Analyse | Unions Remis in Freiburg
Der SC Freiburg zeigte in der ersten Halbzeit, was Union Berlin noch fehlt. Trotzdem gewannen die Köpenicker einen wichtigen Punkt im Abstiegskampf. Mittendrin verteidigte Neuzugang Kevin Vogt und überzeugte bei seinem Debüt. Von Till Oppermann
Nach dem Spiel in Freiburg bedankten sich die Unioner bei ihren Fans: Fast alle Spieler warfen ihre grün-goldenen Ausweichtrikots in den Gästeblock. Eine nette Geste, um die weite Anreise in den Südwesten zu honorieren. Aber womöglich auch für die störungsfreie Rückreise nicht unwichtig. Denn nach dem glücklichen Punktgewinn für den 1. FC Union Berlin wäre es kein Wunder, wenn die Freiburger Polizei Steckbriefe mit Bildern der Union-Spieler aushängen würde: Gesucht wegen Punkteklau.
Den Köpenicker Fußball-Gaunern reichten am Samstag 43 zu 57 Prozent Ballbesitz und vier zu zehn Torschüsse bei 0,36 zu 1,61 expectedGoals (erwartete Tore) für den ersten Auswärtspunkt in der Bundesliga seit August 2023. Oder wie es Vincenzo Grifo aus Freiburgs Sicht ausdrückte: "Ohne Union zu nahe zu treten: Du musst das Spiel mindestens mit 2:0 oder 3:0 gewinnen."
Schon zur Pause hätten die Breisgauer gegen Unions neu formierte Mannschaft deutlich führen müssen. Der Freiburger Merlin Röhl erklärte nach dem Spiel, warum: "Wir haben uns viele klare Chancen nach Halbfeldflanken herausgespielt." Immer wieder war es seiner Mannschaft gelungen, den Ball scharf genau dorthin zu spielen, wo sich zwischen Unions tief stehenden Verteidigern Lücken auftaten.
Die Folge waren klare Kopfballchancen durch Grifo und Roland Sallai. Noch vor einem Jahr war es quasi unmöglich, Union aus der Luft zu bezwingen. In dieser Saison ist die Zuordnung bei Flanken im Strafraum eine große Schwäche. Das weiß auch Christian Streich: Der Freiburger Trainer hatte seiner Mannschaft vor dem Spiel den Auftrag erteilt, immer wieder diese Lücken anzulaufen und mit scharfen und frühen Flanken anzuspielen. Die Spieler setzten das um.
Genau das war es, was den Unionern in ihrem Offensivspiel fehlte: Eine klare Idee, was sie mit dem Ball anfangen wollen. "Sie waren nur auf Konter aus", meckerte Grifo. Unions Spielaufbau begann stets mit einem flachen Ball von Frederik Rönnow auf die Innenverteidiger. Danach war dann leider meistens auch schon Schluss. Die kurze Wintervorbereitung reichte nicht aus, um Abläufe im Ballbesitz einzuüben.
Die Laufwege und die dadurch entstehenden Passoptionen waren in den meisten Fällen improvisiert, deshalb wählten die Berliner in Freiburg häufig lieber den Rückpass und scheuten das Risiko. Gerade eine verunsicherte Mannschaft wie Union ist im Offensivspiel darauf angewiesen, schon vor der Aktion zu wissen, wie es weitergehen soll.
Bis Trainer Nenad Bjelica seine Mannschaft so weit hat, wird es noch eine Weile dauern. Da ist es für alle Eisernen eine gute Nachricht, dass der Trainer in Freiburg zumindest angedeutet hat, dass er auch während eines Spiels auf Schwächen seines Teams reagieren kann. Zumindest verteidigte sein Team die Freiburger Flanken nach seiner Halbzeitansprache deutlich besser. Nun stimmte die Zuordnung in der Fünferkette, in deren Mitte Neuzugang Kevin Vogt verteidigte.
Ein Abenteuer sei das gewesen, sagte Vogt nach dem Spiel. Schließlich hatte er vorher erst einmal mit den neuen Kollegen trainiert. Ein erfolgreiches: Der routinierte Innenverteidiger überzeugte mit 67 Prozent Zweikampfquote und 93 Prozent erfolgreichen Pässen. "Guter Spieler, vor allem mit dem Ball", musste auch Grifo zugeben. Vogt, der mit beiden Füßen sauber das Spiel eröffnen kann, brachte durch sein Passspiel Qualität ins Team, die Bjelica dringend benötigt, wenn er Unions Spielaufbau in der Rückrunde endlich verbessern will.
Spannend wird sein, welche taktische Formation der Kroate dann wählt. Vogts Paradeposition, auf der in seiner Zeit in Hoffenheim zu einem der passsichersten Innenverteidiger der Liga reifte, ist in der Mitte einer Fünferkette. So spielte er auch in Freiburg. Nach mehreren Spielen mit einer Viererkette, ließ Bjelica die Mannschaft am Samstag mal wieder im altbekannten 5-3-2-System auflaufen.
Diese defensive Formation läuft Bjelicas Wunsch nach mutigerem Fußball zuwider. Seine bevorzugte Aufstellung ist eigentlich ein System mit Viererkette und offensiven Flügelspielern, mit dem Union auch bei den Siegen gegen Gladbach und Köln spielte. Die angespannte Personallage zwang den Trainer in Freiburg zur Umstellung.
Sollte Bjelica das bald wieder rückgängig machen, wird sich Vogt dem anpassen und in einer Viererkette verteidigen müssen. Zumindest seine Einstellung sollte ihm dabei aber nicht im Weg stehen. "Wenn du mutig Fußball spielst, wird das gegen Ende der Saison immer mehr belohnt", sagte der Neue. Zum Glück bleibt dahin noch etwas Zeit - und bis dahin zählen eben auch unverdiente Punkte.
Sendung: rbb24, 13.01.2024, 21:45 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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