Berlin und Brandenburg
Die Fernsehübertragungen boomen: Immer mehr Menschen schauen gerne Darts. Auch in Berlin und Brandenburg gibt es viele leidenschaftliche Spieler. Damit der Sport weiter wachsen kann, sollten sich die Strukturen entwickeln. Von Till Oppermann
Wer zum Herz des Berliner Dart-Sports vordringen will, muss zuerst an Keksen vorbei. Die unscheinbare Eingangstür des Dart-Palasts Berlin in Wittenau liegt direkt neben dem Eingang zum Werksverkauf einer Keksproduktion. Wer trotzdem den richtigen Weg findet und durch die schmale Eisentür in den Dart-Palast tritt, steht sofort mitten im Geschehen.
Konzentrierte Männer werfen ihre Pfeile auf die zehn Scheiben in einem länglichen Raum. Es wird kaum gesprochen. Manche der Spieler tragen sogar Kopfhörer, um beim Wurf die Welt um sich herum zu vergessen.
In wenigen Minuten beginnt der KoJo-Cup. An jedem zweiten Montag im Monat spielen sie hier um die Qualifikation zum Finalturnier im Dezember. Wer übers Jahr zu den besten 32 Spielern gehört, darf dann teilnehmen. "Heute haben wir vom Bundesligaspieler bis zum Anfänger alles dabei", sagt Sylvia.
Sie betreibt den Dart-Palast, ist die Ausrichterin des Turniers und wenn zwischendurch noch kurz Zeit ist, hilft sie auch beim Getränkeverkauf. Sie kennt so gut wie jeden, der den Dart-Sport in Berlin ernst nimmt. Ihr Dart-Palast ist gleichzeitig die Residenz des Berliner Verbands – zumindest finden hier in Wittenau viele der offiziellen Spiele statt.
Sabine Balz ist die Präsidentin dieses Verbands. Sie hat es an diesem Montag nicht in den Palast geschafft. Ihr Mann spiele zwar bei dem Turnier mit, sagt sie am Telefon, aber heute habe sie andere Termine. Und vielleicht ist ihre Pause auch besser so, schließlich ist die Chefin des Dartverbands Berlin (DVB) sonst ziemlich häufig im Dart-Palast.
"Am Dienstag spielt die Landesliga, am Mittwoch die Oberliga und am Donnerstag die Bezirksliga", zählt sie die Berliner Ligen auf. Am Wochenende messen sich dann die beiden Bundesligisten Captains Berlin und Vikings Berlin.
Das organisierte Darts hat in Berlin eine lange Geschichte. Schon Anfang der 1980er-Jahre gab es erste Ligen. Alliierte Soldaten hatten den Sport in die Stadt gebracht. 1990 gründete sich dann der Landesverband.
Als Susanne Balz Anfang der 1990er-Jahre dazu kam, waren sie schon ungefähr 1.000 Spieler, erinnert sie sich. "Dann kam der E-Dartssport, der deutschlandweit betrieben wurde und dadurch sind uns unheimlich viele Mitglieder verloren gegangen", sagt Balz.
"Beim Steeldart ist die Problematik: Man kann kein Geld verdienen." Das sei beim E-Dart anders, erklärt Balz. Dort könne man als Team in den Ligen Preisgeld gewinnen. Deswegen hätten viele Spieler ihren Verband verlassen. Jetzt seien die Zahlen wieder stetig, so Balz. "Aber wir lagen irgendwann in den letzten zehn Jahren nur noch bei 350 Mitgliedern, das war schon echt wenig."
Diese Konkurrenz zwischen E-Dart und Steeldart kann man im Dart-Palast Berlin aus der Nähe betrachten. Er ist zweigeteilt: Im vorderen Teil werfen die Steeldarter ihre Metallpfeile mit ploppenden Geräuschen in die Scheiben. Im hinteren Teil stehen dafür Dartsautomaten. Wenn ein Spieler gewinnt, ertönt eine Melodie.
Weiter geht's. Darts ist ein schneller Sport. Ist ein Spiel verloren, bietet sich sofort eine neue Siegchance. Über ein Online-System können Spieler von Berlin aus gegen Gegner auf der ganzen Welt antreten. Teilweise geht es um tausende Euro.
Martin Schindler kritisiert das: "Ein großer Negativfaktor an Berlin ist das E-Dart". Der 27-Jährige war einer der ersten Deutschen Dartprofis, die es bei der PDC-Weltmeisterschaft im legendären Alexandra Palace bis in die dritte Runde schafften. Seinen Weg in die Weltspitze begann der gebürtige Strausberger bei einem Verein in Hellersdorf. Später spielte er für die Berlin Vikings in der Bundesliga.
"Ein guter Steeldarter wird zwangsweise ein guter E-Darter sein. Andersherum gilt das nicht", erklärt Schindler. Ein Grund dafür seien die unterschiedlichen Scheiben: Während ein E-Dart im Automaten immer gleich steckt, kommt es beim Steeldart auch auf Winkel und Wurfstärke an. "Wenn man Steeldart professionell betreiben will, sollte man vom E-Dart die Hände weglassen", rät Schindler jungen Spielern.
Schindler spielte schon als 16-Jähriger gegen Erwachsene. Später wurde er deutscher Meister bei den Junioren und im Herrenbereich und arbeitete parallel daran, sich in der Profiorganisation PDC zu etablieren.
Seit 2017 spielt er auf der Pro Tour. An den Wettbewerben des Deutschen Dartverbands nimmt der Profi heute nicht mehr teil. Trotzdem sagt Schindler: "Diese Anfänge, dass man sich mit anderen misst, waren ganz entscheidend." Gerade das Gefühl, in einer Mannschaft zu spielen, sei ein besonderer Druck, der ihm bei seiner Entwicklung geholfen habe.
Hätte der Strausberger Schindler sich keinen Verein in Berlin gesucht, hätte er diese Erfahrungen womöglich nie gemacht. Denn neben Sachsen-Anhalt ist Brandenburg das einzige Bundesland ohne einen eigenen Landesverband. Der Weg in die Bundesliga und zu den Ranglistenturnieren des DDV ist für Spieler aus der Mark also deutlich erschwert.
Mathias Lindner will das ändern. Weil er mit seiner Mannschaft aus Eisenhüttenstadt keine Gegner fand, gründete er vor vier Jahren die Freie Steeldartliga Brandenburg. Den Anfang machte eine Liga mit sieben Teams. Seitdem ist das Projekt rasant gewachsen. Mittlerweile spielen in seinen Ligen über 800 Spieler in 71 Mannschaften.
"Wir sind sogar größer als Berlin", zählt Lindner stolz. In Brandenburg boomt der Steeldartsport. Pläne für einen Brandenburger Landesverband im DDV lägen längst in seiner Schublade, sagt Lindner, aber: "Würden wir jetzt einen Verband gründen, würden wir viele Teams verlieren". Derzeit sind noch zu wenige Mannschaften in seiner Liga ein eingetragener Verein. Das wäre aber nötig, um Teil eines Verbandes zu werden.
Lindner arbeitet deshalb fieberhaft daran, seinen Teams dabei zu helfen, eigene Vereine zu gründen oder sich als Abteilungen in Bestehende einzugliedern. Diesen Weg sind auch die Dartfreunde Fürstenwalde gegangen.
Sie sind seit Dezember 2023 Teil der BSG Pneumant Fürstenwalde. Das habe sich angeboten, weil viele der Dartfreunde schon als Fußballer für Pneumant waren, erklärt Teammitglied David Heimann.
Während der Corona-Zeit begannen die Freunde damit, sich regelmäßig zum Darten zu treffen. Schon ihrer ersten Saison in der Freien Dartliga ist Heimann mit seiner Mannschaft fast aufgestiegen.
Dieses Jahr stehen die Dartfreunde nur im Mittelfeld. Die Arbeit an ihrem neuen Vereinsheim habe einfach zu viel Zeit gekostet, so Heimann. Für drei Monate trafen sie sich dienstags nicht zum Training, sondern arbeiteten an ihrem eigenen Dartstadion. "Wir haben neue Wände gezogen und Strom gelegt", erklärt er.
In den hellen Räumen einer alten Ingenieursschule im Fürstenwalder Süden haben sie sich ihren eigenen Dart-Palast geschaffen. An den Wänden hängen jetzt beleuchtete Dartscheiben.
Auf dem Boden wird der Abstand mit selbstgebauten Holzrahmen mit Filz-Bezug gemessen – natürlich alles streng nach Turniermaßen. Die Dartfreunde freuen sich schon auf die ersten Ligaspiele in der neuen Heimat. "Man lernt einfach einen Haufen Leute kennen, das macht Spaß", findet Heimann.
So geschehen beim letzten Auswärtsspiel der Dartfreunde in Forst. "Das hat untereinander super gepasst", sagt der grinsende Heimann. Sein Teamkollege Tommy ergänzt: "Man hat sich verstanden" und lacht vielsagend. Nach einem gemeinsamen Umtrunk waren sie erst um halb sechs Uhr morgens zurück in Fürstenwalde.
Fragt man Ligachef Lindner, ist es diese gesellschaftliche Komponente, die den Dartsport für viele Brandenburger so interessant macht. So müssten auf dem Land und in den Städten immer mehr Fußballvereine ihre Altherrenmannschaften abmelden, weiß Lindner. "Die Leute wollen aber weiter irgendein Sport und Vereinsleben haben."
Darts habe dabei einen großen Vorteil: "Es ist vollkommen egal, ob du alt, jung, dick, dünn, schlau, dumm bist, weiß, schwarz, gesund oder nicht: Es kann einfach jeder." Er kenne Orte in der Uckermark, da sei der Dartverein der Mittelpunkt, so Lindner. Und diese Entwicklung sei noch lange nicht zu Ende. "Wir hoffen ja, dass wir olympisch werden und dann brechen sowieso alle Dämme", orakelt er.
Der Weltverband WDF bemüht sich längst um eine Aufnahme ins olympische Programm. Seit 2018 erhält der Bundesverband DDV Sportförderung vom Innenministerium. Soll diese auch bei Athleten in Brandenburg ankommen, braucht es einen Landesverband.
Training allein reicht nämlich nicht, um das sportliche Niveau mittelfristig zu erhöhen - auch die Strukturen müssen wachsen, allein schon für die Jugendarbeit. Während in Berlin auch Kinder in Vereinen gegen Gleichaltrige spielen, geht das in Brandenburg noch nicht.
"Ich persönlich würde mich freuen, wenn wir einen Verband gründen", sagt deshalb auch David Heimann von den Dartfreunden Fürstenwalde. So könnte man dann vielleicht auch weiter aufsteigen und nicht nur in Brandenburg spielen.
"Das ist fernab von dem ganzen Klischee Kneipensport", sagt Mathias Lindner über den Spielbetrieb in seiner Freien Steeldartliga Brandenburg.
"Die sportliche Herausforderung steht heute deutlich mehr im Vordergrund", analysiert Profispieler Martin Schindler.
Wer sich im Dart-Palast Berlin umschaut, muss ihnen zustimmen. Bei den Steeldartern ist der Altersschnitt jünger als bei den E-Dartern.
Zwischen ihren Spielen im KoJo-Cup tauschen sich die Teilnehmer über ihre Wurfquoten und den erzielten Punktedurchschnitt aus.
Die Stimmung ist respektvoll, man kennt und schätzt sich. Verlieren will trotzdem niemand.
Die achtzig Teilnehmer sind gekommen, um sich zu messen und zwischen den Scheiben riecht es nicht nicht nach Bier und Zigaretten, sondern nach Schweiß. In dieser Hinsicht ist Darts schon jetzt ein Sport wie jeder andere.
Sendung: rbb24 Inforadio, 19.01.2024, 8:15 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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