins Spiel gebracht hätte.
Diese Abhängigkeit von nur einem Spieler kann Hertha schnell zum Verhängnis werden, wenn Reese wie gegen Osnabrück ausfällt. Die Winterpause kommt also zum richtigen Zeitpunkt. Der Flügelstar kann sich ausreichend erholen und Trainer Dardai hat Zeit, um auch einen Plan B für offensive Kreativität zu entwickeln. Und zumindest Dudziak wird wohl rechtzeitig zum Rückrundenstart wieder fit sein und könnte Teil dieser Überlegungen sein. Bis dahin bleibt Hertha ohne Reese aber Neese.