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Vor Euroleague-Derby gegen Bayern
Alba Berlin erlebt die schwierigste Saison seit Jahren. Nach titelreichen Spielzeiten sind die Berliner aktuell im Umbruch. Fehlendes Verständnis, fehlende Spielelemente und fehlende Konstanz sind dabei nur einige der Gründe. Von Jakob Lobach
Eine gut gefüllte Mercedes-Benz-Arena, die wohlige Erinnerung an vergangene Finalsiege, das stets etwas kribbelige Gefühl gegen den Erzrivalen anzutreten - es gibt viele Gründe für die Spieler und Fans von Alba Berlin sich auf ihr Euroleague-Heimspiel gegen den FC Bayern München am Donnerstagabend (20 Uhr) zu freuen. Und doch dürften sie dem Derby auf europäischem Parkett etwas sorgenvoller, vielleicht sogar mit einem leicht mulmigen Gefühl im Bauch entgegenblicken.
Denn spätestens mit dieser Saison hat sich das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Rivalen verschoben. Nach Jahren auf sportlicher Augenhöhe haben aktuell die Bayern klar die Nase vorne. Während sie mit großem Budget und großen Namen im Team in der Euroleague um die Playoffs kämpfen, spielt Alba dort aktuell eher um den vorletzten Platz. Für die Berliner läuft es diese Saison alles andere als rund - und das nicht nur mit Blick auf die Tabelle. Was steckt dahinter? Ein Erklärungsversuch in fünf Akten:
Bereits im vergangenen Sommer hatte sich angedeutet, dass die nun laufende Saison keine einfache werden würde. Kapitän und Organisator Luke Sikma, die tanzenden und sicher werfenden Maodo Lo und Jaleen Smith und der defensivstarke Ben Lammers verließen den Klub. Ein halbes Jahr später ist die Vorahnung ernüchternde Realität: Bislang hat Alba diese Abgänge kaum kompensieren können. Mit ihnen ist zudem mehr verloren gegangen als die individuellen Qualitäten einzelner Spieler.
So wussten Luke Sikma, Maodo Lo und Co. insbesondere zu den titelreichen Hochzeiten von Ex-Trainer Aito Garcia Reneses, aber auch in der Debütsaison von Nachfolger Israel Gonzalez (2021/22) exakt, wie, wann und wo sie ihre Stärken ins Alba-Spiel einbringen können und müssen. Laufwege, gestellte Blöcke, das Timing beim Pick & Roll, defensive Rotationen - in der Vorsaison war das Spiel der Berliner von einem über Jahre gewachsenen Verständnis füreinander geprägt.
Nach dem Umbruch müssen Albas Akteure sich das neu erarbeiten. Dass dieser Prozess Zeit braucht war zwar absehbar, wiegt dennoch schwer.
Albas Mannschaft würde sich aber wohl auch dann schwertun, wenn sie bereits bestmöglich eingespielt und im eigenen System angekommen wäre. Das zeigt vor allem der Blick unter den Korb. Lässt man den derzeit überragenden Johannes Thiemann außen vor, so fällt auf: Gerade in der Euroleague ist Alba dort mitunter kaum konkurrenzfähig.
Nach dem Abgang von Ben Lammers ist Khalifa Koumadje aktuell Albas einziger Center internationalen Formats. Mit 2,21 Meter Körpergröße und seinen krakenartigen Armen verändert der 27-Jährige zwar weiterhin viele gegnerische Würfe und dunkt vorne kraftvoll. Die Rolle, die man ihm bei Alba zugedacht hat, kann er insgesamt aber zu selten ausfüllen. Koumadje foult unnötig oft und stößt in seinem Offensivspiel immer wieder an seine Grenzen.
Zudem hat Alba in dieser Saison keine Spieler, die zuverlässig und auch aus der Not heraus selbst punkten können. Maodo Lo oder Jaleen Smith hatten eine kreative Durchschlagskraft, die nun fehlt. Zwar erarbeitet sich Johannes Thiemann unzählige Punkte am Zonenrand und auch der NBA-erfahrene Sterling Brown wird offensiv immer besser. Insgesamt fehlt es Alba dennoch an Spielern, die offensiv auch in schwierigen Phasen zuverlässig das Zepter übernehmen können.
Überhaupt ist es mit der Zuverlässigkeit bei Alba aktuell so eine Sache. Statt - wie in den Jahren zuvor - zuverlässig abzuliefern, präsentiert sich die Mannschaft unkonstant. Und das in der Euroleague und in der Bundesliga. Immer wieder wechselten sich bei Alba zuletzt sehr starke Phasen mit solchen ab, in denen den Berlinern nahezu nichts gelang.
Genau in diesen eklatanten Schwächephasen wird mehr denn je sichtbar, wie viel Erfahrung dem Team im Sommer abhanden gekommen ist. Es fällt dann auf, dass Spieler wie Tim Schneider und Malte Delow neue und größere Rollen füllen muss, dass Wurfspezialist Matt Thomas erstmals Anführer eines Euroleague-Teams sein soll und dass die Aufbauspieler Matteo Spagnolo und Ziga Samar gar ihre erste Saison in diesem Wettbewerb spielen.
Der 22-jährige Samar hatte bis zu seiner Fußverletzung im November spürbar mit dem neuen System und Niveau bei Alba und in der Euroleague zu kämpfen. Der 21-jährige Spagnolo zeigte sich bislang wechselhaft in seinen Leistungen. Einerseits blitzt das gute Auge und das große offensive Potenzial des Italieners in Albas Spielen immer wieder auf. Andererseits zeigt sich immer wieder, dass die Rolle des Chef-Organisators einer Euroleague-Mannschaft für Spagnolo zu früh kommt. Sie verlangt von ihm eine Abgeklärtheit und eine Konstanz, die er aktuell schlichtweg noch gar nicht haben kann.
So musste sich zuletzt auch jemand Kritik gefallen lassen, der in den vergangenen Jahren über alle Zweifel erhaben war: Sportdirektor Himar Ojeda. Seitdem der Spanier 2016 zu Alba kam, hat er fast alles richtig gemacht. Er lotste Trainerlegende Aito nach Berlin und verpflichtete unzählige, oft junge und unbekannte Spieler, die bei den Berlinern anschließend brillierten.
Im vergangenen Sommer hat Ojeda zum ersten Mal einige Personalentscheidungen getroffen, die im Nachhinein Anlass zu Kritik geben. Er machte zum Beispiel Koumadje mit einem wohl deutlich besser dotierten Vertrag zur ersten Center-Option. Er verpflichtete den bis dato sehr blassen Justin Bean. Und er traf eben auch die Entscheidung, nach der sommerlichen Absage von Maodo Lo mit den jungen Samar und Spagnolo als einzige Point Guards in die Saison zu starten.
Die vergangenen Monate haben gezeigt, wie risikoreich vor allem diese Entscheidung auf der Spielmacher-Position war. Ojeda hat jüngst reagiert und Martin Hermannsonn zurück nach Berlin geholt. Der Isländer dürfte Albas Bedarf im Scoring und im Aufbauspiel zwar nicht im Alleingang decken, ihn aber zumindest etwas minimieren.
Bleibt noch ein Grund für Albas komplizierte Saison, der außerhalb Berlins gesucht werden muss. In der Euroleague hängt Albas aktuelle Bilanz von vier Siegen und 17 Niederlagen auch damit zusammen, dass nahezu alle anderen europäischen Top-Klubs zur sportlichen Attacke auf die Playoffs oder gar den Titel geblasen haben. Mittel zum Zweck sind dabei noch größere Budgets.
Alba wiederum muss vom gleichgebliebenen Etat seit dieser Saison dem Vernehmen nach ungleich mehr Geld für die Hallenmiete abführen. Auch das ist ein Teil der Erklärung dafür, dass die Abgänge des Sommers nicht adäquat ersetzt werden konnten.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.01.2023, 07:15 Uhr
Beitrag von Jakob Lobach
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