Tabellenführer in der Regionalliga Nordost
Energie Cottbus, BFC Dynamo und Carl Zeiss Jena hießen die Meisterschaftsfavoriten vor der Saison. Stattdessen grüßt allerdings Greifswald von der Spitze der Fußball-Regionalliga Nordost. Und das längst nicht nur, weil sie dort ganz anständig bezahlen. Von Ilja Behnisch
Greifswald. Berühmt für seine Universität, den 1774 dort geborenen Romantik-Maler-Gott Caspar David Friedrich und den Umstand, dass 44 Prozent aller Einwohner das Fahrrad für ihre sogenannten "Alltagswege" nutzen. Womit Greifswald besser abschneidet als die vermeintliche deutsche Fahrrad-Hauptstadt Münster. Wofür Greifswald bisher eher nicht so berühmt war: seinen besten Fußball-Verein.
Nun gibt es den Greifswalder FC streng genommen auch erst seit 2015. Damals fusionierten der Greifswalder SV 04 und der FC Pommern Greifswald. Aber auch die Vorgänger-Klubs hatten nicht gerade große Fußstapfen auf der Fußball-Weltkarte hinterlassen bis dato. Immerhin begannen die berühmten Podcaster Toni und Felix Kroos ("Einfach mal luppen") ihre Karrieren in Greifswald, die sie bis zu Real Madrid (Toni) und dem 1. FC Union Berlin (Felix) führen sollten. Trainiert wurden sie dabei übrigens unter anderem von ihrem Vater, Roland Kroos. Womit wir wieder beim Greifswalder FC sind. Die führte der der berühmte Papa schließlich zwischen 2017 und 2022 von der Verbands- bis in die Regionalliga.
Ende Februar 2023 jedoch musste Kroos senior schließlich aus gesundheitlichen Gründen vom Amt lassen. Nach einer Herz-OP rieten ihm die Ärzte, sich aus dem aktiven Fußball-Geschäft zurückzuziehen. Doch auch ohne die bisherige Galionsfigur hat sich der Greifswalder FC mehr als nur etabliert in der Regionalliga Nordost. Tabellenführer nach der Hinrunde ist der Klub aus der Hansestadt - und das ganz ohne Niederlage. Was die Frage aufwirft: Woher kommt er, der Erfolg?
Fragt man den NDR-Journalisten und Greifswald-Experten Lars Kohstall, ist dabei vor allem der aktuelle Trainer zu nennen. Ex-Profi Lars Fuchs, als Übungsleiter bis dato lediglich im Nachwuchs des 1. FC Magdeburg und von Hannover 96 aktiv, habe seiner Mannschaft den aggressiven Spielstil mit intensivem Pressing gut einverleibt, zudem einen "guten Mittelweg zwischen Professionalität auf dem Platz und guter Stimmung in der Kabine" gefunden, so Kohstall.
Von der guten Stimmung beim Greifswalder FC ist immer wieder zu hören und zu lesen. Und auch Routinier Soufian Benyamina, zuletzt für Viktoria Berlin aktiv und mit immerhin 285 Drittliga-Spielen in der Vita, sagt gegenüber rbb|24: "Die Stimmung ist top, weil wir eine coole Truppe sind. Das macht einfach Spaß."
Den Spaß betont der aus der Jugend des 1. FC Union Berlin stammende Stürmer immer wieder im Gespräch, selbst dann, wenn es um vermeintliche weniger schöne Fußball-Dinge geht: hartes Zweikampf-Gekloppe. Besonders stolz sei er nämlich auf die letzten beiden Spiele vor dem Ende der Hinrunde, so Benyamina. Bei den Auswärtserfolgen in Meuselwitz (2:1) und Eilenburg (2:0) habe die Mannschaft gezeigt, dass sie auch "richtig reinhauen kann. Auch in den Zweikämpfen. Wir sind nicht nur spielerisch gut. Das macht uns stark."
Für Trainer Lars Fuchs ist dieses "reinhauen" die Basis. Immer wieder betont der 41-Jährige, dass dies der Mindeststandard sei für eine Mannschaft, die unter professionellen Bedingungen arbeite. Dass sie sich zumindest physisch vor keinem Gegner verstecken müsse. Für alles andere sorgt Co-Trainer Matthias Buszkowski (31), den Fuchs aus gemeinsamen Magdeburger Zeiten kennt und der mit seiner akribischen Analyse-Arbeit geholfen habe, vor allem die in der Vorsaison noch so anfällige Defensive zu stärken. Und der offenbar nahezu ideal zusammengestellte Kader.
Für den zeichnet sich zuvorderst David Wagner (49) verantwortlich, Greifswalds Geschäftsführer Sport. Wagner hatte 2016 und in ähnlicher Funktion schon seinen Heimatverein, den FSV Zwickau, aus der Regionalliga in die 3. Liga geführt. Und nun im Vorfeld der aktuellen Spielzeit und im engen Zusammenspiel mit Trainer Fuchs den Greifswalder Kader umgekrempelt. Herausgekommen ist eine Mischung aus Routiniers mit Zweit- und Drittliga-Erfahrung (Tom Weilandt, Soufian Benyamina), erprobten Leistungsträgern anderer Regionalliga-Teams (Can Coskun, Niklas Brandt, Jakub Jakubov) und talentierten Nachwuchsspielern.
Eine Mischung, die "nicht üblich ist für eine Regionalligisten", wie Soufian Benyamina sagt, der dabei explizit auch die zuvor eher unbekannten Spieler lobt, "die sich wirklich sehr, sehr stark entwickelt haben". Nicht schlecht für eine Mannschaft, die die "stärkste Regionalliga Deutschlands" (Benyamina) aufmischt.
Und das ohne mit dem ganz großen Geld zu hantieren, wie dem Klub immer mal wieder unterstellt wird. "Was ich hier kriege, das würde ich auch woanders kriegen", so Benyamina.
Dass Greifswald kein klassischer Aufsteiger in seinem zweiten Regionalliga-Jahr ist, liegt dabei vor allem an Investor Jonas Holtz und dessen Jes AG. Allerdings, so Lars Kohstall vom NDR, halte sich Holtz, der sein Geld mit Energie-, Immobilien- und Gastronomie-Geschäften verdient, im Tagesgeschäft zurück. Holtz sei aber vereinzelt bei den Spielen und betreibe mit seinem Investment vor allem Markenpflege. Auch bei Zweitligist Hertha BSC und bei der Vierschanzen-Tournee der Skispringer war die Jes AG zuletzt als Werbepartner zu sehen.
Wie viel Geld im Projekt Greifswalder FC steckt, wird dabei nicht verraten. Klar ist, das sagt auch Stürmer Soufian Benyamina, dass vor allem das Umfeld des Vereins noch Nachholbedarf hat. Ein neues Stadion ist in Planung, aber noch vor der Gutachten-Phase. Für einen eventuellen Drittliga-Aufstieg müsste das Greifswalder Volksstadion mit Rasenheizung, einer überdachten Tribüne und besserem Flutlicht ausgestattet werden. Es scheint, so Journalist Kohstall, "dass der Verein nicht damit gerechnet hat, ganz oben um die Tabellenführung mitzuspielen."
Dazu passt ein Blick zurück. In einer Online-Umfrage des MDR hatten vor Saison-Beginn nur zwei Prozent alle Befragten mit Greifswald als Meister gerechnet. Acht Teams bekamen mehr Stimmen. Auch in einer Umfrage des Fach-Magazins "Kicker" unter den Regionalliga-Trainern kam Greifswald lediglich auf drei Stimmen. Zum Vergleich: Energie Cottbus wurde 17 Mal genannt, Carl Zeiss Jena und der BFC Dynamo je 13 Mal.
Während Jena auf Rang acht und mit 14 Punkten Rückstand bereits abgeschlagen wirkt, liegen der BFC (Platz zwei, fünf Punkte und ein Spiel weniger) und Cottbus (Platz vier, neun Punkte und zwei Spiele weniger) noch in Schlag-Distanz. Sie sind es auch, die Soufian Benyamina als Haupt-Konkurrenten um den in diesem Jahr direkten Aufstieg in die 3. Liga ausmacht. In Sicherheit wiegen sie sich in Greifswald jedenfalls nicht. Es habe schon viele Teams gegeben, die eine gute Hin- aber keine gute Rückrunde gespielt hätten, so Soufian Benyamina.
Für den Greifswald-Experten Lars Kohstall hängt vieles mit dem Start nach Wiederbeginn zusammen. Gelingt dieser erneut wie zum Anfang der Saison, sei mit viel Selbstbewusstsein alles möglich. Vielleicht sogar, dass Greifswald irgendwann einmal bemüht ist für seinen Fußball-Verein.
Sendung: rbb24, 19.01.2024, 22 Uhr
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