Unions Heimsieg gegen Darmstadt
Nach dem Heimsieg gegen den SV Darmstadt befindet sich Fußball-Bundesligist Union Berlin auf dem besten Weg in Richtung Klassenerhalt. Warum die Mannschaft dabei an Bayern München erinnert und trotzdem Grund zur Sorge angebracht ist. Von Ilja Behnisch
Je länger sich der 1. FC Union im Spiel gegen den SV Darmstadt mühte, ein Tor zu erzielen, desto mehr konnte man an Thomas Tuchel und den FC Bayern München denken. Nicht etwa, weil Unions Trainer Nenad Bjelica nach dem Bayern-Spiel unter der Woche in einer Stadion-Loge Platz nehmen musste gegen die "Lilien". Gesperrt wegen seiner Unsportlichkeit gegen Münchens Leroy Sané. Sondern vielmehr, weil Thomas Tuchel noch in der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen die Unioner am Mittwoch einen bemerkenswerten Satz gesagt hatte: "Vielleicht ist die Gleichzahl die neue Überzahl."
Gäbe es Fußball-Theorie als Schulfach, wäre man auf allerhand interessante Aufsätze gespannt, die diese Aussage zu deuten versuchten. Gemeint war aber wohl so etwas die Verzweiflung darüber, selbst als FC Bayern München zunehmend Probleme zu bekommen gegen Mannschaften, die auf den Tagesordnungspunkten eins bis unendlich immer nur folgendes zu stehen haben: Gegentore verhindern. Denn es genügt ja selbst dem rekordigsten Rekordmeister kaum mehr, einfach nur durch geschicktes Passspiel nach jenen Räume zu fahnden, die groß und gelegen genug sind, um Torchancen zu kreieren.
Und weil der 1. FC Union Berlin gegen Darmstadt zwar haushoher Favorit war, aber trotzdem kein FC Bayern München ist, ergab sich ein eher zäher Vortrag von Bundesliga-Spiel. Die Berliner dominierten das Spielgeschehen, ohne jedoch zu klaren Torchancen zu kommen. Die beste hatte dabei noch Benedict Hollerbach nach feinem Steckpass von Bartol Franjic - einem Darmstädter, der demnach hoffentlich aus Versehen handelte.
Immer wieder schoben sich die Gastgeber passend bis tief in die gegnerische Hälfte, nur um dann den Mut vermissen zu lassen, Gleichzahl (Hallo, Herr Tuchel!) mit einem Dribbling oder flinken Doppelpass-Spiel aufzulösen. Kurzum: Ein Spiel für Statiker. Alle andere mussten eher leiden unter der Darbietung. Was wohl auch für jene galt, die ganz unmittelbar mit dem 1. FC Union zu tun haben. So schüttelten sowohl Präsident Dirk Zingler als auch Nationalspieler Robin Gosens zur Halbzeitpause demonstrativ den Kopf vor lauter Verzweiflung über das Dargebotene.
Dass am Ende doch noch Jubel, Trubel, Heiterkeit herrschte, lag an eben jenem Gosens, der das 1:0 wunderbar einleitete und an Darmstädtern, die offenkundig von ihren Gefühlen betrogen wurden. Denn es war ein Unioner Konter im eigenen Stadion, der zum Siegtor führte. Ein Konter, der nur möglich wurde, da die Gäste mit zunehmender Spieldauer das an sich richtige Gefühl entwickelten, durchaus auf Augenhöhe mit Union zu agieren. Weshalb sie den Tagesordnungspunkten eins bis unendlich (kein Gegentor kassieren) eine Erweiterung spendierten und sich mit viel zu vielen Mannen in die gegnerische Hälfte wagten.
Ein Drängen, welches schließlich in einer 3:2-Überzahl (!) für Union mündete, gefolgt von einem selbstbewusst ausgeführten Abschluss Hollerbachs. Der hernach einmal mehr mit jenem Jubel reüssierte, den Super-Hyper-Weltstar Cristiano Ronaldo einst für sich erfand und der ungefähr so gut nach Köpenick passt wie das Olympiastadion. Und damit aber immer noch besser, als Kevin Behrens derzeit in das Spiel seiner Mannschaft. Dass der 32-Jährige noch im Herbst 2023 zum deutschen Nationalspieler wurde, wirkt aus heutiger Sicht fast schon grotesk. Es würde nicht verwundern, sollte Behrens in der Darmstädter Nachbetrachtung der Partie als einer ihrer besseren Abwehrspieler genannt werden.
Aber es gab auch eiserne Hoffnungsschimmer zu sehen an diesem sonnigen Sonntagnachmittag in Berlin Köpenick. Da war das Banner auf der Waldseite zu Ehren des verstorbenen Hertha-Präsidenten Kay Bernstein. "Jede Bewegung braucht Visionäre. Jeder Verein Charaktere. Ruhe in Frieden, Kay Bernstein", war zu lesen. Und da waren mit Gosens, Andras Schäfer und Kevin Vogt auch drei Spieler, die zu überzeugen wussten. Besonders der so ballsichere Vogt erweist sich schon früh als zunehmend guter (Winter-)Transfer. Vielleicht hätte man aber auch vorher drauf kommen können, dass ein 32-Jähriger aus Witten im Ennepe-Ruhr-Kreis besser zu Union passt als der galante, italienische Europameister Leonardo Bonucci aus dem Latium. Was durchweg als Kompliment zu verstehen ist. Vermutlich für alle Beteiligten.
Positiv aus Berliner Sicht ist auch, dass Christopher Trimmel wieder Christopher Trimmel-Sachen macht, unter anderem wichtige und blitzsaubere Grätschen gegen eigentlich viel zu schnelle Gegenspieler, wie Darmstadts Gerrit Holtmann kurz vor Schluss der Partie. Ebenso positiv, dass Union also gewann, ohne sonderlich gut zu spielen. Zu lange hatte man schließlich zu Beginn der Saison verloren, ohne sonderlich schlecht zu spielen.
Fünf Punkte Vorsprung sind es nun auf den Relegationsplatz 16. Mit einem Unentschieden im Nachholspiel bei Mainz 05 werden daraus sogar sechs, bei einem Sieg stolze acht Punkte. Angesichts der "Konkurrenz" um den Abstieg ist das eine sehr beruhigende Nachricht für Unions Anhänger. Aber auch das gehört zur Wahrheit dieses Spiels dazu: Der SV Darmstadt ist wohl tatsächlich das schwächste Team der Saison. So aufopferungsvoll sie ihre Chance, die sie allein schon finanziell nicht haben, auch zu nutzen versuchen.
Es sieht also ganz gut aus in Sachen Klassenerhalt für Union Berlin. Doch nicht nur der seltsam einsame Nenad Bjelica, der mit Abpfiff der Partie, hoch oben vor seiner Loge, die Fäuste gen Himmel reckte und eifrig mit sich selbst ins Gespräch kam aber selbst viele Minuten nach Spielschluss noch allein blieb, weckt das Gefühl, dass bei Union nur noch Stückwerk produziert wird. Wer weiß, vielleicht hat Thomas Tuchel auf einer seiner nächsten Pressekonferenzen auch dafür eine Erklärung.
Sendung: rbb24, 28.01.2024, 22 Uhr
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