Analyse | Befreiungsschlag vor den Feiertagen
Union Berlin hat das Fußballjahr versöhnlich beendet. Dass es gegen den 1. FC Köln zu einem Sieg reichte, zeichnete sich dabei lange Zeit nicht ab. Und hatte viel mit dem Gegner zu tun. Von Ilja Behnisch
Nenad Bjelica war außer sich. Sechs Minuten Nachspielzeit hatten Florian Lechner, der vierte Offizielle der Partie zwischen dem 1. FC Union und dem 1. FC Köln, soeben angezeigt. Viel zu viel, befand Berlins Trainer und tobte auf. Zumindest den neutralen Zuschauern dieser Begegnung dürfte er damit aus der Wahrnehmung gesprochen haben. Denn auch wenn schwerlich zu sagen ist, wann ein Fußball-Spiel ein schönes ist - dieses war es ganz sicher nicht.
"Ich erwarte Zweikämpfe, Emotionen und Laufbereitschaft", hatte Kölns Trainer Steffen Baumgart vor der Partie noch gesagt. Von Fußball war dabei keine Rede und wenn man es positiv wenden will, darf man attestieren: Baumgart erreicht seine Mannschaft noch.
Und weil vom "aktiven und dominanten" Spiel, das Unions Bjelica vor nicht einmal einem Monat bei seinem Amtsantritt versprochen hatte, zunächst ungefähr so viel zu sehen war an diesem Abend wie von der Sonne über Köpenick, entwickelte sich die Paarung für den von Vereinszugehörigkeiten befreiten Beobachter schnell zum Härtetest. Womöglich wollten die Teams sich aber auch nur solidarisch zeigen mit ihren Anhängern, die aus Protest gegen den geplanten Einstieg eines strategischen Partners in die DFL abermals zwölf Minuten stumm hielten.
Köln also führte mehrheitlich den Ball, während Union sich in seinem 4-3-3 zunächst erst ab der Mittellinie bereit machte, eine Verteidigung zu errichten. Meist genügte dabei allerdings bloße Berliner Anwesenheit. Zu überschaubar war der Vortrag der Rheinländer. Viele Pässe verkümmerten als Absichtserklärung oder schämten sich direkt ins Aus. Nicht wenige Ballannahmen riefen spontanes Mitleid hervor. So mutete es von Minute zu Minute seltsamer an, wie abwartend Union agierte. Es war, als hätte man in einem Pistolen-Duell Angst vor einem Messer-Träger.
Erst nach etwa 20 gespielten Minuten wagten sich die Berliner ein wenig weiter vor und tatsächlich auch mit so etwas wie Überzeugung an eigenen Ballbesitz. Fortan präsentierte Union ein launiges Potpourri der Möglichkeiten. Hier mal ein situativ hohes Pressing, dort wieder eine tiefe und abwartende Staffelung. Hier mal eine schöne Seitenverlagerung, dort wieder der Versuch eines Kombinationsspiels mit dem Wand- und Ablagespieler Kevin Behrens. Allen Versuchen gemeinsam war, dass sie Stückwerk blieben. Häufig schien es, als hätten viele Spieler viele gute Ideen, aber selten einmal mehr als zwei von ihnen dieselbe.
Es kann ein Zeichen hoher, fußballerischer Qualität sein, wenn eine Mannschaft eben nicht nur für einen Spielstil steht. Real Madrid etwa ist allein qua Qualität seiner Akteure scheinbar immer in der Lage, zwischen den Welten verschiedener Spiel-Philosophien zu wechseln und somit kaum ausrechenbar. Bei Union Berlin hingegen regierte zumindest bis zur überraschenden Führung durch Benedict Hollerbach in der 55. Minute das Gefühl, die Mannschaft probiere aus lauter Verzweiflung über die verzwickte Lage einfach alles zugleich.
Weil aber auch die Kölner zunehmend verzweifelt wirkten über die eigene Leistung, entwickelte sich kurz vor der Halbzeit ein merkwürdig offenes, geradezu chaotisches Spiel. Zwei Mannschaften wie zwei Boxer. Die nicht mehr können und die bis gestern Abend noch Gewichtheber waren.
Dass Union dieses Spiel dennoch gewann und Weihnachten tatsächlich nicht einmal auf dem Relegationsplatz verbringt, sondern mit gemütlichen drei Punkten Vorsprung auf Rang 15, lag am exquisiten Torabschluss von Hollerbach und an der Kölner Abwehr. Die in dieser 55. Minute so wirkte wie ein ehedem schlecht geführter DDR-Konsum. Wenig im Regal und das bisschen, was da ist, weit voneinander entfernt. Dass Hollerbach kurz darauf für den defensiveren Alex Kral Platz machen musste, lag vermutlich nicht an seinem Cristiano-Ronaldo-Torjubel. Wäre als Grund aber auch angemessen gewesen.
Wenig später brachte Nenad Bjelica schließlich noch Leonardo Bonucci für Janik Haberer und damit die Dreierkette zurück an die Alte Försterei. Gegen zunehmend verzweifeltere Kölner hätte es aber vermutlich auch eine Schlangenlinie getan. Union verteidigte das Spiel mit nun sichtbar gestiegenem Selbstbewusstsein souverän über die Ziellinie und stellte zwar noch auf 2:0, vergab aber auch weitere, gute Möglichkeiten.
Es wäre auch absurd gewesen, hätte Union urplötzlich wieder die brutale Effizienz der goldenen Urs-Fischer-Jahre zurückerlangt. Unter dem Schweizer hatte die Mannschaft zu Beginn der Saison lange Zeit mehr als anständig gespielt und dennoch fortlaufend verloren. Dass es gegen Köln andersherum war, dürfte als Unioner Weihnachtsmärchen zunächst einmal genügen.
Sendung: rbb24, 20.12.2023, 22 Uhr
Artikel im mobilen Angebot lesen