Von Heimspielen bis Fußballgott
Acht Punkte liegt Hertha BSC auf einen Relegationsplatz in der zweiten Fußball-Bundesliga zurück. Warum der Aufstieg trotzdem noch klappen könnte und was der Stadtrivale vom 1. FC Union Berlin damit zu tun hat. Von Till Oppermann
Kay Bernsteins tragischer und plötzlicher Tod bestimmt seit knapp zwei Wochen die Gedanken der Hertha-Fans. Auch die Mannschaft war mit dem Präsidenten verbunden, der engen Kontakt zu den Spielern hielt. Kapitän Toni Leistner versprach, die Spieler würden alles dafür tun, "Hertha zu dem (zu) machen, wie du sie dir vorgestellt hast".
Zu dieser Vorstellung gehört auch Bundesliga-Fußball. Damit Hertha in dieser Saison noch Chancen auf den Aufstieg hat, müssen Leistner und seine Mitstreiter schnell eine Siegesserie starten. Nach einer couragierten Leistung gegen Düsseldorf beginnen sie damit in Wiesbaden. Für Kay Bernstein und seine Träume, die bei Hertha weiterleben sollen.
Oft wurde das Olympiastadion als stimmungsloses Stadion verspottet. Größe und Weitläufigkeit würden jede Laustärke absorbieren, kritisierten manche. Sie könnten nicht falscher liegen. Herthas Heimspiele gehören durch die Ostkurve zu den stimmungsvolleren Ereignissen im deutschen Fußball.
Nur Hamburg und Schalke ziehen in der zweiten Liga mehr Zuschauer an als Hertha - gut, dass diese beiden Auswärtsspiele schon hinter Pal Dardais Mannschaft liegen. Zusätzlich dazu müssen auch Aufstiegskandidaten wie Kiel und Tabellennachbarn wie Nürnberg und Hannover noch nach Berlin reisen. Diese Kracherspiele wird das torgefährlichste Heimteam der Liga dafür nutzen, um sich Richtung Tabellenspitze zu kämpfen.
Seit dem 28. Oktober nimmt Hertha Anlauf für den Sprung nach oben. Inklusive der Pokalspiele gegen Hamburg und Mainz sind die Berliner seit zehn Spielen ungeschlagen. Hertha zu schlagen, gehörte in den letzten Jahren zu den Lieblingsbeschäftigungen deutscher Fußballmannschaften. Seit Pal Dardai die Mannschaft im Herbst stabilisiert hat, scheint das unmöglich. Ihre Moral bewies sie unter anderem gegen Hamburg und Kaiserslautern, als Rückstände ausgeglichen wurden.
Genau diese Qualität braucht man, wenn man aus der engen zweiten Liga aufsteigen will. Zugegeben: Bei der Serie waren auch einige Unentschieden vorbei. Damit ist jetzt aber Schluss. Oder sollen elf Berliner wirklich vor einer Mannschaft namens Wehen Wiesbaden zittern?
Berlin ist die deutsche Fußballhauptstadt. "Lächerlich!", werden Münchner antworten und auf die 34 Meisterschaften verweisen, die der FC Bayern (33) und der TSV 1860 (1) an die Isar geholt haben. Auch in Hamburg wird man den Kopf schütteln: HSV und St. Pauli haben schon 1977 ihr erstes Bundesligaderby gespielt. Aber wo sonst im deutschen Fußball außer in Berlin gab es in den letzten Jahren so viele starke Geschichten auf so engem Raum?
Unions Aufstieg aus der zweiten Liga bis in die Champions League, Herthas Talfahrt mit Lars Windhorst, Kay Bernstein, der Hertha neues Leben eingehacht hat, Unions Crash in der Hinserie und Derbys vor knapp 75.000 Zuschauern, die die ganze Stadt elektrisieren – das alles gehört in die Bundesliga und allein deshalb wird Hertha BSC wieder aufsteigen.
Im Januar 1997 kam ein junger Mann aus Ungarn nach Berlin und ging seitdem nicht mehr weg. Pal Dardai wechselte als Mittelfeldspieler zu Hertha, heute ist er Trainer und gehört zu den wichtigsten Figuren der Vereinsgeschichte. Kein Wunder, dass nach all der Zeit von seinem ersten halben Jahr in Berlin selten die Rede ist. Dabei half er in diesen Monaten dabei, die Voraussetzung für den Verein zu schaffen, der Hertha heute ist. Damals kickten die Berliner nämlich vor durchschnittlich 17.000 Zuschauern in der zweiten Liga. Nach dem Aufstieg im Sommer, zu dem Dardai in zehn Spielen beitrug, waren es dann 52.000.
Wenn also einer weiß, wie weit ein Aufstieg einen Verein nach vorne bringen kann, dann Pal Dardai. Er wird das seinen Spielern so oft erzählen, bis sie gar nicht anders können, als dem Beispiel ihres Trainers zu folgen und aufzusteigen.
Sendung: rbb24, 26.01.2024, 22 Uhr
Artikel im mobilen Angebot lesen