Bundesliga
Oliver Ruhnert steht vor einem unruhigen Januar. Der Sport-Geschäftsführer muss beim 1. FC Union gleichzeitig den Kader verkleinern und neue Spieler holen, die in das System des neuen Trainers Nenad Bjelica passen. Von Till Oppermann
Manchmal ist Planung im Fußball nicht mehr als einfache Mathematik. Union Berlins Kader ist so ein Fall: Wenn aus drei Wettbewerben innerhalb weniger Monate nur noch einer wird, dann sind 28 Spieler plötzlich zu viele. Wenn Präsident Dirk Zingler also ankündigt, dass der Verein neu starten müsse, ist klar, dass er damit auch Abgänge im Januar meint.
"Wir werden Veränderungen im Kader erleben", kündigte Zingler im Weihnachtsinterview der Vereinsmedien [youtube.com] an. Genauso gut hätte er auch sagen können: "In der Rückrunde bleibt das Gras in der Alten Försterei grün" oder: "Die Hymne des 1. FC Union singt Nina Hagen".
Obwohl diese Analyse so offensichtlich ist, steht Sport-Geschäftsführer Oliver Ruhnert im Januar vor einer seiner kompliziertesten Aufgaben, seit er 2018 das Zepter bei Union übernahm. Nach einer schwachen Hinrunde mit zehn Niederlagen in 15 Bundesliga-Spielen stecken die Berliner knietief im Abstiegssumpf.
Zudem spielt der neue Trainer Nenad Bjelica bevorzugt ein 4-2-3-1-System, das andere Spielerprofile erfordert als Urs Fischers bewährtes 3-5-2, auf das der Kader nach wie vor ausgerichtet ist. Ruhnert muss im Januar also neue Qualität dazuholen und gleichzeitig die Mannschaft verkleinern. Manche Manager haben ganze Transfersommer weniger zu tun.
Immerhin hat Ruhnert Mitarbeiter, die klare Wünsche formulieren. Nenad Bjelica ist so einer. Der Trainer sagte vor dem letzten Spiel vor der Weihnachtspause: "Wir brauchen Spieler, die bereit sind, den Abstiegskampf anzunehmen", und gab mit seiner Aufstellung zumindest Hinweise darauf, wer das aktuell eher nicht sein könnte.
Mittelfeldspieler Lucas Tousart und Ex-Topscorer Sheraldo Becker fehlten beim letztlich befreienden 2:0 gegen den 1. FC Köln im Spieltagsaufgebot. Beide sind Kandidaten für einen Abgang. Insgesamt finden sich Unions Streichkandidaten vor allem in der Mitte des Feldes: Im neuen System muss Bjelica zwei neue Positionen auf den Außen besetzen, aber dafür fehlt Platz für jeweils einen Innenverteidiger und einen zentralen Mittelfeldspieler.
Man habe Bjelica geholt, weil er eine klare Idee habe, wie er Spiele gewinnen will, erklärte Zingler. Ein wichtiger Teil dieser Idee: Union soll sich über die Außenbahnen Torchancen erspielen. Aber ausgerechnet dort musste Bjelica vor Weihnachten kreativ werden, um sein System überhaupt mit dem aktuellen Kader spielen zu können.
Das gelang ganz gut: Sommerneuzugang Benedict Hollerbach, der bis dahin nur eine Nebenrolle spielte, durfte auf der rechten Seite spielen und überzeugte mit zwei Toren und vielen erfolgreichen Eins-gegen-Eins-Dribblings. Auf der linken Seite wurde Robin Gosens von seinen Defensivaufgaben als Flügelverteidiger weitgehend entbunden und konnte seinen Offensivdrang voll ausleben.
Doch Alternativen für sie gibt es kaum. Brenden Aaronson spielte unter Bjelica noch keine besonders große Rolle. Kevin Volland wird als hängende Spitze gebraucht, Becker, der auf beiden Außenbahnen spielen kann, soll verkauft werden. Höchste Priorität für Ruhnert ist es also, mindestens einen Spieler für den Flügel zu verpflichten, der Hollerbach und Gosens Konkurrenz macht.
Damit das Spiel über die Außen verlässlich funktioniert, ist ein weiterer Transfer nötig: Nach Gosens Umschulung zum linken Mittelfeldspieler hat sich in der Defensive eine Lücke aufgetan. Union braucht einen neuen Linksverteidiger, der Jerome Roussillon entlastet. Als dieser gegen Köln angeschlagen ausgewechselt werden musste, kam Rechtsverteidiger Christopher Trimmel links hinten in die Partie. Den plant Bjelica aber eigentlich als Back-up für Josip Juranovic auf der anderen Seite ein.
"Wir werden alle unsere Kraft darauf verwenden, die Klasse zu halten", sagte Zingler in seinem Weihnachtsinterview. Damit spielt er sicherlich auch darauf an, dass Union dazu bereit ist, nach den großen Investitionen im Sommer auch im Winter nochmal in den Kader zu investieren.
Auch weil Nationalmannschafts-Debütant Kevin Behrens seit August kein Tor mehr gelang, halten sich Gerüchte, dass Union einen weiteren Mittelstürmer sucht. Trotzdem hängt alles, was über die Transfers hinausgeht, die zwingend nötig sind, um Bjelica ausreichend Spieler für sein System zu geben, auch davon ab, wer im Winter geht - und wie viele.
Union hat viele Spieler, die mit einer anderen Erwartung nach Köpenick kamen, als gegen den Abstieg zu spielen. Wächst die Trainingsgruppe noch weiter, wird die Chance auf Einsatzzeit für alle Reservisten kleiner.
In der Regel reagieren Fußballer auf fehlende Spielzeit mit Unzufriedenheit, die sich eine Mannschaft im Abstiegskampf nicht erlauben kann. Unions rasante Entwicklung brachte in den letzten Jahren viel Fluktuation in der Mannschaft mit sich. Einiges spricht dafür, dass sich Ruhnert in dieser Hinsicht im Winter nochmal selbst übertrifft.
Aber Obacht: Eine Erfahrung aus dem Sommer zeigt, wie schwierig es sein kann, Spieler, die man abgeben will, auch loszuwerden. Sheraldo Becker stand damals auch schon vor dem Absprung, so sehr, dass er zeitweise sogar im Training geschont wurde. Am Ende kam kein Transfer zustande und der sicher geglaubte Abgang war weiter bei Union.
Aber damals spielte man ja auch noch in drei Wettbewerben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.12.2023, 15:15 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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