Frauen im Männer-Fußball
Das EM-Finale der Frauen-Nationalmannschaft war 2022 das meistgesehene TV-Event in Deutschland. Auch das Interesse an der Bundesliga steigt. Im Männer-Fußball sind Frauen trotzdem unterrepräsentiert. Doch so langsam tut sich etwas. Von Ilja Behnisch
Beginnen wir mit einem Selbstversuch: Können Sie sich vorstellen, dass die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, also die der Männer, von einer Frau trainiert wird? Und falls nein: Warum nicht? Woran liegt es, dass Deutschland zwar 16 Jahre lang von einer Kanzlerin regiert werden konnte, eine Bundestrainerin aber ziemlich undenkbar scheint?
Denn es gäbe sie natürlich, die Kandidatinnen, die über die Ausbildung, Lizenzen und Erfahrung verfügen. Doch eher besteht eine Nationalmannschaft ausschließlich aus Hertha-Spielern, als dass Deutschlands liebstes Kind selbst mittelfristig von einer Frau angeleitet wird. Auch wenn der Fußball inzwischen bei der ersten Co-Trainerin in Bundesliga und Champions League angekommen ist. Marie-Louise Eta heißt die Pionierin, die bei Fußball-Bundesligist Union Berlin und nach dem Ausscheiden von Wunder-Trainer Urs Fischer zunächst interimsweise aus der U19 des Vereins hochgezogen wurde und nun vorerst bleiben soll.
Geräuschlos ging diese Personalie freilich nicht vonstatten. Kein Wunder bei so einer historischen Premiere, könnte man meinen. Aber es blieb nicht beim rein Faktischen. Es gab längst nicht nur positive Reaktionen. So äußerte sich etwa der Spieler-Berater Maik Barthel, vor allem für seine frühere Mandantschaft von Robert Lewandowski bekannt, auf dem Kurznachrichtendienst X: "Ein Co-Trainer muss ja auch mal in die Kabine der Mannschaft? Bitte nicht noch den deutschen Fußball der Lächerlichkeit preisgeben."
Mittlerweile hat Barthel, dem daraufhin unter anderem der deutsche Nationalspieler Kevin Schade die weitere Zusammenarbeit aufkündigte, zwar sein Bedauern ausgedrückt und seinen Tweet als "total misslungen" bewertet. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Barthel in der Vergangenheit bereits mehrfach mit ähnlich lautende Äußerungen auffällig geworden ist. Es sind überhaupt alt bekannte Narrative, die auch bei der Berufung Marie-Louise Etas wieder hervorgeholt wurden und die auf ein strukturelles Problem schließen lassen.
2014 etwa war halb Fußball-Frankreich in Aufruhr, als mit Corinne Diacre eine Frau den Zweitligisten Clermont Foot übernahm. Die Antwort der französischen Rekord-Nationalspielerin, die ein Jahr drauf zum Zweitliga-Trainer des Jahres gekürt wurde: "Es ist klar, dass ich nicht gerade in die Umkleide-Kabine gehe, wenn sich die Spieler umziehen. Aber ganz ehrlich – es gibt so viele Männer, die Frauen-Teams trainieren, da ist das auch nie ein großes Thema gewesen. Warum sollte es das bei uns sein?" Und tatsächlich, in der laufenden Bundesliga-Saison der Frauen wird nur der SC Freiburg von einer Frau trainiert. Von Kabinen-Problemen durch Herren-Trainer ist eher selten die Rede. Oder besser gesagt: nie.
Für Helen Breit, Mitbegründerin der Initiative "Fußball kann mehr", die sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit einsetzt, liegt auf der Hand, was eigentlich gemeint sei: "Lasst uns bitte ein Männerklub bleiben."
Fußball, so Breit, "ist einfach eine sehr, sehr krasse Männer-Domäne, die im Durchschnitt nicht davon geprägt ist, sich Gedanken zu machen, wie man diverser wird". Es sei nie antizipiert worden, "dass das wichtig ist". In der freien Wirtschaft ist das längst anders. Junge, gut ausgebildete und somit begehrte Arbeitskräfte bevorzugen divers aufgestellte Unternehmen. Studien unterstreichen zudem, dass Firmen mit einem höherem Maß an Gleichstellung produktiver, innovativer und rentabler sind [wirtschaft-entwicklung.de].
Dass es Veränderungen bedarf, haben zumindest auf dem Papier auch die Verbände erkannt. "Frauen im Fußball" heißt eines der Projekte des Deutschen Fußballbundes (DFB) [dfb.de]. Demnach sollen es bis 2027 mehr aktive Spielerinnen, Trainerinnen und Schiedsrichterinnen sein (plus 25 Prozent). Auch sollen mindestens 30 Prozent Frauenanteil in den DFB-Gremien (derzeit knapp unter 21 Prozent), im Hauptamt (ebenfalls derzeit knapp unter 21 Prozent) und in den Kommissionen (derzeit unter 15 Prozent) erreicht werden. Was nicht nur in der Broschüre zum Projekt eher wolkig formuliert ist, ist der Weg dorthin. "Das ist genauso schleierhaft geblieben wie zu Beginn", sagt die Fan-Aktivistin Breit.
In den Landesverbänden sieht man das naturgemäß nicht ganz so kritisch. Zufriedenheit herrscht aber auch hier nicht vor. "Es fällt immer wieder auf, dass Frauen unterrepräsentiert sind", sagt Anne Engel, seit sechs Jahren Geschäftsführerin des Brandenburger Fußball-Verbandes. Bis Anfang Oktober war sie die einzige Geschäftsführerin eines deutschen Landesverbandes. Und "natürlich" habe sie am Anfang gespürt, "dass die genauer gucken". Die: die Männer.
Warum Frauen im Fußball noch immer kaum eine Rolle spielen, fragt auch sie sich. Ein Grund sei sicher der Faktor Zeit. "Spätestens wenn es um die Familien-Planung geht, ist die Frau naturgemäß einfach anders involviert", so Engel. Dann sagt sie: "Fußball ist nach wie vor eine Männer-Domäne, aber grundsätzlich ist man, glaube ich, offener geworden."
Auch Christine Lehmann, stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Mädchen- und Frauenfußball beim Berliner Fußballverband (BFV), sagt: "Diese über lange, lange Jahre hinweg entstandenen Netzwerke der Männer, da kommen wir nicht rein." Dabei würde der Fußball "ohne die Frauen im Hintergrund überhaupt nicht funktionieren", die "ganzen führenden Positionen aber sind mit Männern besetzt".
Immerhin hat sich der BFV in seiner Satzung selbst auferlegt, dass mindestens ein Drittel aller Ausschuss-Mitglieder Frauen sein sollten. Mit Betonung auf: sollten. Die Realität ist zumeist ein andere. Wenn neue Posten besetzt werden, heiße es von Männern oft, "ich kenn’ da jemanden", so Lehmann. Im elfköpfigen Ausschuss für Mädchen- und Frauenfußball des Berliner Fußballverbandes sind übrigens lediglich drei Männer vertreten.
Ein Phänomen, das auch außerhalb der Verbände zu beobachten ist. Katharina Dahme, Vorstandsvorsitzende des Fußball-Regionalligisten Babelsberg 03, sagt: "Frauen sind häufig für die Bereiche im Verein zuständig, die nicht direkt mit dem Leistungssport zu tun haben." Auch Dahme spricht von Männer-Netzwerken und davon, dass die Vereine und Verbände sich nicht zuständig fühlen, Frauen gezielt zu fördern: "Ich kenne das aus Parteien und Organisationen anders, da gibt es mittlerweile ein Verständnis von divers besetzten Gremien und auch ein Bemühen darum. Das gibt es im Fußball so noch nicht."
In Babelsberg sei man derzeit gut aufgestellt, dem siebenköpfigen Vorstand gehören gleich drei Frauen an. "Wenn da jetzt welche aufhören, gibt es aber nicht ohne weiteres auch Nachfolgerinnen", so Dahme. Besonders die Verbände müssten dabei mit positivem Vorbild vorangehen.
Eine Quote könnte helfen. "Zur Überbrückung", wie Dahme sagt. Es müsse "im Sport keine 50-Prozent-Quote sein", aber "mit 20 oder 30 Prozent könnte man ja mal anfangen". Auch Helen Breit hält eine Quote "für unabdingbar. Das Gegenargument 'Wir schaffen das aus eigener Kraft' hat der Fußball in den letzten 20 Jahren nachhaltig entkräftet".
Man müsse, so Breit, "über den Status hinauskommen, dass Frauen auf herausgehobenen Positionen im Fußball Exotinnen sind". Dem beliebten Argument, eine Quote unterlaufe das Leistungsprinzip, kann Breit nichts abgewinnen. Derzeit würden Frauen nicht wegen fehlender Leistungsfähigkeit, sondern wegen ihres Geschlechts ausgeschlossen. Und überhaupt: "Es gibt genug Männer, die aufgrund des Leistungsprinzip ausgetauscht werden könnten."
Womit wir wieder bei Nationalmannschaft der Herren wären. Aber das ist dann vielleicht doch noch ein anderes Thema.
Sendung: rbb24, 2.12.2023, 18 Uhr
Beitrag von Ilja Behnisch
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