Erinnerungen an das Hallenmasters
Während der heutige Fußball zwischen den Jahren nur kurz durchschnauft, pausierte er früher schier endlos. Zum Glück sprangen die Hallenturniere in die Bresche. Bei denen alles anders war. Und selbst die Hertha ein Vorreiter. Von Ilja Behnisch
Was stimmt: Früher war nicht alles besser. Was auch stimmt: Vieles dauerte früher länger. Im Internet surfen, von Berlin nach München mit dem Zug fahren, die Winterpause im Fußball. Zum Beispiel. Neun Wochen und sechs Tage gingen etwa in der Fußball-Bundesliga-Saison 1996/97 ins Land, ehe der 17. Spieltag abgepfiffen und der 18. Spieltag angepfiffen war. Zum Vergleich: In diesem Jahr lagen zwischen 16. und 17. Spieltag schlappe drei Wochen und zwei Tage. Ein Drittel Einsparung. Die FDP wäre stolz - der Markt regelt. Aber dazu gleich mehr.
Neun Wochen und sechs Tage Winterpause, also neun Wochen und sechs Tage ohne Fußball, sind eine furchtbar lange Zeit, zumal damals, weil: Wir hatten doch nix! Keine Bezahl-Sender und Streaming-Anbieter, die auf Knopfdruck die schon immer fortlaufend spielende, englische Premier League auf den Fernseher zauberte. Oder die Darts-WM. Oder (American) Football. Oder. Oder. Oder.
Zum Glück erkannte der Fußballgott die Notlage, kam über seine Zöglinge und pflanzte eine zauberhafte Idee in ihre Kalender: Hallenfußball. Die Plätze in den Stadien waren unbespielbar? Weil Winter noch Winter war und weil das Wort Rasenheizung noch so unbekannt war wie der Klimawandel? Trainingslager in südlichen Ländern waren allein finanziell kaum vorstellbar? Und die Spielpläne noch nicht vollgestopft mit Fantasie-Wettbewerben und Begegnungen alle drei Tage, auch im Dezember und Januar? Na dann ab in die Halle!
Und wer hätte es gedacht, aber tatsächlich war Hertha BSC wenigstens hier einmal Vorreiter und der erste Erstligist (andere Zeiten …), der einen Hallenwettbewerb ausrichtete. Zwischen dem 13. und 17. Januar 1971 fand es statt, das "1. Nationale Hallenturnier", wie es damals hieß. Zu Gast in der Deutschlandhalle seinerzeit: die Bundesligisten Eintracht Braunschweig (andere Zeiten …), Werder Bremen sowie der amtierende deutsche Meister Borussia Mönchengladbach (andere Zeiten …). Zudem die heimischen Regionalligisten Tennis Borussia und Wacker 04.
Das erhoffte Spektakel blieb zunächst allerdings aus. Am ersten von fünf Turniertagen bekamen die insgesamt 34.500 Zuschauer lediglich fünf Treffer zu sehen. Weshalb die Veranstalter kurzerhand die Größe der Tore veränderten. Statt der zwei Mal drei Meter großen Handball-Tore wurde nun auf zwei Mal fünf Meter messende (Jugend-)Tore gespielt. Anschließend gab es Tore satt und am Ende auch noch eine siegreiche Hertha.
Doch nicht nur in Berlin wurden die Hallen-Turniere fortan zu beliebten Lückenfüllern in der Winterpause. Im ganzen Land war nun "Budenzauber" geboten. So erfolgreich, dass selbst der Deutsche Fußball Bund davon etwas mitbekam und sich die Sache anschließend zu eigen machte. Der DFB-Hallenpokal ward geboren, auch Hallenmasters genannt. In den Neunziger Jahren schließlich war das Kleinfeld-Spiel unter dem Dach, Spötter würden sagen trotz DFB, auf seinem Höhepunkt angelangt.
Auch weil der Fußball insgesamt längst Popkultur und im Mainstream verortet war. Während in den Achtzigern oft noch Kuttenträger oder Hooligans das Bild in den häufig halb leeren Stadien prägten, interessierten sich nun auch viele andere Gesellschaftsteile für König Fußball. Selbst dann, wenn mal keine Weltmeisterschaft anstand, bei der Deutschland zu den Favoriten zählen würde (andere Zeiten).
Der Hallenfußball war dabei so etwas wie eine Klassenfahrt der Bundesliga. Fans und Spieler kamen sich in der Enge der Veranstaltungsorte bis auf einen Schweißtropfen Abstand nahe. Es war nicht immer alles furchtbar ernst. Es war die Blütezeit der Sonderlinge. In der Halle brillierte der schmächtige Brasilianer, der bis dato als Fehleinkauf galt. In der Halle trumpften Mittelklasse-Teams auf, einfach weil sie die Sache mit dem fliegenden Wechsel gut drauf hatten. (Die später genau deshalb verboten wurde vom DFB.) In der Halle konnte selbst die SpVgg Unterhaching einen großen Titel gewinnen. Der aktuelle Drittligist firmiert noch immer als amtierender Hallenpokal-Sieger. Auch, weil der Wettbewerb 2001 ein jähes Ende fand.
Doch der Hallenfußball an sich lebt weiter. Inzwischen haben Amateurteams und Traditionsmannschaften übernommen. Den Bundesligisten war das Verletzungsrisiko zu hoch und die Mehreinnahmen zu gering geworden. Zudem wurde die Winterpause immer kürzer.
Den letzten großen Berliner Budenzauber gab es 1997. Bayern Münchens Mario Basler feuerte Mittelstreckenraketen durch die Deutschlandhalle und zeigte sich am rbb-Mikrofon optimistisch, dass seine Ex-Kollegen bei der Hertha unter Trainer Jürgen Röber den Aufstieg in die Bundesliga schaffen würden. In der Halle unterlag Hertha zwar im Spiel um Platz drei gegen Roter Stern Belgrad, hatte die Fans dennoch bestens unterhalten. Insbesondere Jungspund Michael Hartmann spielte während des dreitägigen Turniers groß auf. So groß, dass sofort Gerüchte die Runde machten, Turnier-Sieger Bayer Leverkusen sei am Berliner Eigengewächs interessiert.
Absoluter Höhepunkt aus Hertha-Sicht allerdings war ein 5:1-Erfolg im Gruppenspiel über Bayern München. Mit seinem ersten Treffer für die Berliner überhaupt unter den Torschützen seinerzeit: ein gewisser Pal Dardai. Dass der damalige Winterzugang aus Ungarn 27 Jahre später als das Klub-Gesicht der Hertha gelten würde, war damals ganz gewiss noch nicht absehbar. Aber es dauerte ja früher vieles länger.
Sendung: rbb24, 14.01.2024, 22 Uhr
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