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Hertha-Vorsänger "Kreisel" im Interview
Nach dem gescheiterten DFL-Investorendeal spricht "Kreisel", Vorsänger der Ostkurve von Hertha BSC und Mitglied der Ultra-Gruppe "Harlekins Berlin '98", über die Wochen des Protests, bessere Kommunikation und die Wahrnehmung der aktiven Fanszene.
rbb: Der Investorendeal der Deutschen Fußball Liga (DFL) ist geplatzt. Wie haben Sie davon mitbekommen und darauf reagiert?
"Kreisel": Man hat sich jetzt nicht getroffen und die Korken knallen lassen. Als die Meldung rauskam, haben wir uns aber natürlich sehr gefreut. Das darf durchaus als Erfolg gewertet werden.
Welchen Anteil haben die aktiven Fanszenen, auch die von Hertha BSC, daran, dass nun kein Investorendeal zustande kommen wird?
Einen maßgeblichen, deutlich über 75 Prozent. Wir haben mit unserem Protest beim Spiel gegen den Hamburger SV vielleicht den Anfang gemacht. Ohne die Kraft aller Standorte und gemeinsam das selbe Ziel zu verfolgen, wären wir nicht vorangekommen. Von daher ist es eine ganze Bewegung, die das geschafft hat.
Gab es in den vergangenen Tagen – oder überhaupt – einen Austausch mit der DFL?
Einen direkten Austausch gab es nicht. Die DFL hat zum Dialog eingeladen, was von der Fan-Seite aus gutem Grund abgelehnt wurde. Jeder dürfte mitbekommen haben, dass wir in den vergangenen Wochen nur über die Medien kommuniziert haben. Die eine Seite hat etwas von der anderen Seite gelesen oder gehört. Auf jede Aktion folgte eine Reaktion.
In den zurückliegenden Wochen wurden die Fußballspiele in den Stadien Deutschlands immer wieder durch Tennisbälle oder ferngesteuerte Autos unterbrochen. Das war für die Verantwortlichen, Trainer und Spieler speziell und zunehmend nervig. Man hat auch von den körperlichen Auswirkungen für die Spieler gehört. Wie schauen Sie auf diese Wochen des Protests zurück?
Für die Spieler und Trainer tut es mir leid, dass sie in diesen Momenten ihrer Berufung nicht richtig nachgehen konnten. Trotzdem hat sich herausgestellt, dass das der vernünftige und auch ein sehr friedlicher Weg war, unseren Unmut kundzutun. Andere Situationen, in denen wir versucht haben, durch Schweigen publik zu machen, was uns stört, wurden nicht für voll genommen. Einminütige Unterbrechungen haben niemanden gestört. Also war klar, dass man Mittel und Wege finden muss, zu stören und zu nerven, das System zu irritieren und die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Vorerst wird es nun also keinen Investoren-Einstieg bei der DFL geben. Inwiefern sind die Ziele der Fans erreicht?
Es ist ein Ziel erreicht. Vermutlich ist es das größte Ziel, was man bis dato erreichen konnte. Ein Nebenaspekt geht damit einher: Der allgemeine Fußballfan ist vermutlich spätestens jetzt darauf aufmerksam geworden, genauer hinzuschauen und achtsam zu sein. Mit dem Wissen, dass man eine Stimme hat, die man geltend machen kann, sofern man Vereinsmitglied ist, kann man tatsächlich etwas verändern und so viele Leute wie möglich mit ins Boot holen, um eine gesunde Gegenmeinung zu bilden, die in der Öffentlichkeit Gehör findet.
Bleiben die Tennisbälle zu Hause, wenn Hertha am Wochenende in Braunschweig oder dann demnächst auch wieder im Olympiastadion spielt? Oder gibt es Anlass zu weiterem Protest?
Ich kann nur für unseren Standort sprechen: Wir bei Hertha werden in Braunschweig hoffentlich wieder 90 Minuten in Ruhe das Fußballspiel genießen und sehen dürfen. Denn auch wir gehen nicht ins Stadion, um Tennisbälle zu werfen. Das stört uns auch. Auch für uns findet eine Unterbrechung statt, auch wir wissen, dass das der Mannschaft nicht guttut. Es war ein Mittel zum Zweck – und nichts anderes. Keine Selbstdarstellerei, nicht: 'Wir sind die super-tollen Ultras, die es schaffen, Einfluss auf das Spielgeschehen zu nehmen.' Es sollte nerven und hat uns auch selbst genervt. Wir sind froh, dass es vorbei ist und wir keinen Protest mehr auf dem Rücken des Sports austragen müssen.
Sie sagen "hoffentlich". Warum hoffentlich?
Es wird in Braunschweig nichts passieren, was einer Protestform ähnlich sein wird.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass es seitens der DFL in Zukunft neue Pläne geben wird, die der aktiven Fanszene nicht passen könnten. Was bleibt von den Protesten? Und was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
Das ist genau der Punkt. Da nehme ich die Fanszene auch mit ins Boot. Wir müssen die Gefahr früher riechen und in den Dialog mit dem Verein gehen. Andersherum auch: Der Verein muss proaktiv auf die aktive Fanszene, eigentlich auf jedes Mitglied, zugehen – am besten auf einer Jahreshaupt- oder Mitgliederversammlung. Um die tatsächliche Meinung der Basis zu kennen und mit dem Ergebnis dessen zu einer Abstimmung zu fahren und eine für den Verein vernünftige Wahl treffen zu können. Kurz gesagt: Vorab muss innerhalb der Klubs ein Dialog stattfinden, um dann gut vorbereitet zu solchen Veranstaltungen wie einer Wahl für oder gegen einen etwaigen Investoren-Einstieg zu fahren.
Gerade in den vergangenen Wochen wurde viel über Ultras diskutiert, etwa darüber, inwiefern sie die Meinung aller Fans im Stadion, aber auch der Fans zu Hause auf dem Sofa, abbilden. Wie nehmen Sie das Stimmungsbild wahr?
Anders. Natürlich gibt es in dieser Debatte eine andere Perspektive und kritische Meinungen. Es ist klar, dass sich der eine oder andere mit diesem Ergebnis nicht wohlfühlt. Ich würde sagen: Wir haben deutlich gesehen, dass ein Großteil aller Fußballfans in Deutschland den Fußball so liebt wie er in Deutschland derzeit stattfindet, nämlich vereinsorientiert. Und dass nicht unbedingt jeder die großen Stars in der Liga sehen will, die für viel Geld von den Vereinen beschäftigt werden. Sondern dass man als einzelner Fußballfan, der Mitglied in seinem Verein ist, das Gefühl hat, nicht ganz ohnmächtig gegenüber dem großen Fußball-Business zu sein. Man kann gehört werden – und dadurch auch etwas bewegen.
Ich denke, diese Echtheit ist den Leuten viel mehr wert, als wenn Stars durch die Gegend rennen und möglicherweise die Chancen in europäischen Wettbewerben etwas größer sind. Was hat der einzelne Fußball denn davon? Abgesehen davon, dass man sagen kann: 'Meine Mannschaft holt den einen oder anderen Punkt mehr.' Der Sport ist größer als das Business. Das Herz des Sports sollte im Vordergrund stehen – die Wirtschaftlichkeit sollte danach kommen.
Worauf freuen Sie sich im Hinblick auf das erste Hertha-Spiel nach den Protesten, am Samstag (13 Uhr) in Braunschweig, am meisten?
Dass wir das Spiel nicht unterbrechen müssen, sondern auf gewohnte Art und Weise den Block betreten, wieder verlassen und dazwischen 90 Minuten gesungen haben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Dennis Wiese, rbb Sport.
Sendung: rbb24, 22.02.2024, 21:45 Uhr
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